Wirtschaft

„Zeitenwende“ bringt Rheinmetall größten Einzelauftrag in 135 Jahren Unternehmensgeschichte

Das haben nicht einmal die Nazis geschafft: Dieses Jahr hat der Rüstungskonzern Rheinmetall mit der Bundesregierung einen Rahmenvertrag in Höhe von bis zu 8,5 Milliarden Euro abgeschlossen. Der höchste Einzelauftrag in der Unternehmensgeschichte. Vorabdruck aus dem neuen Buch von Fred Schumacher, das am 6. September erscheint.

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Rheinmetall erhält einen Auftrag in Höhe von bis zu 8,5 Milliarden Euro
Foto: Igor Myroshnichenko, Lizenz: CC BY, Mehr Infos

Voller Stolz führt der Rheinmetall-Vorstandsvorsitzende Armin Papperger in der Lüneburger Heide das aktuell größte Werk des Unternehmens vor. Man schreibt den 12. Juni 2024 und gekommen sind Bundeskanzler Scholz, Verteidigungsminister Pistorius und die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen. Panzer und Munition produziert das Unternehmen hier, derzeit vor allem für den Kriegseinsatz in der Ukraine.

Bereits 1899 erwarben die Düsseldorfer Rheinmetaller im Ort Unterlüß nahe Celle inmitten des Naturparks Südheide ein mehr als tausend Hektar großes Gelände zum Betrieb eines Schießplatzes zur Vorführung großkalibriger Geschütze. Nun, geschossen wird nach wie vor. Und das soll nach dem Willen Pappergers und des Zeitenwende-Wumms-Kanzlers Scholz und dessen für Kriege und Waffen zuständigen Minister in noch viel größerem Umfang auch zukünftig so weitergehen. Die hier Versammelten wollen ein Zeichen setzen für die Verteidigung, wie der Kanzler mit fester Stimme verkündet.

Und so stehen sie in einer Reihe, alle viere, jeweils mit einem gerade im Baumarkt erworbenen Spaten bewaffnet an einer frisch aufgeschütteten Sandfläche – damit das jungfräulich glänzende Arbeitsgerät locker gehandhabt werden kann – und zelebrieren gemeinsam den ersten Spatenstich für eine neue zusätzliche Munitionsfabrik. Avisierte Bauzeit: zwölf Monate. Zweihunderttausend Artilleriegranaten könne man dann herstellen, pro Jahr, finanziert natürlich über das kürzlich beschlossene Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro. Mit Großbauprojekten hat man in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten gewisse Erfahrungen gesammelt.

Vermutlich kalkuliert der russische Geheimdienst, dass mit der Fertigstellung der Fabrik etwa vier bis fünf Jahre nach Beendigung des Ukraine-Krieges gerechnet werden muss. Um diese Erkenntnis zu gewinnen, braucht man keinen Agenten vor Ort, dafür genügt routinemäßige Zeitungslektüre. Was für Papperger am genannten Milliarden-Sondervermögen für Kriegsmaßnahmen des aktuellen Bundeshaushalts interessant ist, äußert er freimütig während eines TV-Beitrags des NDR: „Wir kriegen viele dieser Gelder, und ich bin überzeugt davon, dass wir sehr schnell liefern.“

Fast genau neunundsiebzig Jahre zurück ereignete sich in Unterlüß etwas ganz anderes, etwas, von dem die im Jahr 2024 hier Versammelten nichts wissen, oder zumindest nichts wissen wollen, wenn sie denn schon mal davon gehört oder etwas darüber gelesen haben sollten. In der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1945 erschoss sich ein Mann in Unterlüß. Nun ist es unbestreitbar eine allgemein bekannte Tatsache, dass sich kurz vor und nach Ende des Zweiten Weltkriegs manch Deutscher oder Österreicher selbst das Leben nahm. Meist handelte es sich um Fälle von Davonstehlen aus der Verantwortung für das, was die betreffende Person in den „Tausend Jahren“ zwischen 1933 und 1945 getrieben hatte. Was kann dieser uralte Selbstmord mit der stolzen Spatenstichveranstaltung von heute zu tun haben? Rein gar nichts, oder etwa doch?

Herr Papperger bringt dreißig Jahre Erfahrung mit in Diensten des Rüstungskonzerns Rheinmetall, und er weiß, dass man das Eisen schmieden muss, solange es heiß ist, wenn man was erreichen will, genauer, wenn ein möglichst großer Teil der Steuergelder in der eigenen Tasche landen soll. Also warnte er vor dem Scheitern der Zeitenwende, berichtet das Handelsblatt am 3. Mai 2024. Wenn das Sondervermögen aufgebraucht sei, fehlten jährlich 30 Milliarden Euro. Ohne ein neues Finanzierungspaket drohe die Zeitenwende zu einem Strohfeuer zu werden. Ort der eindringlichen, natürlich ausschließlich im Interesse der Verteidigung unseres Landes vorgebrachten Warnung war eine Veranstaltung der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung im traditionsreichen Düsseldorfer Industrieclub. Der 61-Jährige ist laut der Zeitung gerade jetzt ein gefragter Mann, und zwar insbesondere für die Ampel, wenn es um Fragen der Aufrüstung und der Ukraine geht.

Die Bundesregierung müsse ein neues Paket schnüren, sagt er und meint damit genau die weiteren dreißig Milliarden jährlich für Aufrüstung, deren Fehlen er ein paar Tage zuvor schon angemahnt hatte. Und wie aus diesen Äußerungen hervorgeht, ist Papperger guter Dinge, dass seine Ideen auf fruchtbaren Boden fallen. Sogar die Grünen hätten erkannt, dass Menschenrechte wichtiger seien als Pazifismus. Diese Argumentation ist nicht schlüssig, es sei denn, er meint, dass es sein und das Menschenrecht der Rheinmetall AG sei, sich einen guten Teil des Kuchens zu sichern.

Wie dem auch sei, die Wünsche zur weiteren Aufstockung des Geldsegens für den Verteidigungshaushalt durch den Vorstandsvorsitzenden des aktuell größten deutschen Rüstungskonzerns sind bei der Bundesregierung auf fruchtbaren Boden gefallen. Schon am 20. Juni 2024 bringt Zeit Online eine dpa-Meldung:

Als Folge des Ukraine-Krieges hat der Rüstungskonzern Rheinmetall einen so großen Auftrag bekommen wie nie zuvor in seiner Firmengeschichte. Das Unternehmen teilte am Donnerstag in Düsseldorf mit, dass man von der Bundeswehr einen Rahmenvertrag für Artilleriemunition im Wert von bis zu 8,5 Milliarden Euro erhalten habe.1

Zurück in die Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1945 in Unterlüß. Neun Jahre zuvor hatte der Düsseldorfer Rüstungskonzern den wirtschaftlich angeschlagenen Berliner Lokomotivenbauer Borsig geschluckt und firmierte fortan als Rheinmetall-Borsig AG. Seit dem ersten Kriegsjahr 1939 bis in besagte Sommernacht kurz nach Kriegsende war Hellmuth Röhnert, so der Name des Selbstmörders, als Vorstandsvorsitzender einer der Vorgänger des heutigen Rheinmetallchefs gewesen.2

Ob er makabrerweise für seine Tat den Schießplatz des Konzerns in der Heide wählte, ist kaum mehr feststellbar. Eine Anfrage an das in dieser Region erscheinende Presseerzeugnis Cellesche Zeitung erbrachte folgende Auskunft: „Am 8. April 1945 war der Bombenangriff auf Celle. Von da an sind wir bis zum 21. September nicht erschienen.“ Röhnert war seinerzeit ein prominenter Mann mit einer für seine Geschäftsfreunde makellosen Historie. Schon 1932 war der ehemalige Soldat des Ersten Weltkriegs in die NSDAP eingetreten. Dennoch gelangte er nie in die Position, eine Rede im Düsseldorfer Industrieclub halten zu dürfen. Diese Ehre musste er seinem Führer Adolf Hitler überlassen.

Schon vor der Übernahme des Chefpostens bei Rheinmetall hatte Röhnert ab 1933 die Busch-Jaeger Lüdenscheider Metallwerke AG geleitet. Er und sein Freund Karl Rasche, über den noch einiges zu sagen sein wird, machten Karriere, waren aktiv bei der Planung der Angriffskriege des Deutschen Reichs und füllten sich ganz nebenbei die eigenen Taschen. So war es denn auch folgerichtig, dass Rasche bei der Rheinmetall-Borsig AG eine wichtige Funktion übernehmen sollte. Röhnert und Rasche gehörten zum Freundeskreis des Reichsführers SS Heinrich Himmler, zu dem nur handverlesene, bedingungslos dem Nationalsozialismus ergebene Persönlichkeiten eingeladen wurden.3

Auf der Rheinmetall-Homepage sucht man diese Namen und Zusammenhänge der Firmengeschichte vergeblich. Bemerkenswert knapp kann der interessierte Leser hier über die in Frage stehenden Jahre nur folgendes entnehmen (Stand Juli 2024):

1936 Fusion von Rheinmetall und Borsig zur Rheinmetall-Borsig AG. 1938 Verlegung des Firmensitzes von Düsseldorf nach Berlin. 1940-1945 Zunehmende Kontrolle der Rüstungsproduktion durch das Reich über den ‚Beauftragten für den Vierjahresplan‘“.4

Buchcover “Waffen für die Welt” (Das Neue Berlin)
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Massenweiser Einsatz von deutschen und ausländischen Zwangsarbeitern in allen Werken der Rheinmetall-Borsig AG. 1944-1945 Beschädigung und Zerstörung von Produktionsstätten durch Luftangriffe, deshalb Produktionsverlagerung in zahlreiche Orte der späteren DDR und des heutigen Polens. 1945 Kriegsende und Produktionsverbot durch Militärregierung.“

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch: Fred Schumacher: Waffen für die Welt. Rheinmetall und das Geschäft mit dem Krieg, Das Neue Berlin, 112 Seiten, 10 Euro

Quellen

1 Siehe Rüstungsindustrie: Rheinmetall bekommt größten Auftrag seiner Firmengeschichte (2024) ZEIT ONLINE. Verfügbar unter: https://www.zeit.de/news/2024-06/20/rheinmetall-bekommt-groessten-auftrag-seiner-firmengeschichte

2 Zu Leben und Tod des Genannten durch Selbstmord siehe Budraß, Lutz: „Röhnert, Hellmuth – Deutsche Biographie“. https://www.deutsche-biographie.de/pnd139266992.html.

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3 Siehe Bartel, Horst u. a. (Hrsg.): Sachwörterbuch der Geschichte Deutschlands und der deutschen Arbeiterbewegung. Band 1, Berlin, 1969, S. 639; Deutsche Biografie zu Karl Rasche Wixforth, Harald: „Rasche, Karl – Deutsche Biographie“: https://www.deutsche-biographie.de/sfz104370.html.

4 Vgl. 1936-1950 Rheinmetall. Verfügbar unter: https://www.rheinmetall.com/de/unternehmen/historie/1936-1950

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