Konzerumbau

Zukunft Bahn – „Jeder Stein wird umgedreht“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Nach erheblichen Verlusten im laufenden Geschäftsjahr wartet Bahnchef Rüdiger Grube mit einem radikalen Konzerumbau auf. Gewerkschaften sind skeptisch, auch Kunden sollten sich nicht zu früh freuen.

Passend zur Weihnachtszeit breitete die Deutsche Bahn AG am Donnerstag in Berlin ihren reich gedeckten Gabentisch aus. Der Konzernvorstand versprach unter anderem bereits für das kommende Jahr mehr Pünktlichkeit und Sauberkeit der Züge sowie eine konsequente Serviceorientierung des gesamten Unternehmens. Gleichzeitig soll auch der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens nachhaltig gesichert werden. Ein entsprechendes Programm mit dem Titel „Zukunft Bahn“ war am Vortag dem Aufsichtsrat vorgestellt worden. Man habe im Vorfeld des Programms “jeden Stein in der DB umgedreht“. Jetzt werde man „angreifen“, versicherte Vorstandschef Rüdiger Grube.

Der Anlass für den Konzernumbau liegt auf der Hand. Erstmals seit 2003 wird die bundeseigene DB AG im laufenden Geschäftsjahr einen Verlust zu verzeichnen haben und zwar in Höhe von über einer Milliarde Euro. Zu den Ursachen gehören die Ertragsschwäche der inländischen Schienenverkehrssparten, die Kosten für den Unternehmensumbau und „Sonderbelastungen“ wie beispielsweise der (letztendlich erfolgreiche) Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) für einen eigenständigen Tarifvertrag für das gesamte Zugpersonal. Der Arbeitskampf hat das Konzernergebnis mit rund 100 Millionen Euro belastet. Und natürlich geht es bei dem Zukunftsprogramm auch um den Kopf von Grube. Über die Verlängerung seines Ende 2017 auslaufenden Vertrages will die Bundesregierung im kommenden Jahr entscheiden und derzeit stehen seine Chancen nicht sonderlich gut, ist zu vernehmen.

Der Umbau betrifft zunächst einmal die Konzernstruktur. Bereits im Sommer hatte Grube seinen Vorstand von acht auf sechs Mitglieder verkleinert und einige Ressorts zusammengelegt. Ferner wurden Doppelstrukturen der Holding-Konstruktion, die einst für den geplanten Börsengang der Bahn eingerichtet wurden, ebenso abgeschafft wie einige Hierarchieebenen. Dafür wurde eine neue geschaffen. Das „Team Zukunft Bahn“ soll laut Grube den „Transformationsprozess koordinieren“. Es besteht aus Grubes Stellvertreter Volker Kefer, den Vorstandsmitgliedern Berthold Huber (Fern- und Güterverkehr), Ulrich Weber (Personal) und den Vorstandschefs der einzelnen Bahnsparten.

Was diese Strukturveränderungen letztlich bewirken werden, sei dahingestellt. Zumindest etwas konkreter wird das Programm „Zukunft Bahn“ bei den geplanten Investitionen und den Geschäftszielen.  In den kommenden fünf Jahren sollen insgesamt 55 Milliarden Euro investiert werden, davon 40 Milliarden in die Infrastruktur. Der Großteil der Mittel wird aus Bundeszuschüssen beziehungsweise dem Cash-Flow des Unternehmens bereitgestellt werden, doch der Konzern will auch neue Kredite aufnehmen. Bis zum Jahr 2020 könnte der Schuldenstand um über fünf Milliarden auf 22 Milliarden Euro steigen, was allerdings angesichts der nachhaltigen Wertigkeit der Investitionen kein betriebswirtschaftliches Problem sei, so Finanzvorstand Richard Lutz. Man rechne damit, dass sich die Kapitalkosten binnen weniger Jahre durch höhere Erlöse amortisieren würden. Allerdings prüfe man auch die Möglichkeit, Anteile an den  international tätigen Verkehrs- und Logistiktöchtern DB Arriva und DB Schenker zu verkaufen. Wie belastbar die mittelfristige Finanzplanung der Bahn AG wirklich ist, lässt sich schwer einschätzen. So kommt ein aktuelles Gutachten zu dem Schluss, dass alleine die Kosten für den Neubau des lange Zeit umkämpften neuen Stuttgarter Hauptbahnhofs (S21) um mehrere Milliarden Euro steigen könnten.

Obwohl Grube beteuerte, dass es sich bei „Zukunft Bahn“ „nicht um ein Stellenabbauprogramm“ handele, ist in einigen Sparten des Konzerns dennoch mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten zu rechnen. Im Bereich Schienengüterverkehr, der maßgeblich zum schlechten Jahresergebnis der Bahn beigetragen hat, stehen nach derzeitigen Stand 2 600 der insgesamt 30 000 Stellen zur Disposition. Die Sparte solle „saniert“ und modernisiert werden, beispielsweise durch neue Trassen und gebündelte Systemverkehre, um anschließend, also ab dem Jahr 2018, wieder wachsen zu können.

Noch nicht beziffert sind die Arbeitsplatzverluste im Bereich Instandhaltung und Wartung. Fest steht allerdings, dass mehrere Bahnwerke geschlossen beziehungsweise verkauft werden sollen, da das Unternehmen verstärkt auf mobile Wartung setzen will, was nach Vorstandsangaben sowohl Kosten sparen als auch die Wartungsqualität erhören würde. Personalvorstand Ulrich Weber verwies in diesem Zusammenhang auf die „funktionierende Sozialpartnerschaft“ in dem Unternehmen. Betriebsbedingte Kündigungen seien durch tarifvertragliche Regelungen faktisch ausgeschlossen, es gebe einen konzernweiten Arbeitsmarkt sowie umfassende Möglichkeiten zur Umschulung und Fortbildung. Der Konzern, so Weber, habe stets einen sehr hohen Bedarf an qualifizierten Beschäftigten. Für jene Kollegen, die dann möglicherweise ein Angebot fernab ihres Wohnortes erhalten, ist das allerdings nur ein schwacher Trost. Weber versprach, dass man im Januar intensive Gespräche mit den beiden Bahngewerkschaften EVG und GDL beginnen werde, um derartige Fragen zu erörtern.

Der von Grube skizzierte „Angriff“ soll jedenfalls die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn stärken und auf diesem Weg zu höheren Marktanteilen führen. Im Regionalverkehr, der von den regionalen Verkehrsverbünden ausgeschrieben wird, will man künftig mindestens 70 Prozent aller Neuausschreibungen gewinnen. Empfindliche Rückschläge, wie jüngst den Verlust der stark frequentierten Strecken des Rhein-Ruhr-Express an die privaten Konkurrenzunternehmen Abellio und National Express,  sollen sich nicht wiederholen. Bis zum Jahr 2020 sollen drei Milliarden Euro in die Regiosparte investiert werden, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern.

Doch der Bahn AG ist durchaus bewusst, dass das schlechte Image des Unternehmens vor allem von Unpünktlichkeit, schlechtem Service und einer unübersichtlichen Preisstruktur im Fernverkehr geprägt ist. Bereits im kommenden Jahr sollen mindestens 80 Prozent aller Züge pünktlich sein, derzeit sind es weniger als 75 Prozent. Die so genannte Reisekettenpünktlichkeit, also die Einhaltung der terminierten Ankunft nach Umsteigeverbindungen soll mittelfristig auf deutlich über 90 Prozent steigen. Zur Erreichung dieser Ziele soll neben verbesserter Schieneninfrastruktur und Signaltechnik auch die allmähliche Erneuerung des Fuhrparks beitragen, die nach langen Lieferverzögerungen nunmehr in vollem Gange sei, so Kefer. Durch neue Informationssysteme sollen die Kunden zudem schneller und präziser über mögliche Verspätungen und Ausfälle informiert werden. Ärgernisse wie falsche Gleisangaben und Zugreihungen  und das „Phänomen der von unseren Anzeigetafeln verschwindenden Züge“ würden bereits Ende 2016 der Vergangenheit angehören, versprach Vizevorstandschef Kefer. Etwas länger wird es mit WLAN-Ausstattung aller Züge und Bahnhöfe dauern. Diese soll laut Vorstand bis zum Jahr 2020 abgeschlossen sein. Und bislang nur Zukunftsmusik ist die komplette Ausrüstung des Schienennetzes mit der digitalen europäischen Zugsicherungstechnik ETCS, die eine wesentlich effektivere Nutzung des Netzes ermöglichen würde. Durchgreifende Änderungen am schwer durchschaubaren Preissystem sind dagegen nicht geplant. Man werde allerdings noch flexibler mit Sonderangeboten wie dem 19-Euro-Ticket auf die jeweilige Marktlage eingehen, kündigte Finanzvorstand  Lutz an. Und er verwies darauf, dass mit solchen Angeboten im laufenden Jahr viele neue Kunden gewonnen werden konnten.

Man habe sich „ehrgeizige Ziele vorgenommen“ und werde „hin und wieder auch feststellen, dass das eine oder andere nicht so funktioniert, wie geplant“, dämpfte Kefer zum Abschluss der Präsentation allzu hohe Erwartungen. Aber er glaube „an die Zukunft der Bahn“.

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Das tun die in dem Unternehmen vertretenen Gewerkschaften EVG und GDL auch, doch das Misstrauen gegenüber dem Management ist deutlich zu spüren. Viele Fehlentwicklungen seien eine direkte Folge der gescheiterten Börsenpläne, so der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky im Inforadio des rbb. Zudem habe Bahnchef Grube zu spät erkannt, wie tief das Missmanagement beim Bahnkonzern gesessen habe: „Er hat schlicht vier Jahre ungenutzt verstreichen lassen, um den Eisenbahnverkehr wieder besser zu organisieren.“

Auch bei der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) äußert man sich zurückhaltend zu dem Programm „Zukunft Bahn“.  Für mehrere Sparten und besonders für den „Fahrzeuginstandhaltung und Werke”, fehle es an einer langfristigen Strategie „die nachvollziehbar deutlich macht, wohin die Reise geht”, erklärte der EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner am Mittwoch nach der Aufsichtsratssitzung. Insbesondere seien die Auswirkungen auf die Beschäftigung der Mitarbeiter aus Sicht der EVG unzureichend dargestellt worden. Kirchner beharrte auch darauf, dass der Aufsichtsrat, dessen stellvertretender Vorsitzender er ist, dem Programm keineswegs zugestimmt, sondern es lediglich zur Kenntnis genommen habe”, so Alexander Kirchner. Anderslautende Mitteilungen des Bahnvorstandes seien „irreführend“. Alle Maßnahmen, die zu einer Verbesserung der Pünktlichkeit und Qualität der Deutschen Bahn beitragen, „werden von uns hingegen mitgetragen, sofern bei der Umsetzung bestehende Sozial – und Tarifstandards nicht infrage gestellt werden”, machte Kirchner deutlich.

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