Literatur

Von der Banalität der Propaganda

Zwei Bücher aus dem Westend Verlag beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise mit der Propaganda, die in diesen Zeiten allgegenwärtig ist. Die Frage unseres Rezensenten: Helfen die Bücher als Gegenmittel?

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Schwarz-weiß-Denken beherrscht die Propaganda.
Foto: PIX1861/Pixabay, Mehr Infos

Eigentlich unglaublich, dass ihnen das immer wieder gelingt. Ihnen – also der Politik und der veröffentlichten Meinung. Noch vergangenes Jahr wurde öffentlich verlautbart, Russland habe gegen das Völkerrecht verstoßen und sich mit einem Angriffskrieg aus der Gruppe der zivilisierten Staaten herausgebombt. Und die Masse hat‘s geglaubt. Diejenigen, die an die Geschichte, die Ursprünge des Konflikts und die Völkerrechtsbrüche des Westens erinnerten, wurden zu amoralischen Unmenschen erklärt. Und dieses Jahr? Regierung und CDU-Opposition stehen Seit’ an Seit’ mit Israel. Uneingeschränkte Solidarität für alles, was die rechtsextreme Regierung von Benjamin Netanjahu plant und durchführt. Das Völkerrecht verbietet es, Zivilisten anzugreifen, wie Israel das im Gazastreifen tut? Völkerrecht war vergangenes Jahr. Die Masse glaubt‘s. Wer an das jahrzehntelange Leid der Palästinenser insbesondere im Gazastreifen erinnert, muss sich die Bilder des Grauens der Hamas anschauen. Ihr verhöhnt die Opfer, sagen jene, die bei den Opfern zwei Klassen bilden. Die Guten und die Bösen – wie zuvor in der Ukraine.

Ja, es gelingt immer wieder. Schon Franz-Josef Degenhardt sang vor mehr als 25 Jahren im Angesicht der Kriege in (und später gegen) Jugoslawien davon, dass es unglaublich sei, dass ihnen das immer wieder gelingt. Die Tageszeitung junge Welt druckte sein Lied „Eigentlich unglaublich“ am Tag nach Deutschlands erstem direkten Kriegseintritt nach dem Zweiten Weltkrieg im März 1999. Und der war völkerrechtswidrig. Damals waren all diejenigen, die gegen den Krieg protestierten, aus der Sicht des Mainstreams Unterstützer der völkermordenden Serben. Schon damals galt: Völkerrecht ist nur dann ein Argument, wenn es „uns“ nützt.

Wie gelingt das? Und wie gelang das? Die Antwort lautet Propaganda. Sie sorgt für klare Verhältnisse in den Köpfen, dafür, dass die Narrative gefestigt sind und die Menschen wissen, was sie glauben und wen sie hassen sollen. Das war 1999 so, 2022 ebenso und aktuell natürlich wieder. Das verwundert nicht. Die Prinzipien der Kriegspropaganda sind alt und aus Sicht der Kriegstreiber altbewährt. Arthur Ponsonby hat sie 1928 nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs aufgeschrieben und seine zehn Punkte von damals gelten nach wie vor, die Hintergrund-Medienrundschau hat sie kurz nach Beginn des Krieges in der Ukraine 2022 zusammengefasst und auf die aktuelle Situation übertragen. Dies wäre (leider) auch mühelos für Israel und Gaza zu wiederholen – im Übrigen für beide Seiten.

Es ist also keineswegs verwunderlich, dass die NATO ganz besonders auf die Köpfe der Menschen schaut. Hierfür hat sich der Begriff der „kognitiven Kriegsführung“ („cognitive warfare“) etabliert, die Jonas Tögel in seinem Buch mit dem gleichen Titel erklärt, auf Basis aktueller Dokumente einordnet und in die historischen Zusammenhänge stellt. Das klingt dann leider oftmals banal, was auf der einen Seite an der spröden Darstellung liegt, worauf noch kurz zurückzukommen sein wird. Zum anderen wirkt es banal, weil die Propaganda am besten wirkt, wenn sie einfach ist und mit primitiven Mitteln arbeitet. Aber mit dem Wissen um Propaganda und ihre Wirkung ist es nicht getan. Sie wirkt immer wieder neu und wer sie einmal durchschaut hat, läuft trotzdem Gefahr, beim nächsten Mal von der Wucht der Worte und Bilder mitgerissen zu werden.

Ein zweites Buch, wie das von Tögel im Frankfurter Westend Verlag erschienen, kommt als „Kleines Erste-Hilfe-Büchlein gegen Propaganda“ daher und verspricht, uns dabei zu unterstützen, den Verstand in einer verrückten Welt zu bewahren. Allein das ist aller Ehren wert. Dabei kommt das Buch selbst nicht ohne Mittel der Propaganda aus, wobei diese in diesem Fall vielleicht eher Werbung genannt werden sollte. Auf dem Cover prangt nämlich groß der Hinweis, Rainer Mausfeld habe das Vorwort geschrieben. Dass dieses aus gerade einmal zwei Absätzen auf gut einer halben Seite besteht, steht dort nicht. Und auch nicht, dass die laut Mausfeld „messerscharfen Analysen“ der Autorin Caitlin Johnstone zunächst als Blogbeiträge auf ihrer Website entstanden sind und nun vom Verlag ins Deutsche übertragen sowie mit jeweils launigen Merksätzen nach jedem Kapitel versehen wurden. Die Zusammenstellung passt, die Merksätze sind unnötig, weil banal und oftmals nur am Rande mit dem vorher Gesagten zu tun haben.

Helfen Bücher wie die von Tögel und Johnstone gegen Propaganda? Zum Teil. Allerdings werden nur diejenigen, die ohnehin ein gewisses kritisches Bewusstsein entwickelt haben, zu den Büchern greifen. Sie können sie nutzen, um in ihrem Umfeld der allgegenwärtigen Propaganda zu widerstehen und unter Umständen in der richtigen Situation auch die richtigen Dinge zu sagen. Schließlich gelingt es oft nicht, zur rechten Zeit schlagfertig zu sein. Caitlin Johnstones Buch enthält viele wichtige Merksätze, die für solche Fälle gut sind. Merksätze auf dem Niveau und mit der Tiefe von Social Media Posts. Was in Zeiten der intellektuellen Verödung gerade auch aufgrund von Social Media vielleicht notwendig ist. Hierzu ein paar Beispiele.

Anti-Propaganda für Social Media

Beispiel 1: Ihr Gegenüber verteidigt die Löschorgien auf Twitter, Facebook und Co. Es handele sich ja um Privatunternehmen, die dürften schließlich selbst entscheiden, was sie zulassen und was nicht. (Das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz und den Medienstaatsvertrag lassen wir mal unter den Tisch fallen.)

Caitlin Johnstone: „In einem totalitären Regine zensiert Ihre Regierung Ihre Rede, wenn Sie etwas Unerlaubtes sagen. In einer freien Demokratie befiehlt Ihre Regierung den Unternehmen, Ihre Rede zu zensieren, wenn Sie etwas Unerlaubtes sagen.“ (S. 24)

Beispiel 2: Ihr Gegenüber verteidigt die Zensur von bestimmten Meinungen, weil diese gefährlich für das Allgemeinwohl seien. Schließlich müsse man sich gegen Russland, einen Virus und generell Extremismus schützen.

Caitlin Johnstone: „Die Mächtigen haben nicht die Idee propagiert, dass die Kontrolle von Sprache notwendig ist, weil sie Viren stoppen, Randgruppen schützen, ausländischen Einfluss bekämpfen und den Extremismus im Inland eindämmen wollen, sie drängen auf die Kontrolle der Sprache, weil sie die Sprache kontrollieren wollen.“ (S. 56f.)

Beispiel 3: Jemand – vermutlich ein Politiker oder jemand, der einer werden will – verteidigt die Geheimhaltung von politischen Informationen. Einiges könnte die Menschen verunsichern.

Caitlin Johnstone: „Wie Julian Assange einmal sagte: ,Die überwältigende Mehrheit der Informationen ist geheim, um die politische Sicherheit zu schützen, nicht die nationale Sicherheit.‘ Die Menschen sollten nicht dafür bestraft werden, dass sie die Geheimnisse der Regierung preisgeben, sondern die Regierungen sollten dafür bestraft werden, dass sie Geheimnisse vor den Menschen haben.“ (S. 86)

Beispiel 4: Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie mit der Kritik an der US-Politik doch nur Russland nützen.

Caitlin Johnstone: „Für einen reifen Erwachsenen ist Kritik an der US-Außenpolitik nichts anderes als Kritik an der US-Außenpolitik, etwas das jeder ständig äußern sollte. Für ein von Propaganda verwöhntes Kleinkind ist es ein Kampf zwischen Gut und Böse, und wenn man nicht das eine ist, muss man zwangsläufig das andere sein.“ (S. 95)

Aufklärung auf banale Art

Wie gesagt, die Beispiele sind banal. Das weiß auch Caitlin Johnstone. „Die inneren Widersprüche des Imperiums und seine Scheinheiligkeit sind so offenkundig, dass es sich manchmal kaum lohnt, darauf hinzuweisen. Aber es muss immer wieder darauf hingewiesen werden, weil die Mehrheit der Menschen sie immer noch nicht sieht.“ Die heutige Propaganda ist Ausdruck der Banalität des Bösen, das im Gewand des Guten, der Notwendigkeit und am besten auch der Menschenrechte und des Völkerrechts daherkommt. Oder wie sonst sollte man die vielfältige Doppelmoral beschreiben? Caitlin Johnstone, die die Welt aus dezidiert linker Perspektive betrachtet und analysiert, findet treffende Worte in ihren Texten. Das Buch kann in jedem Fall dabei helfen, an den Zeiten nicht zu verzweifeln: „Die Zeiten sind hart und sie werden noch härter, aber wir können das Ruder herumreißen. Bitte seien Sie in der Zwischenzeit nett zu sich selbst.“

Um sich selbst etwas Gutes zu tun, sich zu vergewissern, dass man trotz aller Verrücktheit der Welt nicht selbst verrückt geworden ist, wenn man eben diese Verrücktheit zur Sprache bringt, kann man das Buch von Caitlin Johnstone lesen. Der Stoff ist zwar hart, die Lektüre gleichwohl immer leicht und bisweilen gar vergnüglich.

Die von Jonas Tögel ist es weniger. Wie gesagt, Propaganda ist letztlich banal, arbeitet mit einfachen Tricks und ist, wenn man genau hinschaut und die Scheuklappen des Mainstreams ablegt, leicht zu durchschauen. Aber da möglichst Emotionen mitspielen, Hass geschürt und die Dualität von Gut und Böse bedient wird, fällt das genaue Hinschauen und das Erkennen der Banalität schwer. Tögel schreibt diese Banalität auf.

Es ist zweifelsohne interessant, dass die NATO mittlerweile diese Techniken ganz offensiv einsetzt und dies auch nicht verheimlicht. Durch das Buch ist Tögel an vielen Stellen – auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – als Experte zu sehen und zu hören gewesen. Das Thema wird diskutiert und das Buch war kurzfristig in den Bestsellerlisten zu finden. Wer tiefer ins Thema einsteigen will, der findet zudem Quellenhinweise. Die Lektüre indes ist mühsam und ermüdend, weil Tögel viele der Banalitäten entweder aus amtlichen Dokumenten zitiert oder referiert und das alles in der trockenen Sprache, von der hier bereits die Rede war. Man kann das Buch als Nachschlagewerk nutzen, spannende Lektüre ist es nicht.

Und wie kann der Massenwirkung der Propaganda begegnet werden? Ist das überhaupt möglich, wo doch für Propaganda Millionen ausgegeben werden, während die alternativen, oppositionellen Medien nur wenige Ressourcen haben? Das ist eine gute Frage. Caitlin Johnstone meint, es helfe, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Propagandamaschine zu schwächen. Dabei kann in der Tat jeder helfen. „Man schafft es, indem man auf Menschen zugeht, ihre Herzen und ihren Verstand für sich gewinnt, ihnen zeigt, dass alles, was ihnen über ihre Nation und ihre Welt beigebracht wurde, Lügen sind, und ihnen zeigt, dass es besser werden kann.“ Auch das klingt banal und ist maximal ein Anfang. Es wird kaum reichen. Es braucht vor allem organisierte Gegenmacht. Nur gemeinsam mit Gleichgesinnten lässt sich mittel- bis langfristig das Feuerwerk von Manipulation und Propaganda aushalten.

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Jonas Tögel, Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO, Westend Verlag, 252 Seiten, 24 Euro (Bestellen bei Buchkomplizen)

Caitlin Johnstone, Kleines Erste-Hilfe-Büchlein gegen Propaganda. Wie wir unseren Verstand in einer verrückten Welt bewahren können, Westend Verlag, 144 Seiten, 16 Euro (Bestellen bei Buchkomplizen)

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