Weltwirtschaft

Gesetze für die Industrie- und Finanzlobby

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Neues von der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP –
 
Von SEBASTIAN RANGE, 4. Februar 2015 –

Seit Montag setzen Spitzenvertreter der EU und der USA die zuletzt ins Stocken geratenen Verhandlungen über die umstrittene Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) fort. Bei der achten Verhandlungsrunde in Brüssel soll es etwa um Regelungen für die Autoindustrie und den Energiemarkt gehen. Das Freihandelsabkommen hat den Abbau von Handels- und Investitionshemmnissen zum Inhalt sowie die Vereinbarung gemeinsamer Standards und Regulierungen. Mit rund 800 Millionen Menschen würde TTIP die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Kritiker monieren die neoliberale Ausrichtung des Projekts und bemängeln, dass  geltende rechtliche Standards in der Arbeits- und Sozialgesetzgebung, und im Verbraucher- und Umweltschutz als Handelshemmnisse eingestuft würden – und fürchten deren Aufweichung.

Wie vor einigen Tagen bekannt wurde, sieht der europäische Vorschlag zur neuen Verhandlungsrunde unter dem Stichwort „regulatorische Zusammenarbeit“ nicht nur die Angleichung bereits bestehender Regelungen und Standards vor. Darüber hinaus soll verhindert werden, „dass überhaupt Regeln und Standards entstehen, die den Handel behindern“, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung vergangene Woche. (1) Der zehnseitige Entwurf der Europäischen Kommission war zuvor an die Zeitung durchgesickert. „Kein Gesetz, kein Umweltstandard, keine Verbraucherschutzregel soll mehr erlassen werden, ohne dass der Partner vorher einen Blick darauf geworfen hat. Die Amerikaner sollen ein Mitspracherecht in der Gesetzgebung von EU, Staaten und Bundesländern bekommen“, fasst die FAZ daraus zusammen.

In einer Art „Frühwarnsystem“ für neue Gesetze und Standards sollen beide Seiten mindestens einmal im Jahr eine Liste der geplanten Vorhaben veröffentlichen. Betroffene Interessengruppen könnten dadurch frühzeitig, und noch vor nationalen Parlamenten, auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen – ganz nach dem Geschmack der Industrie- und Finanzlobby. Was kein Zufall ist, denn die Wirtschaftslobby gehört zu den zentralen Akteuren bei der Ausgestaltung des Freihandelsabkommens, wie eine Studie des Corporate Europe Observatory vom vergangen Jahr zeigt. Demnach seien nur vier Prozent der im Rahmen der TTIP-Verhandlungen geführten Gespräche als solche einzustufen, die in irgendeinem Sinn Interessen von Bevölkerungsgruppen stärken sollen – über neunzig Prozent der Lobbygespräche dienen zur Durchsetzung privatkapitalistischer Interessen. (2)

Zu Beginn der neuen Verhandlungsrunde sprach sich der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, für den EU-Entwurf zur engeren Abstimmung bei der Entwicklung von Regulierungen und Normen aus. „Dadurch lassen sich künftig neue Handelsbarrieren vermeiden“, zitiert die Nachrichtenagentur dpa den BDI-Chef. Beim Thema Regulierungsfragen erwarten EU-Vertreter schnelle Fortschritte. Ein abgestimmter gemeinsamer Textvorschlag könnte demnach kurz nach der Verhandlungsrunde Ende der Woche fertig sein. Laut dem FAZ-Bericht sei die regulatorische Zusammenarbeit im Entwurf der EU-Kommission nicht als Vorstufe der Gesetzgebung gedacht. Ebenso wenig könne ein Handelspartner auf diesem Wege neue Gesetze verhindern.

TTIP-Kritiker dürfte das kaum beschwichtigen. Zumal ein anderer Aspekt des EU-Entwurfs bekannt wurde, der die Kontroverse anheizt. Der österreichische Europaabgeordnete der Grünen, Michel Reimon, warnte nach Einsicht in die vertraulichen Unterlagen vor einer Deregulierung der Finanzmärkte und einer Aushebelung parlamentarischer Befugnisse. „Als Folge der Weltfinanzkrise haben die USA sehr viel strengere Regulierungen als Europa eingeführt, viele Versicherungs-, Anlage- und Bank-Produkte dürfen dort nicht mehr vertrieben werden“, sagte Reimon gegenüber Spiegel-Online. Der europäische Finanzsektor dränge nun darauf, den US-Markt wieder zu öffnen. (3) Geht es nach dem Willen der EU-Kommission, dann sollen  Finanzmarktregulierungen künftig nicht mehr von Parlamenten ausgehandelt werden. Stattdessen sollen die Vertragspartner ein gemeinsames Forum einrichten, das für die Kooperation bei der Regulierung der Finanzmärkten verantwortlich ist. „Wir Abgeordnete dürften dann Gesetze nur noch so erlassen, dass sie mit den Beschlüssen dieses Forums übereinstimmen“, kritisiert Reimers die Pläne der EU-Kommission.

Im Dunkeln ist gut munkeln

Die nun durchgesickerten Inhalte verdeutlichen einmal mehr, wie wenig die Öffentlichkeit über den konkreten Stand der Verhandlungen weiß. Im Mai vergangenen Jahres nannte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel „Transparenz in den Verhandlungen“ als eine der „zentralen Voraussetzungen“ für deren Vorankommen – gleichzeitig spottete er über TTIP-Kritiker, die ja gar nicht wüssten, wogegen sie demonstrieren, da sie die Verhandlungsinhalte „nirgendwo nachlesen können“.

Letzteres gilt jedoch auch für die Vertreter der Bundesregierung selbst. Im April 2014 musste sie in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen eingestehen, keinen Zugang zu den US-Dokumenten zu bekommen. Darin heißt es: „Die Bundesregierung hat mehrfach darauf hingewiesen, dass dies für eine verantwortungsvolle Begleitung des Verhandlungsprozesses, wie es nach den EU-Verträgen in der Handelspolitik vorgesehen ist, unzureichend ist.“ (4)

Das Eingeständnis, nichts genaues zu wissen, hielt Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht davon ab, Wochen später während der Jahrestagung der US-Handelskammer das Freihandelsabkommen der Öffentlichkeit als „großartiges Projekt, für das es sich zu kämpfen“ lohne, unterzujubeln. (5)

An der grundsätzlichen Geheimniskrämerei und der Informationsblockade der USA hat sich nichts geändert. Vertreter der Bundesregierung und anderer EU-Regierungen erhalten nach wie vor keinen direkten Zugang zu den zwischen der EU-Kommission und Washington bereits ausgehandelten Dokumenten. Zudem wollen die USA die Einsicht in die Papiere auch für die direkt zuständigen Mitarbeiter der EU-Regierungen sehr restriktiv handhaben, berichtete der Tagesspiegel am Mittwoch. Der Zeitung liegt eine entsprechende Richtlinie vor, die der US-Handelsbeauftragte Michael Froman im Dezember erlassen hatte – in den Augen der USA ist sie ein Entgegenkommen gegenüber den Europäern, die stärkere Transparenz angemahnt hatten.

Demnach sollen die zuvor benannten EU-Mitarbeiter nach Anmeldung an zwei Tagen pro Woche die Möglichkeit haben, in einem Leseraum der jeweiligen US-Botschaft die Dokumente einzusehen. Stets höchstens zwei Beamten soll es dann für maximal zwei Stunden gestattet werden, „begrenzte Notizen“ zu machen.

„Mobiltelefone, Kameras oder sonstige Aufnahmetechnik“ seien ebenso wenig erlaubt wie „jede Art von Rechnern, einschließlich Laptop-Computern, Tablet-Rechnern oder jede andere Art elekronischer Geräte, die über temporäre oder permanente Speicher verfügen“. Zudem sollen die EU-Beamten ständig vom Botschaftspersonal überwacht werden. Damit würden die EU-Vertreter „de facto allesamt als potenzielle Spione eingestuft“, so der Tagesspiegel. (6)

Die EU-Gesandten werden wie Feinde behandelt, ihr  Aufenthalt in US-Botschaften gleicht dem Besuch eines Gefängnisses – Sinnbild dafür, welche Seite der „transatlantischen Partner“ bei den TTIP-Verhandlungen die sprichwörtlichen Hosen anhat.

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Anmerkungen
(1) http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ttip-und-freihandel/ttip-amerika-soll-bei-unseren-gesetzen-mitreden-13391816.html
(2) http://corporateeurope.org/pressreleases/2014/07/agribusiness-biggest-lobbyist-eu-us-trade-deal-new-research-reveals
(3) http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/ttip-freihandelsabkommen-bedroht-finanzmarktregulierung-a-1015165.html
(4) http://www.bundestag.de/presse/hib/2014_04/-/272672
(5) http://www.rundschau-online.de/politik/–grossartiges-projekt–merkel-plaediert-fuer-ttip-abkommen,15184890,27227000.html
(6) http://www.tagesspiegel.de/politik/verhandlungen-zwischen-eu-und-usa-ttip-papiere-sollen-geheim-bleiben/11317752.html

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