Weltwirtschaft

Der Ausverkauf beginnt

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Nach dem Machtwechsel in Kiew steht die Ukraine vor dem Staatsbankrott. Die neue Regierung will das Problem in Kooperation mit USA, EU und IWF lösen. –

Von THOMAS EIPELDAUER, 5. März 2014 –  

Viktor Janukowitsch wird wohl nie wieder Präsident der Ukraine werden. Insofern haben die Demonstranten vom Kiewer Maidan eines ihrer wesentlichen Ziele erreicht. Alles andere aber liegt im Argen. Die Oligarchie ist keineswegs entmachtet, Russland wurde so lange provoziert, bis es zur Wahrung seiner geostrategischen Interessen eine Machtdemonstration auf der Krim für geboten hielt, die Verwaltungsstrukturen des Landes funktionieren kaum noch und die gesellschaftliche wie politische Kluft zwischen Ost und West ist merklich größer geworden.

Und: Das Land steht ökonomisch kurz vor dem Zusammenbruch. Die Schuldenlast ist drückend, die Hrywnja im freien Fall. Moskau kündigte bereits kurz nach der Flucht Viktor Janukowitschs an, einen angekündigten Kauf von ukrainischen Eurobonds aussetzen zu wollen, bis eine stabile Regierung gebildet ist. „Letzte Woche haben wir in der Tat den Erwerb von Eurobonds diskutiert, da sich aber die Situation in der Ukraine radikal verändert hat, müssen wir zunächst verstehen, mit welcher Regierung wir kooperieren werden. (…) Wir möchten die Bildung einer neuen Regierung abwarten“, zitierte Ria Novosti den russischen Finanzminister Anton Siluanow. (1) Die Ratingagentur Standard & Poor’s hat den Druck zusätzlich erhöht, indem sie die Bonität des Landes auf CCC mit negativem Ausblick abstufte. „Sollte Russland nicht zu seinen Versprechungen stehen, erwarten wir, dass die ukrainische Regierung ihre ausländischen Schulden nicht bedienen wird“, so die Finanzanalysten. (2)

Nach der Intervention Russlands auf der Krim hat sich die Situation weiter zugespitzt. Wladimir Putin bezeichnete die Übergangsregierung als „illegitim“, der russische Konzern Gazprom überlegt, ein Abkommen mit der Ukraine zu revidieren, das dem Land 100 US-Dollar Preisnachlass auf tausend Kubikmeter Gas gewährt. Den Wegfall dieser Vergünstigung könnte die ohnehin angeschlagene ukrainische Industrie kaum verkraften. (3)

„Hilfe“ aus dem Westen  

„Hilfe“ boten indes bereits die Vereinigten Staaten, die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds (IWF) an. Mit letzterem verhandelt die Regierung in Kiew, obwohl sie nicht einmal in allen Teilen der Ukraine, geschweige von wichtigen internationalen Partnern wie Russland anerkannt wird, bereits über die Umsetzung eines Kreditprogrammes und weitreichender Austeritätsmaßnahmen. Der IWF fordert offenbar, dass bereits vor den Wahlen im Mai harte Budgetkürzungen durchgesetzt werden sollen. „Der ukrainische Interim-Regierungschef Arseni Jazenjuk steht nun vor der Herausforderung, die IWF-Vertreter – die sich an seinen Vorgängern die Finger verbrannt haben – von seinen guten Absichten zu überzeugen. Er muss glaubhaft vermitteln, dass vor den Präsidentschaftswahlen im Mai auch unpopuläre Maßnahmen umgesetzt werden, etwa die Erhöhung der Gaspreise“, berichtet das Handelsblatt. (4)

US-Außenminister John Kerry sagte bereits schnelle Kredite zu: „Wir arbeiten an der Unterstützung der Ukraine, so weit wir es können. Wir versuchen momentan den Bedarf festzustellen. Wir haben angekündigt, der Ukraine eine sichere Anleihe in Höhe von einer Milliarden Dollar bereitzustellen.“ (5)

Das wird indes kaum reichen, will man in Kiew die Zahlungsunfähigkeit vermeiden. Man sei bereit, Gelder zur Verfügung zu stellen, hieß es auch aus Brüssel. Von elf Milliarden Euro sprach EU-Kommissionspräsident Barroso am 5. März 2014. Das Geld soll aus verschiedenen Quellen stammen: Drei Milliarden Euro kommen aus dem EU-Budget – davon 1,4 Milliarden Zuschüsse und 1,6 Milliarden Euro Kredite. Hinzukommen sollen von der Europäischen Investitionsbank im Zeitraum zwischen 2014 und 2016 abermals rund drei Milliarden Euro Darlehen. Außerdem rechnet die Kommission mit Hilfen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) in Höhe von fünf Milliarden Euro. Barroso sprach bereits davon, dass er davon ausgehe, die neue Regierung der Ukraine werde eine der „Reformen“ sein.

Die eiligen Angebote finanzieller Unterstützung aus dem Westen sind nicht allein dem Umstand geschuldet, dass man möglichst schnell Fakten schaffen will, um das Land langfristig an sich zu binden. Es geht auch darum, dass ein Staatsbankrott sich in den Bilanzen europäischer Finanzinstitute niederschlagen würde. „Mit insgesamt 23 Milliarden Dollar ist die Ukraine bei Geldinstituten aus EU-Staaten verschuldet, wie aus Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) hervorgeht. Am stärksten involviert sind österreichische und italienische Banken, deutsche Institute sind dagegen nur mit einer Milliarde Euro dabei. Im Fall eines Staatsbankrotts müsste der größte Teil der Kredite abgeschrieben werden“, bilanziert Lukas Koschnitzke in der ZEIT. (6)

Harte Austeritätsmaßnahmen

Um welche Art von „Reformen“ es gehen wird, ist nicht schwer zu erraten, sieht man sich die beteiligten Protagonisten an. Die Kredite werden, so das übliche Prozedere, an strenge Auflagen geknüpft sein. „Wenn die ukrainischen Behörden sich an den IWF wenden – sei es mit der Bitte um Beratung, sei es wegen Diskussionen über finanzielle Hilfen, gekoppelt an Wirtschaftsreformen – stehen wir selbstverständlich bereit“, hatte  IWF-Chefin Christine Lagarde schon Ende Februar erklärt. Die „Wirtschaftsreformen“ werden dann wohl ähnlich jenen sein, die in den vergangenen Jahren in Griechenland implementiert wurden. Dass diese etwas zur Verbesserung der ökonomischen Situation beitragen könnten, kann schon jetzt getrost bezweifelt werden.

In welche Richtung die Umstrukturierung der Volkswirtschaft gehen wird, lässt sich an den Entwürfen des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union und an den Auflagen, die der IWF schon zur Zeit der Präsidentschaft von Viktor Juschtschenko für die Ukraine vorgesehen hatte, ablesen. Der österreichische Journalist Hannes Hofbauer beschreibt die Situation, in der sich das Land 2009 befand, als die Wirtschafts- und Finanzkrise es in eine fundamentale Krise stürzte und die dem Westen ergebene Polit-Clique der „Orangenen Revolution“ das Ruder übernommen hatte. Der Osten des Landes, das industrielle Herz der Ukraine, litt unter den sinkenden Stahlpreisen, die Währung verfiel, die Löhne sanken dramatisch. „Absolute Zahlungsunfähigkeit. Staatsbankrott. So standen die Zeichen an der Wand, als sich im Herbst 2008 herausgestellt hatte, dass der ukrainische Wirtschaftsboom des ersten Jahrfünfts des 21.Jahrhunderts auf Sand gebaut war. (…) Die Folge: Die Privatisierung – oder weniger lateinisch: der Raub von öffentlichen Gütern – nahm kein Ende. (…) Um die neue politische Klasse zu retten, die aus der ‚Orangen Revolution’ hervorgegangen war, zimmerte der Internationale Währungsfonds aus Washington wie üblich mit Unterstützung der USA ein sogenanntes Hilfspaket für die Ukraine. (…) Als Bedingung dafür nennt der IWF nicht weniger als das vollständige Umkrempeln der ukrainischen Wirtschafts- und Sozialpolitik“, so Hofbauer. (7)

Einige Punkte der Austeritätsstrategie der westlichen Elendsverwalter wurden bereits damals umgesetzt, andere stehen bis heute auf der Agenda: „Im Visier des IWF befinden sich die Reste der früheren Sozialpolitik. Nach der längst erfolgten Privatisierung von Wohnraum, fordert Washington nun die Erhöhung von Massensteuern sowie die Streichung sämtlicher Subventionen im Sozialbereich. Tabak- und Alkoholsteuer wurden von der Regierung bereits in vorauseilendem Gehorsam angehoben. Jetzt geht es darum, den billigen, staatlich unterstützten öffentlichen Transport zu verteuern und, vor allem, um die Anhebung des Erdgaspreises für die Haushalte. Nicht weniger als die Verdreifachung des Gaspreises fordern die Ökonomen des Weltwährungsfonds“, erläuterte Hofbauer 2009.

Während der vergangenen Legislaturperiode der Partei der Regionen wurde die Kooperation mit dem IWF auf Eis gelegt, unter das Assoziierungsabkommen mit der EU verweigerte die Regierung die Unterschrift – bekanntlich der zündende Funke für die Maidan-Proteste. Nun, da der Machtwechsel zumindest teilweise vollzogen ist, macht man sich eilig an die Umsetzung dieser Projekte.

„Großeuropäische Wirtschaftszone“

Liberale Ökonomen in Kiew und die ausländischen Investoren in den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union erhoffen sich von der Westöffnung samt Eingliederung in einen gemeinsamen Markt hohe Profitraten: „Die Ukraine ist ein sehr attraktiver Markt für Investitionen. Unsere Industrie ist sehr rückständig, jede Innovation würde große Profite bringen“, wirbt der Wirtschaftswissenschaftler Igor Umanski im Gespräch mit Hintergrund. (8)

Diese Öffnung für westliches Kapital könnte indes desaströse Folgen für die Entwicklung der ukrainischen Volkswirtschaft zeitigen. Die Einbeziehung ungleich entwickelter Ökonomien in einen gemeinsamen kapitalistischen Markt hat in vielen Peripherieländern Europas zu extremen Handelsbilanzungleichgewichten geführt, man muss sich nur an Griechenland erinnern. Zudem ist eher unwahrscheinlich, dass die westukrainische Landwirtschaft der Konkurrenz der subventionierten EU-Landwirtschaft standhalten könnte. Aus der Perspektive der Europäischen Union ist die Ukraine ein Absatzmarkt, den es zu erschließen gilt.

„Offiziell geht es dabei darum, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft zu fördern, ohne den Staaten aber eine realistische Beitrittsperspektive zu eröffnen. Aber es wird darauf hingearbeitet, die Nachbarländer in eine großeuropäische Wirtschaftszone einzubeziehen und neoliberale ‚Reformen’ zu forcieren“, schreibt der Publizist Jürgen Wagner in der Tageszeitung junge Welt. (9)

„Ukrainische Waren werden in Preis und Qualität schwer mit den europäischen Waren konkurrieren können. Letztere werden die einheimische Produktion vom Binnenmarkt verdrängen. Und am Außenmarkt werden die ukrainischen Waren keinen Käufer finden. (…) Was den Maschinenbau betrifft, so wird diese Produktion wegen der Aufhebung der Subventionen nicht konkurrenzfähig sein. Dafür aber wird die Vereinbarung mit der EU die Ukraine verpflichten, alle Wirtschaftszweige in Einklang mit dem technischen Regelwerk der EU zu bringen. Für diese Ziele wird Kiew im Laufe von zehn Jahren etwa 165 Milliarden Euro benötigen. Dieses Geld aber steht nicht zur Verfügung, und die EU beabsichtigt lediglich, mit mehreren Millionen Euro zu helfen. Jene ukrainischen Produzenten, die nicht zu den europäischen Standards übergehen werden, verlieren ihr Recht, ihre Produktion zu verkaufen“, zitiert Wagner Sergej Glasjew, der Berater für eurasische Integrationsfragen von Präsident Wladimir Putin. (10)  

Wer den Effekt dieser Entwicklung sehen will, muss nicht nach Griechenland blicken – hier gibt es doch einige fundamentale Unterschiede. Er kann aber die Geschichte Bosniens Revue passieren lassen, meint Andrej Nikolaidis im britischen Guardian. „Hinter dem blutigen Vorhang des Bosnienkrieges und anderer Balkankriege ereignete sich der Übergang von der jugoslawischen Version des Sozialismus zum Kapitalismus, unter Regie der EU-Troika. Hinter dem Ballett der Massen auf den Plätzen Kiews und den russischen Armeemanövern, steht abermals eine klare ökonomische Logik. Brüssel wollte von Kiew die Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens mit der EU. Das war ein guter Deal für die EU, aber sicher nicht für die Ukraine.“

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Anmerkungen
(1) http://de.ria.ru/politics/20140223/267893602.html
(2)    http://www.n-tv.de/wirtschaft/S-P-sieht-Ukraine-auf-Pleite-zusteuern-article12325981.html
(3)    http://www.handelsblatt.com/politik/international/konflikt-um-die-ukraine-russland-nutzt-seine-macht-ueber-das-gas/9561128.html
(4)    http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/hilfsgelder-fuer-ukraine-iwf-bei-geldvergabe-an-kiew-skeptisch/9562258.html
(5)    http://german.ruvr.ru/news/2014_03_04/USA-gewahren-Ukraine-Hilfskredit-in-Hohe-von-einer-Milliarden-Dollar-1935/
(6)    http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-03/Ukraine-Wirtschaft-Staatsbankrott
(7)    http://www.jungewelt.de/2009/10-22/001.php?sstr=Timoschenko
(8)    http://www.hintergrund.de/201403043013/wirtschaft/welt/qwir-brauchen-reformen-in-allen-bereichenq.html
(9)    http://www.jungewelt.de/2014/02-05/025.php?sstr=
(10)    ebd.
(11)    http://www.theguardian.com/commentisfree/2014/mar/03/ukrainians-bosnian-eu-flag

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