Die politische Linke in der Krise

Zusammengestückelte Berichte einer Aufrechten

Die Linkspartei-Abgeordnete Żaklin Nastić stellt sich gegen Doppelmoral und Kriege. Sie wurde im Zuge des Jugoslawienkrieges politisiert und gehört nun in der Bundestagsfraktion dem Lager von Sahra Wagenknecht an. Kürzlich hat sie ein Buch veröffentlicht. Es ist ein Grund, sich mit der Abgeordneten näher zu beschäftigen, ansonsten aber ein Reinfall. Vierter Teil unserer losen Reihe über Bücher zur Lage der Linken.

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Żaklin Nastić 2018 bei einer Veranstaltung der Linksfraktion.
Foto: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag , Lizenz: CC BY, Mehr Infos

Żaklin Nastić ist eine Ausnahme im Deutschen Bundestag. In mehrfacher Hinsicht. Sie kam 1990 im Alter von zehn Jahren als Flüchtlingskind aus Polen nach Deutschland und kennt die Probleme der einfachen Leute aus eigenem Erleben. Sie weiß, was es bedeutet, früh aufzustehen und das Geld mit harter Arbeit zu verdienen. Nastić opponiert im Parlament (und in der eigenen Partei) gegen den allgemeinen Kriegskurs und die verfehlte Sozialpolitik. Eine Autorin ist sie nicht. Zumindest keine gute. Das muss sie auch nicht sein. Als Bundestagsabgeordnete sollte sie vor allem der Regierung auf die Finger schauen, vernünftige Reden halten und Anfragen stellen. All das tut sie. Das ist eine wichtige Aufgabe. Schaut man sich die Arbeit von Nastić im Bundestag an, dann sieht man, dass es schade wäre, wenn solcherart Anfragen nicht mehr gestellt, solche Reden nicht mehr gehalten würden.

Nun ist unter ihrem Namen ein Buch erschienen. Es ist über weite Teile eine Kompilation von Texten, die an anderer Stelle schon zu finden sind. Es handelt sich um Auszüge aus Reden oder teilweise kompletten Kleinen Anfragen (und der jeweiligen Antwort der Bundesregierung). Dazwischen sowie in der Vorbemerkung wie auch im letzten Kapitel zur Zukunft der Linkspartei gibt es auch etwas längere eigene Texte der Abgeordneten (mit fragwürdiger Zitierpraxis, dazu später). Allerdings hätten diese Texte auch an anderer Stelle erscheinen können. Warum es unbedingt ein Buch sein musste, erschließt sich mir nicht. Nicht jeder und jede muss ein solches schreiben. Es wirkt so, als ob der Verlag damit an der Debatte in der Linkspartei – man könnte auch von der Spaltungsdiskussion sprechen – partizipieren wollte.

Vielleicht erklärt dieser Umstand das zuweilen nachlässige Lektorat, das es bei dem zusammengestückelten Werk sicher nicht einfach hatte. Dieses Buch sollte offenbar unbedingt auf den Markt und dann mit einem Titel, dessen Aussage unklar ist und erst am Ende mit der Zukunft der Linkspartei in Bezug gesetzt wird. Er lautet „Aus die Maus – Der Blick von unten auf die da oben“. Geht man vom Untertitel aus, hätte das etwas werden können. Nastić schreibt über ihren Aufstieg vom Migrantenkind aus Polen zur Bundestagsabgeordneten. Dieser Aufstieg kommt zweimal vor (einmal hätte gereicht), aber es gelingt ihr nicht, das anschaulich zu beschreiben. Das muss sie ja auch nicht können, aber wenn schon ein Buch vorliegt, hätte genau das hinein gehört. Ein Interviewband, das wäre interessant gewesen. So enthält das Buch nur ein Interview. Eine serbische Zeitung führte es mit ihr zum Jugoslawienkrieg, laut Nastić der eigentlichen Zeitenwende. Für einen Interviewband hätte es einen guten Fragesteller gebraucht, der ihr hilft, den interessanten Werdegang nachzuzeichnen und dann wirklich mal von unten nach oben zu blicken.

Unnötige Seitenfüller

Das aber tut sie in diesem Buch viel zu wenig. Es enthält ellenlang Reden und vor allem Anfragen. Und die handeln bei der menschenrechtspolitischen Sprecherin und Obfrau im Verteidigungsausschuss ihrer Partei von der Außenpolitik. Nastić erinnert an die Kriegspolitik der vergangenen Jahre und nimmt eindeutig Position dagegen ein. Das ist wichtig, aber der Titel und der Untertitel lassen anderes erwarten. Ärgerlich sind dazu unnötige Seitenfüller wie im Kapitel über das Völkerrecht und den Ukrainekrieg: Auf zwanzig Seiten geht es um die Massaker an der Zivilbevölkerung Indonesiens im Jahre 1965 und was die Bundesregierung davon wusste. Ein interessantes Thema für eine Kleine Anfrage. Es zeigt die Doppelstandards auf, von denen im Buch immer wieder die Rede ist. Das schon. Aber solch ein Textkonvolut gehört doch nicht in ein Buch wie dieses. Solch eine Anfrage und die Antwort gehören zusammengefasst, kommentiert und dann gibt es einen Quellenhinweis für diejenigen, die mehr lesen wollen.

Fassen wir bis hierhin zusammen: Dieses Buch hätte nie erscheinen müssen. Es wirft ein schlechtes Licht auf den Verlag und auf eine durchaus interessante Politikerin, die auch dem Rezensenten bis dato nicht bekannt war. Eine Politikerin, die das Herz auf dem rechten Fleck zu haben scheint, die es nicht scheut, sich in den Gegenwind zu stellen und eine Position zu vertreten, die der Mehrheitsmeinung oder zumindest der veröffentlichten Meinung entgegensteht. Ihr Fazit zur Zukunft der Linkspartei ganz am Ende ihres Werkes kann als ein Werben um einen Neuanfang möglicherweise in einer Wagenknecht-Partei verstanden werden.

Wenn die Linke ernst genommen werden will, braucht sie mehr Souveränität und weniger Servilität. Beim Katzbuckeln macht sie sich kleiner, als sie ist. Souveränität aber gründet auf Selbstsicherheit. Wenn sie sich ihrer Sache allerdings nicht mehr sicher ist, sollte sie gehen, bevor die Wählerinnen und Wähler sie dorthin schicken, wo der Pfeffer wächst. Wenn die Linkspartei ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nicht gerecht werden sollte, wird es heißen: Aus die Maus!
Ich bin allerdings überzeugt, dass in dieser kapitalistischen Ausbeutergesellschaft mehr denn je eine konsequente linke politische Kraft mit Rückgrat und Kopf gebraucht wird, eine, die für soziale Sicherheit eine streitbare Demokratie kämpft. (S. 191)

Für einen wirklichen Neuanfang ist aber Ehrlichkeit nötig. Und kein Herumlavieren. Nastić weist im abschließenden Kapitel zurecht darauf hin, dass man nicht einfach immer das Gegenteil von dem vertreten dürfe bzw. müsse, was die Rechten von AfD und Co. propagierten. Sie grenzt sich von ihnen und anderen „Antidemokraten“ ab (inklusive „Coronaleugnern“). Gleichzeitig zitiert sie einige scharfe Kritiken an der Linkspartei, die sich, so der Philosoph Michael Brie Anfang des Jahres, bemühe deutlich zu machen, dass sie nicht gebraucht wird.1 Während sie aber Brie nennt, muss man bei einer anderen Kritik genauer hinschauen, will man die Quelle erkennen. Denn Teile eines Absatzes, deren Zusammenfassung ich gleich zitiere, erinnern beim Vergleich an einen Text der Achse des Guten aus der Zeit nach der Bundestagswahl 2017, auf die Nastić sich bezieht. Sollte sie hier verschämt die Quelle nicht nennen wollen?

Statt in Krisenzeiten wie den gegenwärtigen um Zuspruch bei Arbeitern und Angestellten zu werben, zum aktiven Fürsprecher der Ausgegrenzten zu werden und offensiv den Sozialstaat zu verteidigen, trinke man Latte Macchiato und fordere „Open border“. Womit man die Unsicherheit der ohnehin Verunsicherten im Lande noch erhöhe. (S. 168)

Erst durch den Konjunktiv wird klar, dass sie zitiert. Spürt man dann der vorher genannten Überschrift nach, kommt man auf einen Artikel der Achse, der die Kritik an der Partei enthält. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet ein Medium, das eher politisch rechts einzuordnen ist, solch eine Analyse veröffentlicht.2 Und es ist schade, dass Nastić nicht die Souveränität zu haben scheint, das auch zu benennen. Und so ist auch dieses Buch – wie auch das zuletzt in dieser Reihe besprochene von Sven Brajer – ein Ausdruck der Krise der Linken. Denn um dort herauszukommen, ist schonungslose Selbstkritik notwendig, für die ein Blick von außen hilfreich ist. Das sieht auch Nastić, bleibt aber im Kontaktschuld-Modus. Die Achse des Guten zu zitieren, geht demnach gar nicht. Dass die Position der Abgeordneten dabei inhaltlich nachvollziehbar, sie selbst ob ihrer Minderheitenposition für den Frieden und ihrer Herkunft sympathisch erscheint, täuscht nicht über die gravierenden Mängel dieses Buches hinweg. Und damit fällt die Kritik, die sie scharf an anderen insbesondere in der eigenen Partei übt, auf sie selbst zurück.

Żaklin Nastić: Aus die Maus. Der Blick von unten auf die da oben. Das Neue Berlin, 192 Seiten, 16 Euro

Die politische Linke in der Krise – Rezensionen

Teil 1: Artur Becker, Links, Westend 2022
Teil 2: Göran Therborn, Die Linke im 21. Jahrhundert, VSA 2023
Teil 3: Sven Brajer, Die (Selbst)Zerstörung der deutschen Linken. Promedia 2023
Teil 4: Żaklin Nastić: Aus die Maus, Das Neue Berlin 2023

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Quellen

1https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171202.linkspartei-ukraine-krieg-linker-sonderparteitag-noetig.html

2https://www.achgut.com/artikel/linkspartei_goes_latte_macchiato

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