Weltwirtschaft

Ölpreisverfall verschärft Krise in Venezuela

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

1421153645

Von SEBASTIAN RANGE, 13. Januar 2015 – 

Um die Zukunft des „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ in Venezuela steht es schlecht bestellt. Der niedrige Ölpreis droht der linken Regierung unter Präsident Nicolás Maduro das politische Genick zu brechen. Das südamerikanische Land verfügt über die weltweit größten nachgewiesenen Ölvorkommen und ist extrem vom Export des „schwarzen Goldes“ abhängig: Rund 90 Prozent der Deviseneinnahmen speisen sich aus seinen Ölexporten, der Staatshaushalt finanziert sich zur Hälfte aus dem Ölgeschäft. Der Preis für einen Barrel (159 Liter) venezolanischen Erdöls hat sich seit September, als er noch bei 95 US-Dollar, inzwischen halbiert.

Das hat die ohnehin galoppierende Inflation – 2014 betrug sie 62 Prozent, im Vorjahr 56 Prozent – noch einmal beflügelt. Neben dem dadurch verursachten Kaufkraftverlust ist es vor allem die schlechte Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs sowie die horrende Verbrechensrate, die 2014 noch einmal angestiegen ist, die zu immer größeren Unmut in der Bevölkerung führen.

Den 1998 mit Hugo Chavez an die Macht gekommenen bolivarischen Revolutionären ist es in sechzehn Jahren Regierungszeit nicht gelungen, die Wirtschaft des Landes nennenswert zu diversifizieren, die Industrieproduktion voranzutreiben und das Land somit unabhängiger vom Rohstoff-Export zu machen. Dass sie seit über einem Jahrzehnt dennoch von Wahlsieg zu Wahlsieg eilen konnten, ist ihren Erfolgen auf sozialpolitischen Gebiet zu verdanken, der ihnen den Rückhalt unter den ärmeren Bevölkerungsteilen bislang gesichert hat.

Glaubt man einer aktuellen Umfragen des der Opposition nahestehenden Meinungsforschungsinstituts Datanálisis, dann befinden sich nicht nur die Ölpreise im freien Fall, sondern auch die Zustimmungswerte für die sozialistische Regierung. Laut dieser kommt Präsident Maduro nur noch auf 22 Prozent, die regierende Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) gar nur auf auf Zustimmungswerte von sechzehn Prozent (1) – schlechte Vorzeichen für die Ende des Jahres angesetzten  Parlamentswahlen.

Trotz der Ölpreis-bedingten Einnahmeverluste des Staates, die Maduro jüngst auf 35 bis 40 Prozent bezifferte, will seine Regierung unter allen Umständen an den unter der Bezeichnung „Misiones“ bekannt gewordenen Sozialprogrammen festhalten. Im für 2015 veranschlagten Haushalt von rund 118 Milliarden Dollar sind etwa sechzig Prozent für den Sozialetat eingeplant. Die „Misiones“ stellen unter anderem eine flächendeckende, kostenlose medizinische Versorgung sicher, umfassen kostenfreie Bildungsangebote und stärken den sozialen Wohnungsbau. Um eine Reduzierung der Staatsausgaben kommt die Regierung jedoch nicht umhin. Eine im November gebildete Sonderkommission soll nun die Einsparpotentiale des Staates ausloten. Zunächst soll es an die Gehälter in Ministerien und Führungsetagen der staatlichen Unternehmen gehen, einschließlich der der Minister und des Präsidenten.

Der fallende Ölpreis sei ein Schlag, aber auch eine Gelegenheit, um mit überflüssigen und luxuriösen Ausgaben Schluss zu machen und das Land auf „eine Optimierung seiner tatsächlichen Ressourcen mit größtmöglicher Effizienz“ zu orientieren, zitiert das Nachrichtenportal Amerika21 aus einer Fernsehansprache des Präsidenten. (2)

Man werde den Rückgang des Ölpreises verkraften, erklärte Maduro. Auch Außenminister Rafael Ramírez versicherte, die Ölpreiskrise werde den eigenen Entwicklungsplan nicht zunichte machen. „Wir haben eine solche Situation schon 2008 erlebt, als der Preis von 140 auf 35 Dollar fiel“, so Ramírez, der über lange Zeit Ölministers des Landes war.

Doch die Finanzierung der Sozialprogramme, von der das politische Überleben der Regierung maßgeblich abhängen dürfte, ist alles andere als gesichert. Denn Caracas geht bei der Berechnung des Jahresbudgets von ziemlich optimistischen Werten aus: Eine Wachstumsrate von drei Prozent, eine Inflation von „lediglich“ dreißig Prozent und ein Öl-Barrel-Preis von 60 US-Dollar.

Zu optimistisch in den Augen der US-Ratingagenturen. Die Finanzbewerter von Fitch senkten die Bonität Venezuelas vergangene Woche auf „CCC“ herab – nur bei günstiger Entwicklung sind demnach keine Zahlungsausfälle zu erwarten.

Laut Prognose der US-Ratingagentur werde das südamerikanische Land 2015 in der Rezession verharren. Wall Street-Analysten reden bereits von einem drohenden Staatsbankrott. Derzeit verfügt Venezuela über Devisen im Wert von gut 20 Milliarden US-Dollar „Das ist etwa die Hälfte des Niveaus von Ende 2008, als Venezuela zuletzt einem scharfen Ölpreisrückgang im Zuge der internationalen Krise gegenüberstand“, erklärte Fitch. Insgesamt muss das Land 2015 Staatsanleihen in Höhe von über 30 Milliarden US-Dollar zurückzahlen. Durch die Herabstufung der Bonität wird die Schulden-Neuaufnahme zudem verteuert.

Caracas sieht sich US-Wirtschaftskrieg ausgesetzt

Für die durch den niedrigen Ölpreis ausgelöste diffizile Lage mach die venezolanische Regierung Washington verantwortlich, das den Preis des Rohstoffes als Waffe in einem Wirtschaftskrieg einsetze. Die US-Regierung habe „einen Krieg geplant, um Russland und Venezuela zu zerstören. Um uns zu rekolonialisieren, unsere Unabhängigkeit und Revolution zu zerstören“, sagte Maduro zum Jahreswechsel. Die USA überschwemmten den Markt mit billigem Öl.

Ziel der Vereinigten Staaten sei es, „die Märkte zu beherrschen und den Ölpreis abstürzen zu lassen, um Russland, Venezuela und alle Länder zu beeinträchtigen, die den Weg der wirtschaftlichen Unabhängigkeit gehen“, so der Präsident am vergangenen Samstag während seiner Visite in Teheran. Der Iran gehört zu den erdölexportierenden Staaten, denen Maduro während einer Rundreise im neuen Jahr einen Besuch abstattete, um eine „gemeinsame Strategie zur Erholung der Ölpreise“ zu entwickeln. (3) „Unsere gemeinsamen Feinde benutzen Öl als politische Waffe und spielen eine Rolle bei dem drastischen Ölpreisverfall“, erklärte das iranische Staatsoberhaupt  Ajatollah Ali Khamenei nach einem Gespräch mit dem venezolanischen Präsidenten. (4)

Neben Russland stand auch Saudi-Arabien auf dessen Reiseliste. Dort habe es „ein sehr gutes Treffen mit wichtigen Ergebnissen“ gegeben, so Venezuelas Finanzminister Torres am Sonntag nach dem Treffen zwischen Präsident Maduro und dem saudischen Erdölminister Ali Al-Naimi. Konkrete Ergebnisse sind jedoch noch nicht bekannt. Bislang hatte sich der Golfstaat stetes geweigert, durch eine Drosselung der Ölproduktion die Preise zu stabilisieren.

In einem vor zwei Wochen ausgestrahlten Interview gestand US-Präsident Barak Obama immerhin ein, dass der Ölpreisverfall Washingtons Strategie zur Schwächung Russlands sehr entgegen kommt. Die von den USA verhängten Sanktionen hätten Moskau zwar geschadet, doch das „einzige, was die (russische) Wirtschaft am laufen hält, ist der Ölpreis“, so Obama. (5)  

Wenn neben Russland auch noch Venezuela geschwächt wird, dessen sozialistische Regierung Washington seit jeher ein Dorn im Auge ist – erst jüngst verhängte die US-Regierung Sanktionen gegen venezolanische Regierungsfunktionäre – , so dürfte das Weiße Haus das nur als willkommenen Nebeneffekt begrüßen.

Der prekären Lage im eigenen Lande versucht die Regierung in Caracas durch eine Vertiefung der wirtschaftlichen Kooperation auf internationaler Ebene entgegen zu wirken. Nach einem Treffen zwischen Maduro und seiner Amtskollegin Dilma Rousseff vor einer Woche in der brasilianischen Hauptstadt betonten beide Seiten die Wichtigkeit der Vertiefung der Integration der lateinamerikanischen Staaten. Die Zusammenarbeit beider Länder solle auf strategischen Feldern ausgebaut werden. Mit einer Erfolgsmeldung im Gepäck kehrte Maduro kurz darauf auch aus Peking zurück. China werde mehr als 20 Milliarden US-Dollar in das wirtschaftlich angeschlagene Land investieren. Die Mittel sollen unter anderem in den Ausbau des Breitbandnetzes und der Computerproduktion fließen. Zudem soll die Zusammenarbeit bei der Ölförderung verstärkt werden. Zwischen beiden Ländern bestehen bereits über dreihundert Kooperationsvereinbarungen.

Die sich vertiefende Zusammenarbeit ist Ausdruck des gemeinsamem Ziels, der US-Dominanz ein Ende zu bereiten. Mit seinen gewaltigen Finanzreserven könnte China dem krisengeschüttelten Venezuela im Falle eines drohenden Staatsbankrotts aus der Klemme helfen. Die Kooperation wird sich auch im UN-Sicherheitsrat fortsetzen, dem Caracas seit Jahresbeginn angehört. „Wir glauben an eine multipolare Welt und werden im Sicherheitsrat für eine neue Welt des 21. Jahrhunderts kämpfen“, gibt sich Maduro zuversichtlich.


 

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren

Anmerkungen

(mit dpa)
(1) https://amerika21.de/2015/01/110270/umfrage-maduro-venezuela
(2) https://amerika21.de/2014/11/109654/haushaltskuerzungen-venezuela
(3) http://www.avn.info.ve/contenido/maduro-arrives-iran-part-his-opec-countries-trip
(4) http://news.xinhuanet.com/english/world/2015-01/11/c_133910414.htm
(5) http://www.npr.org/2014/12/29/372485968/transcript-president-obamas-full-npr-interview

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Weltwirtschaft „Die Welt wird zuhören“
Nächster Artikel Weltwirtschaft Das jüngste Weltgericht