Wirtschaft Inland

Es stinkt nach EU-Agrarreform

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Landwirtschaftskonzerne und Nahrungsmittelindustrie kassieren Brüsseler Euro-Milliarden – 

Von VOLKER BRÄUTIGAM, 14. Oktober 2013 –

Ilse Aigner, CSU, Fehlbesetzung im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, nahm von dort zum 1. Oktober zwar endlich ihren Abschied, es bleibt jedoch ein penetranter Gestank von Unrat. Er entströmt dem jüngsten „Kompromiss“ zwischen EU-Landwirtschaftsministerrat, EU-Kommission und EU-Parlament. Der beendet die Debatte über die mittelfristige Agrarpolitik der Union bis zum Jahr 2020. Aigner hat ihn durchgesetzt und sich, um hohle Phrasen nie verlegen, dafür indirekt gleich selbst belobigt: „Ein guter Tag für die Landwirtschaft und die Verbraucher in Deutschland.“

Gut? Von wegen. Laut Vorlage für die mittelfristige Gemeinsame Agrarpolitik, GAP 2020, sollen in die EU-Landwirtschaft 386,5 Milliarden Euro fließen, und zwar 281,8 Milliarden Euro direkt an die Bauern, weitere 89,9 Milliarden Euro in Agrarumweltprogramme. Der Rest dient Subventionen zur „Marktordnung“. Dabei handelt es sich beispielsweise um Ausgaben für staatlichen Aufkauf, Lagerung und Absatzförderung. Diese Subventionen sind das unmittelbarste Instrument der EU zur Manipulation der Nahrungsmittelpreise.

Ein Schurkenstück ist dieser „Kompromiss“, und nicht nur deutsche Verbraucher und Kleinlandwirte werden die kommenden sechs Jahre daran laborieren. Er schädigt auch den Nahrungsmittel-Weltmarkt. Europa wird weiterhin mit seinen Agrarüberschüssen zu staatlich subventionierten Dumpingpreisen die Infrastruktur vieler Entwicklungsländer ruinieren. Die Dritte Welt kann unter den ungleichen Vermarktungsbedingungen einfach nicht gegen die Erste konkurrieren, nun auch für weitere sechs furchtbare Jahre nicht.

Zum ersten Mal darf über den Sechs-Jahres-Plan auch das Europäische Parlament befinden, kann ihn allerdings nur in Gänze annehmen oder ablehnen. Korrigieren darf es ihn nicht. Im November wird abgestimmt, quasi auf den letzten Drücker. Dass die „Reform GAP 2020“ am 1. Januar 2014 in Kraft tritt, gilt als sicher.

Nochmals Ilse Aigner, ganz Wurmfortsatz der Agrarlobby: „Damit wird eine Basis für stabile ländliche Räume und eine nachhaltige Landwirtschaft in Verbindung mit mehr Umwelt- und Naturschutz gelegt.“ Umwelt- und Verbraucherschützer halten die GAP-Reform für grandios gescheitert.

EU-Kommissar Dacian Cioloş hatte den hochfliegenden Plan, eine ökologisch und wirtschaftlich vernünftige, sozial gerechte Agrarreform durchzusetzen (s. V. B., „Der gute Kommissar aus Rumänien“, Ossietzky 23/10). Die Landwirtschaftsminister, darunter auch sein rumänischer Amtsbruder, haben ihn gegen die Wand laufen lassen. Was sie zur GAP-„Reform“ zurechtkneteten, ist nicht mehr geeignet, die wesentlichen Übel der EU-Landwirtschaft bei der Wurzel zu packen: die monströsen Überschüsse an Getreide, Fleisch, Milch, Zucker; die Verursachung gewaltiger Umweltschäden; die soziale Schlagseite infolge des „Kleinbauernsterbens“ einerseits und der Monopolisierung der Agrarindustrie andererseits.

Die GAP ruht auf zwei „Säulen“. Überdimensioniert ist Säule 1: Direktzahlungen an die landwirtschaftlichen Betriebe, außerdem Subventionen zur Marktordnung; zusammen 75 Prozent der Agrarausgaben. Wesentlich kleiner die Säule 2: Förderung der ländlichen Entwicklung: Agrarumweltprojekte, Ausgleichszulagen für naturbedingt benachteiligte Gebiete, Förderung von Bildungsmaßnahmen, Unterstützung der Diversifizierung (Erschließung neuer Einkommensquellen) im ländlichen Raum und schließlich die Förderung von lokalen Initiativen zur Entwicklung der Region.

Der Agrarsektor ist mit fast 42 Prozent der dickste Brocken im Haushalt der Europäischen Union. Das Grundproblem: Großbauern und Agrarkonzerne kassieren davon den Löwenanteil. In Deutschland streichen die 2 900 Größten, das heißt ein Prozent aller Betriebe, insgesamt neun Prozent „unserer“ Tranche an den Brüsseler Zuwendungen ein. Sie erhalten jeweils mindestens eine halbe Million Euro, einige sogar mehrere Millionen – jährlich.

Einst sollte die Förderung der europäischen Landwirtschaft deren Produktivität bis zur Selbstversorgungsfähigkeit der Union mit Nahrungsmitteln steigern. Sie sollte die EU auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig machen, nicht aber ihre Marktbeherrschung finanzieren. Längst ist die Politik über die vernünftigen Ziele hinausgeschossen. Maßvolle Förderung ist zum unmäßigen Tribut an die Bauernmacht mutiert.

Cioloş wollte umsteuern: Weniger Direktzahlungen, mehr regionale Strukturförderung. Er wollte sozialen und ökologischen Wandel, weg von der Agrarindustrie, hin zum Biobauerntum. Sein Konzept: mindestens 30 Prozent des EU-Agraretats der Strukturförderung der ländlichen Räume widmen. Fünf Prozent der intensiv bewirtschafteten Fläche stilllegen. Auf sieben Prozent der verbleibenden Flächen ausschließlich biologischen Anbau zulassen. Direktzahlungen je Großbetrieb bei 300.000 Euro „deckeln“. Den Überschuss im Gegenzug in hunderttausende Kleinbetriebe mit weniger als 40 Hektar Land stecken. 30 Prozent Anteil aller Direktzahlungen überhaupt nur unter ökologischen Auflagen anweisen.

Der Kommissar fand nicht nur den Beifall der Verbraucher- und der Umweltschützer. Auch viele EU-Parlamentarier unterstützten ihn. Alle haben sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Speziell ohne Ilse Aigner, bis dato Vertreterin der „Supermacht“ Deutschland im EU-Agrarministerrat. Sie und der Rat ließen von dem Reformprojekt nur ein wenig Fassadengrün übrig. Als erstes entfernten sie den Zuschuss-„Deckel“. Selbst Millionengeschenke an einzelne Großbetriebe bleiben weiter zulässig.

Direktzahlungen von mehr als 150.000 Euro pro Betrieb sollen zwar künftig um fünf Prozent gekürzt und zu 30 Prozent mit ökologischen Auflagen verknüpft werden, aber die Minister ließen mittels Zusatzbestimmungen und Anrechnungsformeln Hintertürchen im Format von Scheunentoren offen. Beispiel: Die Begünstigten können Ausgaben für zusätzliche Arbeitskräfte mit der Fünf-Prozent-Kürzung verrechnen. Was nichts anderes bedeutet, als dass die EU den Großbetrieben die Arbeitslöhne für Neueingestellte bezahlt.

Ebenso typisch: Statt der ursprünglich gewollten fünf Prozent Flächenstilllegung können auf sogenannten ökologischen Ausgleichsflächen – für die selbstredend die allgemeinen Zuschussregeln gelten – Eiweißpflanzen angebaut werden. Dünger und Pflanzenschutzgifte sind zwar nicht mehr erlaubt, aber die Betriebe legen da häufig nur relativ anspruchslose Felder von Süßlupine, Sonnenblumen oder Soja an. Die geben Kraftfutter für die Massentierhaltung. Oder gelangen gar in die Biogasanlage. So rinnt eine gute Idee in die Gülle der Praxis.

Das „Meisterstück“ der Reform: Den Mitgliedsstaaten bleibt es unbenommen, zwischen den „Säulen“ zu variieren, „bei Bedarf“ beziehungsweise auf Antrag Zahlungen anzuheben, Betriebe von Auflagen zu befreien und weitere Leistungen an die Bauern aus den nationalen Agrarhaushalten zu finanzieren. Freie Hand für die Aigners und Konsorten, die politischen Liebediener, die überall in der EU mit den Agrarbaronen und den Konzernbonzen der Lebensmittelindustrie unter einer Decke stecken.

Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland, BUND: „Milliarden an Steuergeldern sollen weiter ohne verbindliche Gegenleistung an die Agrarindustrie verschenkt werden. Sie tragen dazu bei, dass die Natur zerstört, Mensch und Tier krank werden und kleinere bäuerliche Betriebe zugrunde gehen.“ Das ist nicht zu widerlegen.

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Landwirte sollten Zuschüsse aus Brüssel grundsätzlich nur nach sozialen Kriterien erhalten und endlich nur für strikt kontrollierte Umwelt- und Tierschutzleistungen. Der EU-Kommissar und das ohnehin nur begrenzt entscheidungsbefugte EU-Parlament können solcher Vernunft vorerst nicht zum Sieg verhelfen. Das bleibt folglich Aufgabe der mitweltbedachten Bürger, der Verbraucher, der Wähler.

Wiedergabe mit freundlicher Erlaubnis der Politikzeitschrift Ossietzky.

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