„Die Welt wird zuhören“
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China und Indien rücken zusammen –
Von SEBASTIAN RANGE, 19. September 2014 –
China will massiv in Indien investieren und seine Märkte weiter für Produkte aus dem Nachbarland öffnen. Bei einem offiziellen Besuch in Neu Delhi sagte der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping am Donnerstag, es würden zwei Industrieparks gebaut sowie das Schienennetz erweitert.
China will in den kommenden fünf Jahren insgesamt 20 Milliarden US-Dollar (15,5 Milliarden Euro) in Indien investieren. Damit wird ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen den beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Welt aufgeschlagen, wie die Zahlen veranschaulichen: In den vergangenen vierzehn Jahren investierte das Reich der Mitte insgesamt nur 411 Millionen US-Dollar in den indischen Subkontinent. Und bei den nun vereinbarten 20 Milliarden US-Dollar schweren Investitionen soll es nicht bleiben. Chinesische Vertreter sprechen von einer Gesamtsumme von 100 bis 300 Milliarden US-Dollar, die in den kommenden Jahren in das Nachbarland investiert werden soll, vor allem zur Modernisierung des indischen Schienennetzes.
Aufgrund üppiger Handelsbilanzüberschüsse der vergangenen Jahre verfügt China mit rund 3,9 Billionen US-Dollar über die weltweit größten Währungsreserven, die alleine im vergangenen Jahr um rund 500 Milliarden US-Dollar zunahmen. Mit dem Anwachsen der Reserven steigern sich auch Chinas Investitionen im Ausland, die sich 2013 auf 90 Milliarden US-Dollar beliefen und damit knapp siebzehn Prozent höher als im Vorjahr lagen. Laut Prognosen werden Chinas Investitionen im Ausland bald den Betrag an ausländischen Investitionen überflügeln, die in China getätigt werden. In den kommenden fünf Jahre will Peking insgesamt 500 Milliarden US-Dollar im Ausland investieren – ein Großteil davon wird den Weg nach Indien finden.
Im Februar hatte China seinem Nachbarn angeboten, die auf 1 Billion US-Dollar veranschlagte Investitionssumme zur Modernisierung des indischen Schienennetzes zu einem Drittel zu tragen. In der Vergangenheit hatte Indien chinesische Angebote strategischer Investitionen noch abgelehnt, da es „nervös war angesichts des wachsenden Einflusses Chinas in Südasien, insbesondere auf den wichtigen Gebieten der Telekommunikation oder der Energieversorgung“, wie die International Business Times schreibt. (1)
Das Näherrücken der beiden asiatischen Giganten drückt sich auch im wachsenden Handel aus, der vergangenes Jahr auf 70 Milliarden US-Dollar anwuchs. Das Wachstum befindet sich allerdings nicht im Gleichgewicht. Indiens Handelsdefizit mit China wuchs von einer Milliarde US-Dollar im Jahr 2002 auf gegenwärtig 40 Milliarden US-Dollar an. China will der ungleichen Handelsbilanz durch Öffnung seiner Märkte für pharmazeutische und landwirtschaftliche Produkte aus Indien entgegenwirken.
Die wachsende Kooperation zwischen den beiden Atommächten ist hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung des asiatischen Kontinents kaum zu unterschätzen. Traditionell begreifen sich die beiden Länder eher als Rivalen. Seit Jahrzehnten streiten sie sich über den Grenzverlauf, 1962 kam es sogar zu einem kurzen Grenzkrieg im Himalaya. Teile der insgesamt 3500 Kilometer langen Grenze sind noch immer nicht demarkiert, routinemäßig kommt es zu gegenseitigen Vorwürfen der Grenzverletzung.
Und so wurde auch die Zusammenkunft Xi Jinpings mit Indiens Premierminister Narendra Modi von einem neuen Grenz-Zwischenfall überschattet. Indischen Medien zufolge drangen rund eintausend chinesische Soldaten auf indisches Gebiet vor – wobei schon die Bezeichnung als „indisches Gebiet“ problematisch ist. „Ich habe unsere beträchtliche Sorge über die wiederholten Zwischenfälle an der Grenze ausgedrückt“, sagte Modi nach dem Treffen. Beide Länder sollten nun endlich die Grenze zwischen ihnen festlegen. Xi Jinping zeigte sich zuversichtlich, dass beide Seiten die Angelegenheit lösen können, „so dass derartige Ereignisse keine großen Auswirkungen haben“. Eine im Januar 2012 getroffene Vereinbarung zur Einrichtung eines gemeinsamen Gremiums zur Klärung der Grenzstreitigkeiten zeugt von der Bereitschaft beider Länder, es in dieser Frage nicht noch einmal zu einer Eskalation kommen zu lassen. (2)
Stellvertretend für das Wissen, das zu viel auf dem Spiel steht, als es wegen Grenzstreitigkeiten zu riskieren, sei der indische Sicherheitsexperte Alok Bansal zitiert, der gegenüber Asia News International anlässlich der jüngsten Grenzspannungen erklärte: „Solch kleine Streitigkeiten sollten uns nicht davon abhalten, zusammen zu kommen und den Weg des Wachstums und der Prosperität zu bestreiten, denn Chinas Technologie und seine großen Investitionen werden Indien auf eine neue Stufe der ökonomischen Entwicklung heben.“ (3)
Auch politisch befinden sich die beiden Staaten auf Annäherungskurs. So sind beide Nationen Mitglieder des BRICS-Staatenbündnisses, das bei seiner letzten Zusammenkunft im Juli in Brasilien unter anderem die Einrichtung einer Entwicklungsbank als Alternative zur Weltbank und dem IWF, die beide von den USA dominiert werden. Indien verfügt zudem über einen Beobachterstatus in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, das auch für eine engere Kooperation auf militärischen und sicherheitspolitischen Gebiet steht. Der Organisation gehören neben China und Russland die ehemaligen Sowjetrepubliken Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan an.
Glaubt man Chinas Staatschef, dann sind die Weichen Richtung Potenzierung der Potentiale beider Länder endgültig gestellt: „China und Indien werden wie Zwillingsmotoren das wirtschaftliche Wachstum vorantreiben und so zur Entwicklung und Prosperität der Region beitragen,“ erklärte Xi Jinping während seines Indien-Besuches. „China und Indien sind Länder mit Einfluss auf die Welt. Wenn beide mit einer Stimme sprechen, dann wird die Welt zuhören.“ (4)
Anmerkungen
(mit dpa)
(1) http://www.ibtimes.co.uk/china-offers-invest-300bn-indias-infrastructure-projects-1437191
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