Nur noch Sackgassen
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Zypern beschließt Einschränkungen des Kapitalverkehrs – und die Eurokrise geht in die nächste Runde –
Von THOMAS EIPELDAUER, 28. März 2013 –
Nachdem sich Zypern und die Eurogruppe Anfang dieser Woche auf eine Reihe von Maßnahmen (vgl. Hintergrund-Artikel „Bis zum nächsten Crash“) als Gegenleistung zur Auszahlung von Geldern aus dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) geeinigt hatten, wird immer deutlicher: Eine endgültige „Rettung“ des Mittelmeerlandes vor dem Staatsbankrott ist damit nicht erreicht worden. Denn die Schrumpfung des Bankensektors durch die Abwicklung der Laiki-Bank und die Umstrukturierung der Bank of Cyprus hat immense Auswirkungen auf die gesamte Ökonomie des Inselstaates.
Zentrifugale Tendenzen
Insbesondere Großanleger scheinen zur Zeit eifrig an Exitstrategien zu feilen, um doch noch irgendwie größere Summen aus Zypern wegzuschaffen. Ihnen drohen, liegt ihr Geld bei der Laiki-Bank, Verluste von bis zu 80 Prozent, im Fall der Bank of Cyprus (BoC) ist immerhin von bis zu 40 Prozent bei Beträgen über 100 000 Euro die Rede, die in Anleihen der BoC umgewandelt werden sollen. Darüber hinaus dürfte auch der ursprünglich diskutierte Vorschlag, alle Bankkunden, auch Kleinsparer, zur Beschaffung des zyprischen Eigenanteils am „Rettungspaket“ zu beteiligen, selbst wenn er nun nicht in die Tat umgesetzt wurde, nicht unbedingt zum Vertrauen in die Sicherheit zyprischer Banken beigetragen haben.
Dementsprechend nervös sah die Regierung in Nikosia der heutigen Wiedereröffnung der seit beinahe zwei Wochen geschlossenen Banken entgegen. Verabschiedet wurden deshalb Bestimmungen zur Einschränkung des Kapitalverkehrs, von denen man sich erhofft, dass sie ein allzu unreguliertes Abfließen von Kapital verhindern. Pro Person und Tag können nicht mehr als 300 Euro abgehoben werden, nicht mehr als 1 000 Euro dürfen Reisende ins Ausland mitnehmen. Auf andere Bankkonten können bis zu 5 000 Euro transferiert werden, bei höheren Summen bedarf es einer Sondergenehmigung.
Diese Beschränkungen sind ein Novum in der Eurozone. „Nichtsdestotrotz, das Problem der Kapitalverkehrskontrollen bleibt bestehen. Kapitalverkehrskontrollen ermöglichen es Regierungen, in Zypern und vielleicht in anderen Ländern, die in der Zukunft vor einem Bail-Out stehen, zu entscheiden, ob ein Euro sich bewegen kann oder nicht. Das untergräbt das einheitliche Währungssystem und damit die Einheit der Eurozone“, kommentierte Guntram B. Wolff vom Brüsseler Thinktank Bruegel in der Financial Times. Nicht in der Bewertung dieses Umstandes, wohl aber in der Analyse stimmt Wolff überein mit der Einschätzung der kommunistischen Partei Griechenlands, die hervorhebt, dass sich mit Zypern ein weiteres Mal die Verstärkung „zentrifugaler Tendenzen in der EU sowie in der Eurozone“ gezeigt haben und unter den Bedingungen einer „sehr tiefen Krise“ die „Konkurrenz zwischen den Staaten und zwischen verschiedenen Fraktionen des Kapitals darüber, wer mehr von der Krise profitiere und wer weniger Verluste zu verbuchen habe“ zunehme.
Auch Wolfgang Münchau stellte in seiner Kolumne für Spiegel online fest: Diese „Politik wird den Euro zerstören, und zwar mit zwei jetzt absehbaren ineinandergreifenden Mechanismen. Der erste ist eine Kapitalflucht aus den Euro-Krisenstaaten, die sich ausweiten wird. Man wird sie durch permanente Beschränkungen im freien Kapitalverkehr unterdrücken. Der zweite ist eine nicht enden wollende Rezession im Euro-Raum.“
Who´s next?
Tatsächlich ist es mehr als unrealistisch, zu meinen, dass Zypern die letzte Station der Eurokrise gewesen sein könnte. Medienberichten zufolge bereitet man sich auch im ökonomisch eng mit Zypern verbundenen Griechenland auf die Auswirkungen der Umstrukturierung des zyprischen Bankensektors vor. Bereits am Dienstag, so die Tageszeitung Kathimerini, habe man in Athen die möglichen Bedrohungslagen erörtert. Finanzminister Yannis Stournaras und Premier Antonis Samaras hätten dabei vor allem auf drei Punkte hingewiesen: Das größte Risiko bestehe darin, dass es zu einem Bank Run nicht nur auf die griechischen Filialen zyprischer Banken – die mittlerweile von der Piräus-Bank übernommen worden sind –, sondern auch auf andere griechische Institute komme. Zweitens sei der griechische Privatsektor gefährdet, wenn griechische Unternehmen, die in Zypern tätig sind, die Auswirkungen der Maßnahmen zu spüren bekommen. Drittens sei im allgemeinen eine Verschlechterung des ökonomischen Klimas in der Eurozone zu befürchten.
Doch nicht nur Griechenland könnte in den kommenden Monaten wieder zum Kristallisationspunkt der widersprüchlichen ökonomischen Entwicklung der Eurozone werden. Der US-Ökonom Adam Posen, ein international renommierter Experte für Geld- und Fiskalpolitik, verlieh im Interview mit der Welt seiner Überzeugung Ausdruck, dass auch Irland oder Spanien demnächst auf Unterstützung der Europäischen Zentralbank angewiesen sein könnten: „Irland oder Spanien werden Hilfen aus dem OMT-Programm beantragen müssen. Es ist extrem wahrscheinlich, dass mindestens eines dieser beiden Länder vor Jahresende um Hilfen bitten muss.“
Was tun?
Die „Zypernrettung“ zeigt: Für diejenigen, die an systemimmanenten „Lösungen“ der Eurokrise interessiert sind, verengt sich der Möglichkeitsspielraum zusehends. Egal was sie machen, die Bewältigung des jeweiligen Krisenhöhepunktes trägt doch nur den Keim des nächsten in sich. Die nun durchgesetzte Variante wird der zyprischen Volkswirtschaft genauso schaden, wie es etwaige Alternativen mit der Verpfändung von Pensionsfonds und Gasvorkommen oder der Aufnahme russischer Kredite getan hätten. Wer meint, man könne Griechenland „sanieren“, indem man es mittels einer Schockstrategie in die Dauerrezession stürzt, irrt genauso, wie derjenige, der glaubt, es reiche, in Zypern die Laiki-Bank abzuwickeln.
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Was Zypern nun bevorsteht, prophezeite der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman in seiner Kolumne in der New York Times: „In der Eurozone zu bleiben, bedeutet eine unglaublich schwere Rezession, die für viele Jahre andauern wird, während Zypern versucht, einen neuen Exportsektor aufzubauen. (…) Ich würde mich nicht wundern, wenn es zu einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 20 Prozent kommt.“ Deshalb empfiehlt Krugman knapp: „Zypern sollte aus dem Euro aussteigen. Jetzt.“
Möglicherweise ist es tatsächlich so, wie die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) in einer ersten Einschätzung formuliert: Die Zeit für Reformen sei vorbei, nur ein Bruch mit dem bisherigen Akkumulationsmodell könne die Krise beenden. Auch die systemimmanenten Alternativpläne seien letztlich „Sackgassen“.