„Nein zu TTIP und CETA!“
Am Samstag wollen die Gegner der transatlantischen Freihandelsabkommen ihren Protest auf die Straße tragen – Veranstalter rechnen mit hunderttausenden Teilnehmern
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Nichtregierungsorganisationen, Kirchengruppen und Gewerkschaften erwarten am Samstag Hunderttausende bei den bundesweiten Protesten gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA. „Wir hoffen, bundesweit auf mehr als 250 000 Teilnehmer zu kommen“, sagte Roland Süß von Antiglobalisierungsbündnis Attac Deutschland am Mittwoch in Frankfurt. „Wir müssen beide Abkommen stoppen“, fügte er hinzu. Die geplanten Vereinbarungen der EU mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) seien eine Gefahr für Sozial- und Umweltstandards in Deutschland und Europa.
Die Veranstalter haben in sieben deutschen Städten zu Demonstrationen aufgerufen. Allein in Berlin rechnen sie mit achtzigtausend Teilnehmern. Unter dem Motto „Für einen gerechten Welthandel“ wird zur gleichen Zeit auch in Hamburg, München, Köln, Frankfurt/Main, Stuttgart und Leipzig demonstriert.
Umweltschützer kritisieren an den geplanten Abkommen etwa die Aushöhlung wesentlicher EU-Standards, zum Beispiel beim Umgang mit genmanipulierten Lebensmitteln, die in EU-Staaten ausgewiesen werden müssen und einer höheren Kontrolle unterliegen. US-Amerikanische oder kanadische Unternehmen seien nach der Unterzeichnung von TTIP oder CETA aber nur noch an die Standards ihrer Heimatländer gebunden.
Kirchliche Initiativen und gemeinnützige Verbände fürchten die Auswirkungen der Freihandelsabkommen auf ihre Arbeit. „Wir sind der Meinung, dass soziale Dienstleistungen keine Ware sind“, sagte eine Sprecherin in Frankfurt. Gewerkschafter sehen die mögliche Einführung „transatlantischer Arbeitskräfte“ mit Sorge, für die keine in der EU üblichen Standards bei Bezahlung und Arbeitsbedingungen gelten.
„Mit Handelsabkommen wie CETA und TTIP können Privatisierungen wie bei den Berliner Wasserbetrieben gegen den Willen globaler Konzerne kaum noch rückgängig gemacht werden“, sagte Doro Zinke, Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg, am Mittwoch in Berlin.
Mit einer baldigen Unterzeichnung des TTIP-Abkommens ist nicht nur aufgrund des Votums der Briten für einen EU-Austritt kaum noch zu rechnen. Vor Wochen kündigte Paris an, auf ein Ende der TTIP-Verhandlungen mit den USA zu drängen. „Es gibt keine politische Unterstützung in Frankreich mehr für diese Verhandlungen“, äußerte sich der für das Abkommen zuständige französische Außenhandelsstaatssekretär Matthias Fekl.
Auch Wien kündigte seinen Widerstand an, da ein solches Abkommen auf eine „massive Machtverschiebung zugunsten global agierender Konzerne“ hinauslaufe, wie Österreichs Kanzler Christian Kern erklärte. Laut Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel seien die Verhandlungen „de-facto gescheitert“, weil sich Washington kompromisslos zeige.
Umso eiliger haben es die Anhänger des transatlantischen Freihandels, das bereits ausgehandelte CETA-Abkommen umzusetzen. Eile ist geboten, denn der Widerstand gegen das Abkommen mit Kanada wächst, auch hierzulande: Mehr als 125 000 Menschen haben vor zwei Wochen in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde gegen CETA eingereicht – mehr Unterstützer hatte bislang keine Bürgerklage.
In den Augen der Kritiker handelt es sich dabei um „TTIP light“, mit dessen Hilfe TTIP quasi durch die Hintertür ermöglicht werde. Schließlich könnten dank CETA US-Konzerne über Tochterfirmen in Kanada auch ohne TTIP die Vorzüge eines neoliberal gestrickten Freihandels mit der EU für sich beanspruchen.
„Denn mit dem CETA-Abkommen sind bereits alle Ziele auch von TTIP erreicht: jeder Investor kann sich mit einem Ableger in Kanada dieses Abkommen international zunutze machen“, kritisierte Ulrike von Wiesenau von der Initiative „Gemeingut in BürgerInnenhand“ (GiB) kürzlich in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem Netzwerk „Berliner Wassertisch“.
Bereits am 22. September wollen die EU-Handelsminister in Bratislava dem Abkommen grünes Licht erteilen. Nach dem Willen der EU-Kommission soll es bereits im Oktober vorläufig in Kraft treten. Nachverhandlungen schloss Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch erneut aus.
Am 18. Oktober wird der EU-Ministerrat (Rat der Europäischen Union), der die Regierungen der Mitgliedsstaaten repräsentiert, über die Handelsverträge abstimmen. Doch bevor es zu der geplanten Unterzeichnung während des für Ende Oktober anberaumten EU-Kanada-Gipfels kommt, müssen noch die nationalen Parlamente der EU-Mitglieder ihren Segen geben – mit seinen Plänen, die Parlamente außen vor zu lassen, hatte sich Juncker nicht durchsetzen können. „Erst nachdem alle Unterschriften von den Mitgliedstaaten eingesammelt sind, wird die Unterschriftszeremonie beim Gipfeltreffen organisiert“, äußerte sich dazu ein Sprecher der EU-Kommission gegenüber der taz.
Die Sozialdemokraten könnten das Abkommen daher noch verhindern. Auf einem Parteikonvent will die Partei am Montag in Wolfsburg entscheiden, ob sie es mitträgt. Die Parteispitze hat den Delegierten bereits die Empfehlung auf den Weg gegeben, auf der nicht-öffentlichen Versammlung für CETA zu stimmen. SPD-Chef Sigmar Gabriel lobpreiste das Abkommen als „Quantensprung“ in Sachen Freihandel, eine Sprecherin seines Wirtschaftsministeriums verteidigte CETA als „sehr fortschrittliches, gutes und wichtiges Abkommen“.
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„Sigmar Gabriels Strategie, das TTIP-Abkommen mit den USA für „de-facto gescheitert“ zu erklären, dabei aber gleichzeitig das CETA-Abkommen mit Kanada umso massiver durchzudrücken, ist ein weiterer Versuch, die Öffentlichkeit über elementare Sachverhalte zu täuschen und TTIP durch die Hintertür zu erzwingen“, so Ulrike von Wiesenau.
(mit dpa)