Finanzwelt

Luxemburg-Leaks: „Auf dem Weg zur Steuergerechtigkeit“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von REDAKTION, 6. November 2014 –

Wie Dokumente belegen, die am Donnerstag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, haben hunderte Konzerne in Luxemburg dank geheimer Absprachen mit staatlichen Stellen Steuern in Milliardenhöhe am Fiskus vorbei jongliert.

Die rund 28 000 Seiten umfassenden Unterlagen wurden im April von unbekannter Stelle an das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) in Washington weitergeleitet. Daraufhin begann eine monatelange Recherche von mehr als achtzig Journalisten in 26 Ländern, an der auch die Süddeutsche Zeitung, der NDR sowie der WDR, der britische Guardian und die französische Le Monde unter Koordination des ICIJ beteiligt waren. Der Journalistenverein stellte am Donnerstag erstmals einen Teil der Unterlagen der „Luxemburg Leaks“ auf seiner Webseite der Öffentlichkeit zur Einsicht zur Verfügung. (1)

Insgesamt 340 Firmen und Konzerne konnten demnach durch Geheimabsprachen ihr Steueraufkommen drastisch reduzieren. Darunter Amazon, die Deutsche Bank, Eon, Pepsi, FedEx und der US-Versicherungskonzern AIG. Obwohl sie ihr Hauptgeschäft in anderen Ländern hatten, gründeten sie im Großherzogtum Luxemburg Niederlassungen, wohin sie dann ihre im Ausland erwirtschafteten Gewinne verschoben. Praktisch handelt es sich bei einem Großteil der Niederlassungen um Briefkastenfirmen – so haben alleine 1 600 Firmen ihren Sitz an derselben Adresse, der „Rue Guillaume Kroll No.5“. Durch kreative Ausnutzung der Lücken in der internationalen Gesetzgebung sowie der Anpassung der luxemburgischen Gesetze im Sinne der Steuervermeidung konnten hunderte Milliarden Euro durch das kleine Land und am Fiskus der Nachbarn vorbei geschleust werden. Viele der beteiligten Konzerne kamen so auf legale Weise auf eine effektive Steuerrate von weniger als einem Prozent – in Luxemburg beträgt die Unternehmenssteuer offiziell 29 Prozent.  

Eingefädelt wurden die Geheimdeals zwischen Staat und Wirtschaft von Spezialisten der Beraterfirma PricewaterhouseCoopers (PwC), die auch die meisten der geleakten Dokumente verfasst haben. Es handelt sich dabei vor allem um sogenannten Advance Tax Agreements, in  denen im Voraus eine bestimmte steuerliche Behandlung zugesichert wird. Nachvollziehen lässt sich nun, wie die Experten der Beraterfirma die Konzerne anhielten, Schwestergesellschaften zu gründen, um so durch das hin- und herschieben des Vermögens Konzerngewinne als Verluste bilanzieren zu können, die dann steuerfrei sind.

Die PwC-Berater „nutzen jede Lücke in der internationalen Steuergesetzgebung und bauen so die Offshore-Konstrukte für ihre Kunden. Diese besprechen sie wenn nötig mit den Luxemburger Steuerbeamten. Am Ende schicken sie einen Antrag an die zuständige Behörde – der staatliche Stempel sichert dem Konzern dann zu, dass sein Steuersparkonstrukt als legal anerkannt wird“, fasst die Süddeutsche Zeitung zusammen. (2) In einem firmen-internen PwC-Papier wird das Großherzogtum als Ort mit „flexiblen Behörden“ beschrieben, die „leicht kontaktierbar“ und „dialogbereit“ seien. (3)

Chef der EU und Diener des Kapitals

Durch die Veröffentlichung der Geheimdokumente gerät vor allem ein Mann unter Druck, der laut Süddeutscher Zeitung „als Co-Architekt des Luxemburger Systems gelten kann“: Der frisch zum EU-Kommissionschef gekürte Jean-Claude Juncker. „Jener Juncker, der 24 Jahre lang, zuerst als Finanzminister, dann in Personalunion als Premierminister Luxemburgs und Vorsitzender der einflussreichen Euro-Gruppe, europäische Steuer- und Unternehmensgesetze beschließen und im eigenen Land derart kreativ hat auslegen lassen, dass die Wettbewerbsabteilung der EU-Kommission wegen absehbaren Schadens an ihrer Glaubwürdigkeit nicht mehr anders konnte, als gegen Luxemburg wegen des Verdachts auf Verletzung europäischen Beihilferechts vorzugehen.“ (4)

Konkret geht es dabei um den Verdacht illegaler Steuervorteile für den Online-Händler Amazon und für die Finanztochter des Fiat-Autokonzerns (Fiat Finance and Trade). Im Fall des Online-Versandhauses geht es um Lizenzgebühren in Höhe von über 500 Millionen Euro, die Amazons Europazentrale abgeführt hat. Diese machten die Gewinne des Konzerns zunichte, die er in Luxemburg hätte versteuern müssen. Gleichzeitig kassierte eine Amazon-Tochter, die in Luxemburg keine Steuern zahlen muss, 519 Millionen Euro an Lizenzgebühren.

Möglich gemacht wurde der legale Schwindel durch ein Gesetz, das Jean-Claude Juncker 2007 unterzeichnete. Die Ermittlungen der EU-Kommission müssten sich demnach auch gegen den Mann richten, der nun an ihrer Spitze steht. Auf einer Pressekonferenz vor zwei Wochen wurde Juncker gefragt, ob er denn als EU-Kommissionspräsident im Fall der Ermittlungen gegen das „Steuerparadies Luxemburg“ nun gegen sich selbst ermitteln müsse. Seine Antwort: „Erst einmal glaube ich nicht, dass die Kommission ein Ermittlungsverfahren gegen das Steuerparadies Luxemburg eingeleitet hat, sondern gegen Luxemburg. Ich bitte Sie also um eine etwas präzisere Wortwahl. Zweitens: Juncker ermittelt nicht gegen Juncker.“ Er werde „keinen Einfluss auf die Geschehnisse“ nehmen und sein Amt „nicht missbrauchen, um in Sachen und in Richtung Luxemburg die Kommissare anders entscheiden zu lassen als sie in ähnlich gelagerten Fällen entscheiden würden.“

Während seiner Amtszeit als Finanz- und Premierminister des Großherzogtums erwies sich Juncker stets als treuer Interessenverwalter des Großkapitals. Unter seiner Regie stieg der Wirtschaftszwerg zu einer Finanzgroßmacht auf: Die in Luxemburg verwaltete Vermögenssumme beträgt heute drei Billionen Euro. Damit ist es nach den USA das weltweit größte Investment-Zentrum.  

Mit Juncker habe er „nie Probleme“ gehabt, sagte Marius Kohl gegenüber dem Wall Street Journal. Der auch als „Mr. Ruling“ bekannte Kohl hatte in Luxemburg als Leiter einer Steuerabteilung als Dreh-und Angelpunkt der Geheimabsprachen zwischen Konzernen und Staat fungiert.

Ein Problem mit dem EU-Chef hat hingegen nun die SPD. Dabei war Juncker auch auf Betreiben der Sozialdemokraten hin Kommissionspräsident geworden. Ganz so, als verkünde er eine Neuigkeit, empörte sich der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel am Donnerstag in Berlin: „Juncker hat als Premierminister Luxemburg zu einem der größten Finanzplätze und zum Standort für Steuersparmodelle gemacht.“ Als Kommissionspräsident stehe er nun in der Pflicht und müsse sich jetzt „offensiv den hierzu auftretenden Fragen stellen, abtauchen in dieser zentralen Frage ist nicht möglich.“ Juncker verweigert sich bislang einer öffentlichen Stellungnahme zu dem nun bekannt gewordenen Skandal, den die HARTZ-IV-Partei derweil nutzt, um sich als Vertreter der „kleinen Leute“ zu inszenieren. „Jeder Bäckermeister und Mittelständler zahlt in Deutschland ordentlich Steuern, das muss auch für Konzerne gelten“, so Schäfer-Gümbel, Die Steuertricks seien „Raub am Eigentum der Gesellschaft“, für den der Bürger „die Zeche zahlt“.

Kritik kam auch aus den Reihen der Linken, die dem EU-Chef „Beihilfe zur Steuerhinterziehung“ vorwarfen. Luxemburg habe unter Junckers Federführung viele Jahre im großen Stil Unternehmen geholfen, ihre Steuerlast teils auf Null zu senken, kritisierte die Vizechefin der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, am Donnerstag im Bundestag. „Das finde ich schon bemerkenswert, dass Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Beihilfe dafür, dass große Konzerne die Allgemeinheit in Europa in Milliarden- und Billionenhöhe schädigen können, dass das offensichtlich für höchste Ämter in Europa prädestiniert“, so die Sozialistin.

Die luxemburgische Regierung kann die ganze Aufregung indes nicht verstehen. Schließlich seien die Steuerpraktiken im Großherzogtum rechtmäßig gewesen. „Luxemburg hält sich an nationale Gesetze und internationale Gesetze“, erklärte der amtierende Premierminister Xavier Bettel am Donnerstag vor Journalisten in Luxemburg. Sein Land sei keine Steueroase. Und es könne doch nicht die Steuern erhöhen, nur damit es verschuldeten Nachbarländern besser gehe. „Wir sind absolut auf dem Weg zur Steuergerechtigkeit“, sagte er nach Berichten luxemburgischer Medien.

(mit dpa)

Anmerkungen

(1) http://www.icij.org/project/luxembourg-leaks/explore-documents-luxembourg-leaks-database

(2) http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/steuer-dokumente-so-wurde-luxemburg-leaks-recherchiert-1.2205299

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(3) http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/luxemburg-leaks-aerger-im-steuer-maerchenland-1.2206040-3

(4) http://www.sueddeutsche.de/politik/luxemburg-juncker-gegen-juncker-1.2206044

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