China treibt Neuordnung der Weltwirtschaft voran
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Von SEBASTIAN RANGE, 1. April 2015 –
Der gestrige 31. März dürfte sich in den Machtetagen Washingtons als denkwürdiges Datum einprägen. Am Dienstag endete die Eintrittsfrist für Gründungsmitglieder der von China initiierten Asiatischen Infrastruktur und Investmentbank (AIIB). Anders als später hinzustoßende Kandidaten haben die Gründungsmitglieder Einfluss auf die Ausrichtung der Bank und auf die Aufnahme neuer Kandidaten. Die Institution soll Infrastrukturprojekte wie Straßen, Häfen, Flugplätze, Energie- oder Telekommunikationsprojekte in Asien finanzieren.
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China hatte betont, dass die neue Infrastrukturbank allen Ländern offen steht. Über vierzig Staaten haben bereits ihren Teilnahmewunsch erklärt – trotz massiven Drucks aus Washington. Zum Verdruss der Vereinigten Staaten haben selbst langjährige Verbündete ihre Partizipation bekundet. Die Ambitionen der USA, Chinas Pläne zur Entwicklung einer Alternative zu den bestehenden und von Washington kontrollierten Institutionen wie der Weltbank und dem IWF, zu durchkreuzen, sind damit auf ganzer Linie gescheitert. Im Oktober vergangenen Jahres hatten 21 asiatische Staaten eine Absichtserklärung für eine Beteiligung an der AIIB unterzeichnet. Mit Indien war neben China nur eine Nation dabei, die – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – unter den „Top Ten“ der Wirtschaftsmächte rangiert.
Doch in den vergangenen Wochen und Tagen wendete sich das Blatt. Abgesehen von Japan und den USA selbst – beide Länder dominieren die Asiatische Entwicklungsbank (ADB), die nun ins Hintertreffen zu geraten droht – haben alle wirtschaftlichen Schwergewichte ihre Absicht bekundet, der AIIB beizutreten. Japan zeige sich angesichts der Pläne zur Gründung einer konkurrierenden Entwicklungsbank „verschnupft“, formulierte The Economist, habe aber noch keine endgültige Entscheidung getroffen, und will eine mögliche Teilnahme „sorgfältig prüfen“. (1) Am Ende könnten die USA ganz alleine dastehen. Nun, nicht ganz allein. Denn Nordkorea wird auch nicht an der AIIB teilnehmen, allerdings unfreiwillig. Pnonjangs Beitrittswunsch wurde aufgrund mangelnder Transparenz der Wirtschaftsstrukturen ausgeschlagen. (2) In zwei Wochen soll öffentlich bekannt gegeben werden, welche Länder tatsächlich mit an Bord gegangen sind.
Mit Großbritannien erklärte Mitte März ausgerechnet Europas engster US-Verbündeter als erster EU-Staat seinen Beitrittswunsch – Frankreich, Deutschland, Italien und andere EU-Staaten folgten. Von einem „Debakel“ für Washington sprach daraufhin der sich mit außenpolitischen Fragen beschäftigende US-Think Tank Council on Foreign Relations. Auch Südostasiens größte Wirtschaftsmacht, Südkorea, beugte sich letztlich nicht dem Druck seines militärischen Schutzpatrons, und erklärte am Montag, sich mit einem Anteil von vier bis fünf Prozent an der neuen Bank beteiligen zu wollen. Mit dabei sind auch Brasilien, Russland, Saudi-Arabien und die Türkei. Selbst Taiwan, das keinerlei diplomatische Beziehungen zu China unterhält, erklärte seine Beitrittsabsichten.
Auf dem Weg zu einer multipolaren Weltordnung
Der rege Andrang überrascht selbst Peking. Dort hat man offenbar die Möglichkeiten der USA überschätzt, die eigenen „Partner“ an der kurzen Leine zu führen. Das ursprünglich auf einhundert Milliarden US-Dollar angesetzte Stammkapital der Bank wird nun wohl erhöht werden. Wiederholt, und ungewöhnlich offen, zeigte Washington seine Verärgerung darüber, dass die Verbündeten in Europa und Asien der Reihe nach den Gehorsam verweigerten. Nach Bekanntwerden der Beitrittsabsichten Großbritanniens beklagte ein Vertreter des Weißen Hauses gegenüber der Financial Times den „Trend in Richtung ständiger Zugeständnisse gegenüber China, was nicht der beste Weg ist, um mit einer aufstrebenden Macht umzugehen“. „Viele Experten glauben, dass die gegenwärtige Situation beweist, dass die USA nicht in der Lage sind, China einzudämmen“, kommentierte die Global Times den Erfolg Pekings im diplomatischen Tauziehen um die EU-Staaten. Washington begründet seine ablehnende Haltung offiziell damit, die neue Bank könne den Anforderungen in Korruptionsfragen und Unternehmensführung nicht gerecht werden, und äußert zudem die Befürchtung, sie würde Umwelt- und Sozialstandards untergraben – dabei ist der von den USA dominierte IWF dafür berüchtigt, die Kreditvergabe an die Zerschlagung bestehender soziale Infrastrukturen zu koppeln.Washington fürchtet um seinen Einfluss insbesondere im asiatisch-pazifischen Raum, denn die AIIB werde „in direkte Konkurrenz zur Weltbank in Washington treten, die zu einem der Pfeiler der alten Ordnung gehörte, die von den USA festgesetzt wurde“, kommentierte Le Monde. Die neue Infrastrukturbank bezeuge Chinas Willen, „sich auf Kosten der USA als wirklicher Chef des asiatisch-pazifischen Raums durchzusetzen. (…) In dieser neuen Zentrale der Macht wird ein Teil der Regeln für die Wirtschaft dieses Jahrhunderts aufgestellt.“
China, Indien und die meisten Schwellen- und Entwicklungsländer fordern seit Jahren mehr Mitspracherechte innerhalb der Weltbank und im IWF. Trotz aller Absichtserklärungen verweigert Washington eine Reform der Finanzinstitute. Angesichts des internationalen Zuspruchs für die AIIB sieht sich die Weltbank nun unter Druck gesetzt, die nötigen Reformen endlich einzuleiten. „Wir bekommen einen starken Anstoß, uns schnell zu wandeln“, räumte der Vizepräsident der Weltbank-Gruppe, Cyril Muller, am Sonntag ein – die Erkenntnis dürfte zu spät kommen. Die AIIB steht in einer Reihe verschiedener von China unterstützter Projekte, die die Transformation zu einer multipolaren Weltordnung befördern sollen. Dazu zählt die von den BRICS-Staaten eingerichtete Entwicklungsbank, das asiatisch-pazifische Freihandelsabkommen FTAAP, und die von der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) gegründete Entwicklungsbank.
Ganz oben auf der Agenda Pekings steht die Errichtung einer neuen Seidenstraße, die die wirtschaftliche Integration Europas und Asiens vertiefen soll. An dem Handelskorridor sollen über sechzig Länder angeschlossen werden, die knapp Zweidrittel der Weltbevölkerung stellen. (3) In großem Umfang sollen dafür in den nächsten Jahren neue Eisenbahnstrecken, Straßen, Flug- und Tiefseehäfen sowie Pipelines entstehen. Für die USA ist das ein geopolitisches Horrorszenario. Den Graben, den Washington jüngst mittels seiner konfrontativen Eskalationspolitik in der Ukraine zwischen der EU und Moskau zu ziehen im Stande war, droht mit dem Seidenstraßenprojekt wieder zugeschüttet zu werden – denn Russland ist selbstverständlich an die geplante Handelsroute angeschlossen. Für das gigantische Infrastrukturprojekt, mit dessen Realisierung China „endgültig zur Weltmacht“ aufsteige (Die Welt), hat Peking im November vergangenen Jahres einen vierzig Milliarden US-Dollar schweren Fond eingerichtet. (4)
An der Asiatischen Infrastruktur und Investmentbank will sich China mit einem Stammkapital von fünfzig Milliarden US-Dollar einbringen. Dass Peking damit entscheidenden Einfluss auf die neue Institution ausüben wird, steht außer Frage. Dennoch wird die AIIB kein Spiegelbild der Weltbank und des IWF unter chinesischen Vorzeichen werden. China wird innerhalb der AIIB keine so dominante Rolle ausüben, wie die USA in Bezug auf die beiden bestehenden Finanzinstitute. Auch als größter Kapitalgeber wird Peking über kein Vetorecht in der neuen Bank verfügen. Die multilaterale Ausrichtung der Bank sei bereits in deren Gründungsverhandlungen deutlich zum Ausdruck gekommen, meint Yun Sun, Mitglied des Henry L. Stimson Centre und der Brookings Institution, zweier US-Think Tanks. China sei es daher nicht möglich, die Entscheidungsprozesse der Bank zu dominieren oder gar zu diktieren. (5)
Genau das dürfte der Grund sein, warum nun so viele Staaten ihre Teilnahme erklärten. Aus Angst vor einer chinesischen Dominanz hatte Australien Angebote zur Teilnahme an der neuen Entwicklungsbank stets eine Absage erteilt. Nach einer „ungewöhnlichen persönlichen Fürsprache“ von US-Präsident Obama letzten November erklärte Australiens Premierminister Tony Abott, sein Land werde nur einer „wirklich multilateralen“ Institution beitreten, die „von keinem einzelnen Land unilateral kontrolliert“ werden könne. (6) Offenbar haben sich diese Bedenken inzwischen verstreut, denn Australien erklärte am vergangenen Wochenende, nun auch der AIIB beitreten zu wollen. Washingtons Bestrebungen, die Bank als eine Chinas politischen Interessen untergeordnete Institution zu dämonisieren, haben nicht gefruchtet.
Angesichts dessen ändert das Weiße Haus nun seine Tonlage. Am Dienstag reiste US-Finanzminister Jacob Lew zu einem plötzlichen Besuch nach Peking, um mit Chinas Ministerpräsidenten Li Keqiang über die AIIB zu sprechen. Lew erklärte, die USA begrüßen die von China geführte Entwicklungsbank, solange diese die bestehenden Institutionen ergänze und deren hohe Standards erfülle. (7) Chinas Staatschef Xi Jinping hatte zuvor bereits bekundet, die neue Bank suche eine „koordinierte Entwicklung“ mit den anderen Finanzinstituten, und sei keine Konkurrenz zur Weltbank oder der Asiatischen Entwicklungsbank. Aufgrund des Termins des Besuchs – Lew reiste kurz vor Auslaufen der Beitrittsbewerbungsfrist an – spekulierten Beobachter, ob sich Washington nun doch noch an der AIIB beteiligen will. Als Gründungsmitglied könnten die USA Einfluss auf die Strukturen der Bank nehmen. Bislang hatte das Weiße Haus stets verkündet, durch „Druck von außen“ auf die Gestaltung der AIIB einzuwirken.
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Anmerkungen
(1) http://www.economist.com/news/asia/21646740-development-finance-helps-china-win-friends-and-influence-american-allies-infrastructure-gap
(2) http://www.emergingmarkets.org/Article/3440430/No-way-North-KoreaDPRK-refused-entry-to-China-led-AIIB.html
(3) Siehe: http://www.welt.de/wirtschaft/article138941273/Mit-einer-neuen-Seidenstrasse-endgueltig-zur-Weltmacht.html
(4) http://news.xinhuanet.com/english/china/2014-11/08/c_133774993.htm
(5) http://www.bangkokpost.com/opinion/opinion/498641/challenges-abound-for-china-aiib-push
(6) http://nationalinterest.org/feature/checkmate-chinas-new-bank-wins-over-us-allies-12506?page=2
(7) http://www.reuters.com/article/2015/03/31/us-usa-china-idUSKBN0MR2HB20150331