Argentinien will spanischen Ölkonzern enteignen
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Von REDAKTION, 17. April 2012 –
Argentinien hat erste Schritte zur Enteignung von YPF, einer Tochter des multinationalen Petrochemie-Unternehmens Repsol, unternommen. Dem Kongress wurde am Montag ein entsprechender Gesetzentwurf der Regierung vorgelegt. Staatschefin Cristina Fernández de Kirchner begründete in einer Fernsehansprache die geplante Enteignung der vom spanischen Repsol kontrollierten, größten Erdölfirma Argentiniens mit dem Ausbleiben von Investitionen. Die Regierung hat die Mehrheit in beiden Parlamentskammern.
Die Maßnahme hatte sich in den vergangenen Monaten abgezeichnet. Neben mangelnden Investitionen kritisierte die argentinische Regierung den Ölkonzern vor allem wegen dessen niedriger Förderquoten. Im vergangenen Jahr habe das Land „erstmals seit 17 Jahren“ eine negative Energiebilanz gehabt, so Präsidentin Kirchner. (1) Argentinien musste 2011 laut Regierungsangaben Öl im Wert von knapp 9,4 Milliarden US-Dollar importieren. Zwischen 2008 und 2011 ist die Ölförderung von YPF laut Angaben des Mutterkonzerns um 12 Prozent gesunken, die Gasproduktion um 23 Prozent. (2)
Repsol hält 57,4 Prozent der YPF-Aktien. 25,4 Prozent gehören der Peterson-Gruppe, die wiederum von der argentinischen Unternehmerfamilie Eskenazi kontrolliert wird. Der argentinische Staat hält 17 Prozent der YPF-Anteile. Dieser Anteil soll nun auf knapp über 50 Prozent erweitert werden, wodurch der Staat den Kurs des Konzerns bestimmen könnte.
Seit Jahresbeginn hatten bereits einige Provinzen aus demselben Anlass dem Ölkonzern die Konzessionen entzogen.
Der Streit eskalierte nach dem Bekanntwerden der Entdeckung eines Öl- und Gasfeldes in der Provinz Neuquen im November vergangen Jahres, das geschätzte 1 Milliarde Barrel Erdöl umfasst. Alleine die Ausbeutung dieses Feldes würde Argentinien zehn Jahre lang mit Öl versorgen. Die dafür notwendige Investition in Höhe von rund sieben Milliarden US-Dollar will der spanische Mutterkonzern aber nicht leisten, „da dies den Aktionären nicht zu vermitteln“ sei, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt. (3)
Die Kirchner-Regierung will aber die Unabhängigkeit gegenüber ausländischen Ölimporten nicht den kurzfristigen Profitinteressen von Anteilseignern unterordnen.
Vertreter des spanischen Konzerns warfen ihr vor, vor allem aus politische Motiven heraus zu handeln, um von der inneren sozialen Krise des Landes abzulenken. In einer Erklärung bezeichnete der spanische Konzern die geplante Verstaatlichung als „ungesetzlich und ernsthaft diskriminierend“. (4)
Repsol-Chef Antonio Brufau Niubó bezichtigte die Regierung in Buenos Aires der einseitigen Schuldzuweisung. „Alle großen Ölunternehmen habe ihre Produktion reduziert, aber nur wir werden beschuldigt. (…) Wenn das keine Diskriminierung ist, was dann?“ fragte Niubó rhetorisch.
„Die Maßnahmen werden nicht unbestraft bleiben“, kündigte er auf einer Pressekonferenz in Madrid an. (5)
Der Konzern will im Falle der Enteignung Argentinien auf mehr als 10 Milliarden US-Dollar Schadensersatz verklagen. Repsol veranschlagt den Gesamtwert des Tochterunternehmens auf 18,3 Milliarden US-Dollar, den eigenen 57,4-prozentigen Anteil auf 10,5 Milliarden. (6) In einer Erklärung versicherte das Unternehmen, dass aufgrund des „einwandfreien Zustands der finanziellen Position von Repsol“, die Maßnahmen Argentiniens die Entwicklungspläne des Unternehmens nicht negativ beeinflussen werden. (7)
Der Unterstützung der spanischen Regierung kann sich der Ölkonzern gewiss sein. Die reagierte gereizt auf die geplanten Maßnahmen Argentiniens.
Spaniens Industrieminister José Manuel Soria hatte Argentinien bereits in der Vorwoche vor den negativen Konsequenzen einer Verstaatlichung der Repsol-Tochter gewarnt. „Die spanische Regierung verteidigt die Interessen aller spanischen Unternehmen im Inland und Ausland“, sagte Soria. „Sollten diese Interessen in irgendeinem Teil der Welt Angriffen ausgesetzt sein, wird die Regierung dies als feindliche Gesten interpretieren“, zitiert die Süddeutsche Zeitung den spanischen Minister. (8)
Auch Spaniens Staatssekretär Iñigo Méndez de Vigo fand drastische Worte. International laufe Argentinien Gefahr, wie ein „Pestkranker“ behandelt zu werden. Außenminister José Manuel García Margallo nannte Kirchners Entscheidung eigenmächtig. Die argentinische Regierung habe die traditionelle Atmosphäre der Freundschaft zwischen beiden Ländern gebrochen. Der Minister kündigte harte Gegenmaßnahmen an, deren Inhalt er vorerst nicht präzisieren wollte.
Die Medien der iberischen Halbinsel halten sich ebenso wenig zurück. Die linksliberale El País sprach von einer „Erklärung wirtschaftlicher Feindseligkeit“ und einem Akt der „Plünderung“.
Derweil sucht Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy internationale Unterstützung für seine Position im Konflikt um YPF. Laut der spanischen Nachrichtenagentur EFE will Rajoy heute nach Mexiko und Kolumbien aufbrechen.
In dem mexikanischen Badeort Puerto Vallarta an der Pazifikküste will er in einer Rede vor dem Weltwirtschaftsforum für Lateinamerika die wirtschaftlichen Interessen seines Landes auf dem Subkontinent verteidigen. Auf dem Programm stehen weiter Treffen mit den Präsidenten Mexikos, Felipe Calderón, und Guatemalas, Otto Pérez Molina. Calderón äußerte sich bereits kritisch zur Ankündigung seiner argentinischen Amtskollegin und sprach von einer „äußerst verantwortungslosen und irrationalen“ Maßnahme und drückte seine Hoffnung aus, dass diese sich noch anders entscheiden werde. (9)
„Alle sich entwickelnden Länder brauchen Investitionen, niemand mit klarem Kopf investiert in ein Land, in dem Investitionen enteignet werden“, so Caldéron.
Washingtons Reaktion fiel vergleichsweise milde aus. US-Außenministerin Hillary Clinton sprach nur allgemein davon, dass „ein offener Markt für Energie und Rohstoffe das beste Modell“ sei und sich die argentinische Regierung für die Maßnahme „rechtfertigen“ müsse. (10)
Was ihren historischen „Hinterhof“ betrifft, müssen die USA – zumindest rhetorisch – vorerst kleine Brötchen backen. Beim Gipfel der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Kolumbien, der am letzten Sonntag zu Ende ging, zeigte sich, dass sich die Vereinigten Staaten zunehmend vom lateinamerikanischen Süden des Kontinents politisch isolieren. Mit Ausnahme der USA selbst und Kanadas forderten die Außenminister der 32 anwesenden anderen amerikanischen Staaten die Aufhebung des seit 1962 praktizierten Ausschlusses von Kuba von dem alle drei Jahre tagenden Gipfel. Selbst Kolumbiens Rechtsregierung, die als eine der verlässlichsten Verbündeten der USA auf dem Kontinent gilt, schloss sich der Forderung an, das sozialistische Kuba wieder teilnehmen zu lassen. Die Vertreter des Südens betonten die Unabhängigkeit ihrer Länder. Die Versuche der Vertiefung der Zusammenarbeit innerhalb der Staatenbündnisse ALBA und UNASUR untermauern den Anspruch der Unabhängigkeit von Washington. Nichtsdestotrotz sind die USA aufgrund ihrer wirtschaftlichen Vormachtstellung in der Position, dass keines der lateinamerikanischen Länder ernsthaft die Kooperation mit dem „großen Bruder“ im Norden aufgeben kann. Selbst für Venezuela, das sich seit Jahren – begleitet von einer zum Teil scharfen Rhetorik – darum bemüht, sich von den Vereinigten Staaten loszulösen, bleibt Washington der größte Handelspartner. Caracas kann seine Ölexporte nicht auch nur annähernd in dem Maße diversifizieren, als dass es auf die Erlöse aus dem Export in die USA verzichten könnte. Somit steht der US-Regierung nach wie vor ein erhebliches Druckpotential zur Verfügung.
Argentiniens Staatschefin Kirchner zeigte sich indes unbeeindruckt von den Reaktionen der spanischen Seite. Sie werde „auf keine Bedrohung reagieren“ und die „Wutausbrüche nicht beantworten“. Sie sprach von „anmaßenden und respektlosen“ Äußerungen, ohne jedoch Namen zu nennen. (11)
Repsol war bereits von der vor sechs Jahren durchgeführten Verstaatlichung der bolivianischen Gasindustrie betroffen. Zum damaligen Zeitpunkt machte das bolivianische Erdöl rund ein Fünftel der Gesamtreserven des spanischen Konzerns aus, der eine Milliarde US-Dollar in dem Andenstaat investiert hatte.
Trotz der relativ unbedeutenden Auswirkungen auf Deutschland verurteilten hiesige Wirtschaftsvertreter das bolivianische Verstaatlichungsprogramm. „Wir sehen (…) eine negative Signalwirkung, die hoffentlich nicht auf die Region ausstrahlt“, warnte seinerzeit die Südamerika-Expertin des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Barbara Konner. (12)
Diese Hoffnung scheint vergebens. Die Hoffnung vieler Lateinamerikaner, sich von dem kolonialistischen Erbe zu befreien, dürfte mit der Enteignung von Repsol-YPF dafür neue Nahrung bekommen haben.
Anmerkungen
(2) https://imagenes.repsol.com/es_en/YPF_Expropiacion_ing_tcm11-621728.pdf , Seite 14, 15
(4) http://www.repsol.com/es_en/corporacion/accionistas-e-inversores/hr-YPF.aspx
(6) https://imagenes.repsol.com/es_en/YPF_Expropiacion_ing_tcm11-621728.pdf , Seite 35
(7) http://www.repsol.com/es_en/corporacion/accionistas-e-inversores/hr-YPF.aspx
(9) http://www.perfil.com/contenidos/2012/04/17/noticia_0002.html
(10) http://america.infobae.com/notas/48489-EEUU-Argentina-debe-justificar-la-expropiacion-
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(12) http://www.manager-magazin.de/finanzen/artikel/0,2828,414124-2,00.html