US-Ratingagentur setzt Eurozone stärker unter Druck
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Von REDAKTION, 6. Dezember 2011 –
Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) hat am Montagabend damit gedroht, die Kreditwürdigkeit sämtlicher Euroländer (außer Zypern und Griechenland) herabzustufen.
Erstmals würde dann Deutschland die Bestnote „AAA“ verlieren. Sie ist Voraussetzung, um sich an den Kapitalmärkten zu günstigen Konditionen Geld zu leihen. Neben Deutschland könnten die Ratings der ebenfalls mit Bestnoten versehenen Staaten Österreich, Belgien, Finnland, Niederlande und Luxemburg um eine Stufe herabgesetzt werden, die der anderen insgesamt 15 betroffenen Staaten um zwei Stufen.
Die Herabstufung eines Staates bedeutet, dass dieser sich durch die Ausgabe von Staatsanleihen zu höheren Zinsen weiter verschulden muss, um am den Finanzmärkten Gelder aufnehmen zu können. Eine höhere Schuldenlast bedeutet eine geringere Bonität und lässt die zu zahlenden Zinsen für künftige Anleihen ansteigen – ein Teufelskreis.
Die Bewertungen der Ratingagenturen sind schon lange umstritten. Nicht zuletzt, da sie den Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 mit verursacht haben, weil sie Bestnoten für Wertpapiere vergaben, in denen faule US-Immobilienkredite gebündelt waren. Ein gigantischer Betrug, der allerdings an der Vormachtstellung der drei profitorientierten US-Ratingagenturen Standard & Poor’s (S&P), Moody’s und Fitch, die den Markt dominieren, nichts geändert hat. Bezahlt werden diese Agenturen zudem in der Regel ausgerechnet von denen, die sie bewerten. Die Wirtschaftswissenschaftler Hanno Beck und Helmut Wienert von der Hochschule Pforzheim sprechen von einem „engen Oligopol mit hohen Gewinnspannen und schlechter Bewertungsleistung“.
Jean-Claude Juncker, Chef der Eurogruppe, kritisierte die drohenden Herabstufungen scharf. Nahezu alle Eurostaaten mit einem negativen Ausblick zu versehen, sei eine „unfaire“ und „komplett exzessive“ Entscheidung, sagte der Luxemburgische Regierungschef am Dienstag gegenüber dem Deutschlandfunk. Er nannte die Drohung einen K.O.-Schlag für alle Staaten, die sich bemühten, ihre Haushaltsdefizite zu senken
Die Ankündigung, nun gleich 15 EU-Staaten herunter zu stufen, muss als bislang größter Angriff auf die Eurozone durch US-Ratingagenturen gewertet werden. Ziel ist es, die Vormachtstellung des US-Dollars als Weltleitwährung aufrecht zu erhalten und potentielle Konkurrenzwährungen zu schwächen. Die regelmäßigen Abwertungen von Euroländern durch US-Ratingagenturen sorgen dafür, dass immer größere Mittel aufgewendet werden müssen, um den Euro stabil zu halten.
S&P macht keinen Hehl daraus, dass die angekündigte Herabstufung gezielt den Ende der Woche in Brüssel tagenden EU-Gipfel beeinflussen soll. Die Agentur kündigte an, die „Ratings der Euroländer sobald wie möglich im Anschluss an den EU-Gipfel am 8. und 9. Dezember 2011 abzuschließen.“
„Wir glauben, dass der Krisengipfel eine ganz maßgebliche Chance ist, diesen Prozess umzukehren“, sagte Europas S&P-Chefanalyst Moritz Krämer am Dienstag im ARD-Morgenmagazin.
Die Ratingagentur gibt damit auch den dominierenden Eurozonen-Ländern Deutschland und Frankreich ein Druckmittel an die Hand, auf dem EU-Gipfel Fakten zu schaffen und die eigenen Vorstellungen gegenüber den anderen Euro-Staaten durchzusetzen. Generell nutzt Berlin die Eurokrise, um die eigene Vormachtstellung in der Eurozone auszubauen.
In einer in der deutschen Hauptstadt verbreiteten gemeinsamen Erklärung ließen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wissen, man nehme die Ankündigung der Ratingagentur „zur Kenntnis“. Sie bekräftigen ihre Überzeugung, dass die gemeinsam gemachten Vorschläge „die haushalts- und wirtschaftspolitische Koordinierung der Eurozone stärken und so Stabilität, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum fördern werden“.
„Wir müssen uns beeilen, wir haben nicht so viel Zeit“, hatte Sarkozy zuvor nach einem Treffen mit Merkel am Montag in Paris gesagt. Den Europartnern wurde auch mit einem Alleingang der beiden größten Volkswirtschaften gedroht.
„Wir sind fest entschlossen, die Entscheidung jetzt genau bei diesem Rat herbeizuführen,“ betonte Merkel mit Blick auf den EU-Gipfel.
Am Mittwoch wollen Berlin und Paris ihre gemeinsamen Vorschläge in einem Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy übermitteln. In Brüssel sei dann zu klären, in welchem Rahmen Verträge geändert und die Spielregeln zur besseren Haushaltskontrolle verschärft, also die Souveränität der Nationalstaaten zugunsten von EU-Kommissionen eingeschränkt werden sollen.
Der Verzicht verschuldeter Euro-Staaten auf ihre Hoheit in zentralen Haushalts- und Finanzfragen ist ein besonderes Anliegen der deutschen Politik.
„Regeln müssen eingehalten werden; ihre Einhaltung muss kontrolliert werden; ihre Nichteinhaltung muss Konsequenzen haben“, und zwar „ohne Wenn und Aber“, so die Bundeskanzlerin. (1) Zudem verlangt Merkel die Umsetzung von „weiteren Strukturreformen insbesondere im Arbeitsrecht der Mitgliedstaaten“. Im Endeffekt läuft dies darauf hinaus, die in Deutschland unter den Schlagworten „Agenda 2010“ und „Hartz IV“ bekannten Regularien durchzusetzen, die Arbeitszwang beinhalten und erhebliche Bevölkerungsteile in Verelendung treiben“, so Thomasz Konicz in einem Hintergrund-Artikel. (2)
Moritz Krämer von Standard & Poor’s verteidigte die Entscheidung der Ratingagentur. „Wir glauben, dass die bisherige Erfolglosigkeit, die Krise wirklich effektiv und nachhaltig in den Griff zu bekommen, die Risiken einer realwirtschaftlichen Bremswirkung nach sich zieht“, sagte er. Die Gefahr einer Rezession im kommenden Jahr sei gestiegen – nicht nur in Europa, sondern weltweit. Eine Exportnation wie Deutschland werde davon stark betroffen sein.
Wenn auch den US-Ratingagenturen keine objektive, neutrale Bewertung von Finanzprodukten attestiert werden kann, so ist doch Krämers Argumentation nicht von der Hand zu weisen. Der Schuldenabbau, der nun dank der angekündigten Herabstufung um so restriktiver umgesetzt werden soll, kann zwar helfen, kurzfristig die Bonität an den Finanzmärkten zu stabilisieren, erfahrungsgemäß wirken sich verringerte Staatsausgaben aber konjunkturdämpfend beziehungsweise rezessionsfördernd aus. Die sogenannte Schuldenbremse geht zu Lasten der Bevölkerung und nicht derer, die die Krise mitzuverantworten haben. Anhebung des Renteneintrittsalters, Kürzung von Gehältern, längere Wochenarbeitszeiten sollen Maßnahmen sein, die mit der Sanierung der jeweiligen europäischen Staatshaushalte verbunden sind.
Anstatt mit immer aufwendigeren Mitteln, für die die Allgemeinheit aufkommen muss, die verschuldeten Staaten zu retten, damit diese ihre Schulden bei den Banken begleichen können, wäre es im Interesse der Allgemeinheit, diese Schulden zu streichen und den Staatsbankrott zu erklären. Das würde im Fall des Falles auch bedeuten, dass ein betroffenes Land wie beispielsweise Griechenland aus der Eurozone austreten müsste. Das würde die Eurozone zwar territorial verkleinern, aber insgesamt stärken.
Für eine solche Lösung spricht sich auch der Volkswirtschaftler Hanno Beck aus. Nach zwei Jahren des Hin und Her müsse man erkennen, dass es zu teuer ist, Staaten zu retten. Das könne man sich nicht leisten. „Sie können Rettungsschirme aufspannen wie sie wollen, sie werden ganze Staaten nicht retten können.“ Nötig sei eine Konkursordnung für Staaten. Es müsse die Möglichkeit in Erwägung gezogen werden, dass Länder Insolvenz anmelden können, so Beck.
Doch eine staatliche Insolvenz wäre nicht im Interesse der Gläubiger, und dies sind vor allem Banken. Die Politik fühlt sich deren Interessen verpflichtet und ist daher eher geneigt, durch exzessive Sparprogramme einen großflächigen Angriff auf den Lebensstandard der Bevölkerung durchzusetzen, als eine dem Allgemeinwohl verpflichtete Politik zu betreiben, die sich nicht zur Geisel der Finanzmärkte machen lässt.
Anmerkungen
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(1) http://www.faz.net/aktuell/politik/regierungserklaerung-merkel-fordert-neue-europaeische-schuldenbremse-11548551.html
(2) http://www.hintergrund.de/201112051819/politik/politik-eu/deutschland-als-europas-usa.html