Weltwirtschaft

Aushöhlung der Demokratie

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Eine neue Studie zeigt: Wirtschaftslobbyisten gehören zu den zentralen Akteuren bei der Ausgestaltung des Freihandelsabkommens TTIP –

Von HANS BERGER, 10. Juli 2014 – 

Immer noch verhandelt die EU-Kommission mit der US-Regierung über die sogenannte Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP), ein Freihandelsabkommen mit weitreichenden sozialen, ökonomischen und ökologischen Konsequenzen. Kritiker befürchten, dass das Abkommen, mit dem die größte Freihandelszone der Welt entstünde, zu einem weiteren neoliberalen Angriff auf erkämpfte Rechte von Arbeitnehmern führen, Privatisierungen vorantreiben und in Europa geltende Verbraucherrechte unterlaufen könnte.

“Hauptziel ist, allen voran beim TTIP, der angestrebten Vereinbarung mit den USA, regulatorische ‘Hindernisse’ zu beseitigen, die potentielle Gewinne transnationaler Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks beschränken”, erklärt die Verbraucherschutzreferentin der Linksfraktion im Bundestag, Jana Muschalik, gegenüber der Tageszeitung junge Welt. Es “sollen neue Märkte für internationale Unternehmen geöffnet werden, die wir und auch die US-Bürger aus gutem Grund schützen, beispielsweise öffentliche Dienstleistungen – also Wasser, Energie, Bildung – und regionale Beschaffungsmärkte. TTIP ist der Versuch mächtiger Unternehmen, die Märkte auf beiden Seiten des Atlantiks aufzubrechen und zu deregulieren.”

Die Bundesregierung dagegen strebt eine möglichst rasche Umsetzung des Projekts an. Angela Merkel nannte die TTIP bei der Jahrestagung der US-Handelskammer im Mai 2014 ein “großartiges  Projekt, für das es sich zu kämpfen lohnt”. Sie sei zuversichtlich, dass man “im Laufe des nächsten Jahres” zu einem Abschluss der Verhandlungen kommen werde. (2)

Wie diese Verhandlungen geführt werden, und wer hier vor allem Einfluss auf die Ausgestaltung des Freihandelsabkommens nimmt, zeigt indessen eine neue Studie der Corporate Europe Observatory (CEO). Die Non-Profit-Organisation hat die Lobbying-Termine diverser Interessensgruppen zusammengefasst und nach Bereichen aufgeschlüsselt. (3) Mit 298 “Stakeholders”, “Interessenvertretern, sei die Europäische Kommission im Zeitraum von 2012 bis Anfang 2013 zusammengetroffen, um über TTIP zu diskutieren. 269 dieser Lobbyisten stammten aus dem Privatsektor. Von 560 registrierten Treffen waren 520 mit Vertretern privater Unternehmen oder Interessensverbände.

Demzufolge sind nur 4 Prozent der geführten Gespräche als solche einzustufen, die in irgendeinem Sinn Interessen von Bevölkerungsgruppen stärken sollen, weitere 4 Prozent betreffen Einzelpersonen, akademische oder sonstige Akteure. 92 Prozent der Lobbygespräche dienen zur Durchsetzung privatkapitalistischer Interessen. “Wenn große politische Abkommen vor der Tür stehen, ist Reden nicht Silber, sondern Gold. Oft können einzelne Worte eines Gesetzes dafür Sorgen, dass für das eigene Unternehmen finanzielle Vor- oder Nachteile entstehen”, kommentiert der österreichische Standard. (4)

Am häufigsten “geredet” wurde durch Lobbyisten der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie. Sie wurden 113 Mal vorstellig, um den Wünschen von Nestlé und Co. Nachdruck zu verleihen. An zweiter Stelle rangieren sektorenübergreifende Wirtschaftslobbyisten, wie der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) oder das Transatlantic Business Council, das eine Reihe multinationaler Konzerne vertritt. Telekommunikationskonzerne, Auto- und Chemieindustrie, Banken, Versicherungen – die Liste liest sich wie ein Who is Who des internationalen Großkapitals.

Zwar beschränkt sich die Erhebung auf den Vorbereitungszeitraum des Freihandelsabkommens, gleichwohl zeigt sie aber deutlich: Die TTIP wird von der Industrie, der Finanzbranche und den Agrarmultis als Chance begriffen, ihre Interessen bestmöglich durchsetzen zu können. Dabei ist es, so die Autoren des Berichts, vor allem das in den USA und den wohlhabenden Europäischen Ländern beheimatete Großkapital, das Einfluss auf die Verhandlungen nimmt. Unternehmen aus Peripheriestaaten wie Griechenland oder aus Osteuropa seien “vollständig abwesend”.

Die Studie bestärkt damit Einschätzungen von TTIP-Gegnern. Die Nichtregierungsorganisationen Campact und Attac hatten bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass TTIP eine Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit sich bringe. “Durch die Studie sehen wir unsere Kritik an den undurchsichtigen TTIP-Verhandlungen bestätigt. Das TTIP-Handelsabkommen dient den Interessen der Konzerne und nicht uns Bürgern. Insbesondere die geplanten Sonderklagerechte für Konzerne würden einen schleichenden Ausstieg aus der Demokratie bedeuten”, kommentiert Yves Venedey von Campact gegenüber Hintergrund.


 

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Anmerkungen

(1) http://www.jungewelt.de/2014/07-08/009.php?sstr=TTIP
(2) http://www.rundschau-online.de/politik/–grossartiges-projekt–merkel-plaediert-fuer-ttip-abkommen,15184890,27227000.html
(3) http://corporateeurope.org/international-trade/2014/07/who-lobbies-most-ttip
(4) http://derstandard.at/2000002846212/Unternehmen-dominieren-Freihandels-Lobbying
(5) http://corporateeurope.org/pressreleases/2014/07/agribusiness-biggest-lobbyist-eu-us-trade-deal-new-research-reveals
(6) https://www.campact.de/ttip/appell/teilnehmen/

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