USA und Europa lehnen Gehaltsgrenzen für Banker vor G-20-Gipfel ab
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Von STEFAN STEINBERG, 23. September 2009 –
In der Vorbereitung auf den G-20-Gipfel in Pittsburgh am 24. und 25. September haben die Obama-Regierung und die wichtigsten europäischen Regierungen einen Kompromiss zusammengeschustert, der jede effektive Begrenzung der Bezahlung führender internationaler Banker blockiert. Deren Entlohnung bewegt sich ein Jahr nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers schon wieder in Schwindel erregenden Höhen.
Am vergangenen Mittwoch sagte Präsident Obamas Nationaler Sicherheitsberater für internationale Wirtschaftsfragen, Michael Froman, vor Journalisten in Washington, dass der Präsident gegen jede Gehaltsbegrenzung für Banker sei. Froman sagte, der Präsident sei zwar kritisch gegenüber einigen Entlohnungsmodellen in der Finanzwirtschaft, aber zögere, "individuelle Gehaltsobergrenzen festzulegen".
Obama selbst bekräftigte seine Ablehnung von Gehaltsobergrenzen für Banker vergangene Woche in einem Interview mit Bloomberg News, in dem er die rhetorische Frage stellte: "Warum wollen wir die Bezahlung von Wall Street Bankern begrenzen, aber nicht die der Chefs im Silicon Valley oder die von Footballspielern in der NFL?"
Am Donnerstag hatten sich europäische Politiker in Brüssel getroffen, um eine gemeinsame EU-Position für den Gipfel in Pittsburgh zu erarbeiten. Ganz oben auf der Tagesordnung stand die Formulierung einer gemeinsamen Position zur Bezahlung von Bankern. Die führenden EU-Politiker wollten zumindest eine Geste machen, um die wachsende soziale Opposition gegen die bevorzugte Behandlung der Banken aufzufangen.
Der schwedische Ministerpräsident und gegenwärtige Ratsvorsitzende der EU Frederik Reinfeld erklärte, dass ein Scheitern der Begrenzung von Boni "in Europa als Provokation aufgefasst werde – besonders vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosigkeit".
Kommissionspräsident Manuel Barroso erklärte: "Wir müssen uns absolut gegen eine Rückkehr zu den schlechten alten Tagen wehren. Unsere Bürger sind zurecht entsetzt, dass Banken, die mit öffentlichen Geldern gerettet worden sind, schon wieder exorbitante Boni zahlen."
Selbst der britische Premierminister Gordon Brown gab zu, dass die Frage der Boni für Banker "die Bevölkerung in fast jedem Land verärgert hat".
Vor dem Hintergrund der Differenzen zwischen Europa und den USA in dieser Frage, erklärte der führende europäische Finanzpolitiker und luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker, dass Europa bei den Boni handeln sollte, "ob die Amerikaner nun mitmachen, oder nicht".
Schließlich legte die in Brüssel beschlossene Formulierung aber keine konkreten Obergrenzen für die Gehälter oder Boni fest. Stattdessen ruft die Resolution die Regierungen vage auf, "Wege zu suchen, die variablen Gehaltsbestandteile zu begrenzen" und schlägt vor, Boni für Banker unter bestimmten Bedingungen "nachträglich zu streichen, wenn die Bank eine negative Entwicklung nimmt".
Vor dem EU-Meeting hatte der britische Schatzkanzler Alistair Darling – ganz unabhängig von dem Getöse seines Premierministers – schon klargemacht, dass seine Regierung die Begrenzung von Zahlungen an die Banker nicht ernsthaft verfolge. Eine "globale Lohnpolitik" sei nicht machbar, sagte er dem Independent.
Nach dem EU-Treffen ließ die amerikanische Notenbank Details ihrer eignen Vorstellung über die Entschädigung von Bankern an die Presse durchsickern.
Ein Artikel in der New York Times vom Samstag macht deutlich, dass auch die Vorschläge der amerikanischen Zentralbank (Fed), die in Zusammenarbeit mit Finanzminister Timothy Geithner ausgearbeitet wurden, zahnlos sind. Ähnlich wie die EU-Resolution schlägt die Federal Reserve keine konkreten Gehaltsobergrenzen vor, noch wird der Fed die Möglichkeit gegeben, die Gehaltsstruktur einzelner Banker zu kippen. Die Frage der Banker-Gehälter soll im Rahmen der normalen Aufsichtsfunktion der Fed über die Banken ausgeübt werden, d.h. vertraulich. Die Öffentlichkeit soll mal wieder im Dunkeln gelassen werden.
Die Times weist darauf hin, dass die Veröffentlichung der Vorschläge der Fed darauf abgestimmt war, strengeren Vorschlägen aus Europa oder aus dem Kongress zuvorzukommen. Die Zeitung erklärt: "Zwar sind die (von der Fed vorgeschlagenen) Regeln eine Abkehr von der Laissez Faire Haltung der letzten drei Jahrzehnte, aber sie könnten strengeren Regeln für Boni in der Finanzwirtschaft einen Riegel vorschieben."
Der Artikel deutet an, dass die Vorschläge der Fed der Kritik der EU den Wind aus den Segeln nehmen sollen, ohne tatsächlich viel an der exorbitanten Entlohnungspraxis zu ändern, die vor der Finanzkrise herrschte. Es heißt dort: "Vertreter der Fed geben den Banken in der Gestaltung ihrer Gehaltsstruktur breiten Freiraum. Sie werden keine Millionen Dollar schweren Gehaltspakete verhindern oder sich mit Fragen der Fairness befassen."
Führende Banker billigen diese Vorschläge, heißt es in dem Artikel: "Bankvorstände begrüßen die Initiative der Fed…"
Am Freitag erklärte Obamas finanzpolitischer Chefberater Lawrence Summers in einer Rede, dass die Regierung das Konzept der Fed unterstütze. Finanzminister Geithner signalisierte seine Zustimmung am Wochenende.
Das passt dazu, dass Obama, Summers und Geithner jede echte Beschränkung der Bezahlung von Bankern ablehnen. Im März griffen sie ein, um ein vom Repräsentantenhaus verabschiedetes Gesetz zu verhindern, das die Gehälter bei Banken beschränkt hätte. Das Gesetz war mit großer Mehrheit verabschiedet worden, nachdem es einen öffentlichen Aufschrei wegen der riesigen Boni gegeben hatte, die bei der American International Group (AIG) gezahlt worden waren, obwohl der Versicherungsgigant gerade insgesamt 183 Mrd. Dollar an Bargeld und Krediten von der Regierung bekommen hatte.
Die europäischen und amerikanischen Behörden arbeiten an einer Resolution für den G-20-Gipfel, die milde Kritik an den Banken formuliert. Aber im Endeffekt wird sie eine Amnestie für die Banker und Finanzleute verkünden, die die Welt in die schlimmste Rezession seit den 1930 Jahren geworfen haben, und ihnen freie Bahn geben, weiter zu spekulieren, wie bisher.
Seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers hat die Welt fünfzehn Billionen Dollar an Werten verloren (10,3 Billionen Euro). Ganze Länder wie Island, Ungarn und Lettland stehen am Rande des Abgrunds. Es wird geschätzt, dass die Krise bisher 60 Millionen Arbeitsplätze gekostet hat.
Aber nichts ist mehr von den frommen Bekenntnissen übrig, die auf dem G-20-Gipfel Anfang des Jahres in London abgegeben wurden. Damals waren noch eine wirkungsvolle Regulierung der Finanzmärkte gefordert worden sowie Maßnahmen, die Praktiken "systemrelevanter Finanzinstitute" zu zügeln.
Durch die Rettungsaktionen vieler Staaten in aller Welt sind die führenden Banken und Finanzinstitute heute größer denn je. Sie können erneut riesige Profite scheffeln und das Geld, für das sich die Regierungen verschuldet haben, um die Banken zu retten, investieren und mit ihm spekulieren.
In der jüngsten Ausgabe des Nachrichtenmagazins Der Spiegel wird die Frage gestellt, ob die Banken Lehren aus dem Zusammenbruch von Lehman Brothers gezogen haben. Die Antwort lautet: "Sie haben gelernt, aber die falsche Lektion. Der Fall Lehman wirkt für die Großen im Rückblick weniger erschreckend. … Einen zweiten Fall Lehman wird es nicht geben. Das wissen sie nun. Der Staat wird keinen mehr fallen lassen. Im Fall der Fälle hat eine große Wall Street Bank Zugriff auf die Staatskasse der USA. Voraussetzung ist, dass man als ‘systemisches Risiko’ gilt."
"Das neue Trendwort bei den Brokern ist", schreibt das Magazin weiter, "’BAB’" – bonuses are back (die Boni sind zurück).
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Die Spannungen zwischen den europäischen Regierungen und den USA nehmen zu, da alle Seiten mit nationalistischen und protektionistischen Maßnahmen auf die Krise reagieren. Aber in einer grundlegenden Klassenfrage sind sich die europäischen und die amerikanische Regierung einig: Nichts darf der internationalen Finanzelite im Weg stehen und die Arbeiterklasse in aller Welt muss die Lasten der Krise zahlen.
Quelle: WSWS