Renzi in der Bredouille

Faule Kredite in Italiens Banken

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Ministerpräsident Matteo Renzi möchte den Geldhäusern des Landes helfen, aber die EU bremst

In Italien, dem Land, das die Banken erfunden hat, kommt es zur Feuertaufe für die neuen Regeln der EU-Bankenaufsicht. Seit Anfang 2016 gelten in der Europäischen Union strengere Restriktionen für das Retten von Geldinstituten. Wenn eine Bank in Schwierigkeiten kommt, darf der Staat nicht mehr einfach zu Hilfe kommen. Erst wenn die Gläubiger des Instituts ihren Beitrag geleistet haben, darf ein Rettungsfonds angezapft und erst dann Steuergeld eingesetzt werden. Faire Lastenverteilung oder burden sharing nennen die Bankenfachleute das. Doch der Teufel steckt im Detail, wie sich in Italien gerade deutlich zeigt.

Dem drittgrößten Land der Eurozone drohe wieder eine Bankenkrise, ist derzeit oft zu lesen. Offenbar haben sich Großanleger seit dem Brexit-Referendum am 23. Juni auf der Suche nach einem Opfer des „negativen sentiments“ als erstes auf Italiens Bankhäuser eingeschossen. Dabei ist dieser Prozess des „Vertrauensverlustes“ seit einiger Zeit im Gange. Die Unicredit, die größte Bank Italiens und über die Hypovereinsbank auch stark in Deutschland präsent, hat seit Herbst 2015 rund zwei Drittel ihres Börsenmarktwertes verloren.

Faule Kredite

Ein Grund ist auch gefunden: Volkswirte des Internationalen Währungsfonds (IWF) schreiben im Rahmen dessen regelmäßiger Ländervisite, italienische Banken hätten schlechte Kredite in Höhe von 360 Mrd. Euro in ihren Büchern, was 18 Prozent ihres gesamten Kreditportfolios ausmacht. Etwa die Hälfte davon sind echte „faule Kredite“, in Italien „sofferenze“ genannt, die faktisch nicht mehr einzutreiben sind. Auch wenn die drei größten Banken, nämlich Unicredit, Intesa San Paolo und die Banca Monte dei Paschi di Siena den höchsten Anteil schlechter Kredite aufweisen, trifft das Problem doch sehr viele italienische Banken. Besonders die dritte im Bunde, die Banca Monte dei Paschi di Siena steht derzeit im Fokus. Sie gilt als älteste, noch aktive Bank der Welt und zählt über vier Millionen Kunden. 2013 wurde sie schon einmal „gerettet“. Sie hat allein 46,9 Mrd. Euro schlechte Kredite in den Büchern und hat sich nun erklärt, diese bis 2018 drastisch zu reduzieren.

Aber schlechte Kredite haben die Eigenschaft, dass sie kleben wie Teerflecken. Sind sie einmal da, lassen sie sich kaum reduzieren, solange es den Schuldnern nicht besser geht. Das aber steht nur zum Teil in der Macht der Bank. Reduziert sie die Vergabe von neuen Krediten, macht sie es oft noch schlimmer, weil der Anteil der alten, tendenziell schlechten, dann steigt.

Wie schlimm faule Kredite für eine Bank akut sind, darüber wird gestritten. Eine Bank kann damit auch lange leben, wenn nicht viel darüber geredet wird und sie die Chance hat, sie langsam abzubauen. Allerdings ist die Dynamik in Italien besorgniserregend. Von 4 Prozent im Jahr 2008 hat sich ihr Anteil in den wenigen Jahren seither mehr als vervierfacht. Besonders fatal ist, dass es eine starke regionale Spaltung gibt, wie die IWF-Studie zeigt. Im Süden, in Apulien, der Basilicata, Kalabrien, Kampanien, Sizilien und Sardinien ist der Anteil dieser Problemkredite mit über 20 Prozent besonders hoch – also dort, wo Einkommensniveau und Wirtschaftslage ohnehin schwach sind.

Ein Großteil der Schuldner sind Kleinunternehmer und dort vor allem kleine Dienstleister, also etwa die typischen Restaurants oder kleine Geschäfte. Diese sind besonders betroffen von der schwachen Nachfrage aufgrund der langen Doppelrezession der vergangenen acht Jahre. Wie der IWF erwarte, wird Italiens Volkswirtschaft 2016 und 2017 erstmals seit Jahren wohl wieder etwas wachsen, nämlich um gut ein Prozent. Allerdings wird sie, wenn dieser Trend sich fortsetzt, erst Mitte der 2020-er Jahre das Niveau von 2007 wieder erreicht haben, also dem Jahr, bevor die Finanz- und Eurokrise begann.

Am 29. Juli 2016 werden die Ergebnisse eines neuen Stresstests der Europäischen Bankenaufsicht von der Europäischen Zentralbank (EZB) veröffentlicht, der noch einmal Aufschluss über die Lage der Banken geben wird. Beim bislang letzten Stresstest im Jahr 2014 sind neun von 15 geprüften italienischen Instituten durchgefallen.

Die Kleinsparer

Was wäre das Problem, wenn die Banken das Geld ihrer Kredite nicht mehr wieder sehen? In der Regel haben sie doch eigentlich genug davon. Das gilt aber nicht für alle. Italien hat viele recht kleine Banken, die, wenn ihre Bilanzen nicht gut sind, nur schwer an frisches Geld kommen.

Banken verleihen das Geld von Einlegern, darunter auch Kleinsparern, und diese sind die heiligen Kühe der Finanzwelt, in Deutschland ganz besonders. Es war wenige Tage nach dem großen Knall an der Wallstreet, der Pleite der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008, als die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr damaliger Finanzminister Peer Steinbrück am 5. Oktober 2008 mit ernsten Gesichtern vor die Kameras traten und verkündeten: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.”

Damals wurde allerdings allgemein mit der Ansteckungsgefahr argumentiert. Sie drohe, wenn eine Bank falle, weswegen es besser und billiger sei, sie zu retten. Das wurde allgemein als Lehre aus der Lehman-Pleite gezogen. Inzwischen allerdings hat sich die Debatte etwas gedreht, weil zu offensichtlich geworden ist, dass Staat und Öffentlichkeit hier von interessierter Seite der Banken in einen Angstzustand versetzt worden sind, der einigen Banken sehr zugute kam, nicht zuletzt den besonders aggressiv agierenden Investmentbanken.

Nun hat der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi ein Problem mit seinen Banken und er will genau das tun: Banken retten, und zwar mit Steuergeld. Während ihm die Brüsseler EU-Kommission – in den Tagen nach dem Brexit-Referendum ohne Lust auf Konflikte mit Regierungen – Liquiditätshilfen in Form von staatlichen Garantien für die Anleihenemission genehmigt, kommt gegen eine echte Rekapitalisierung aus Brüssel und Berlin Widerstand. „Ich sehe keine krisenhafte Entwicklung insgesamt“, sagte Merkel am Dienstag. Auch der Chef der Eurogruppe Jeroen Dijsselbloem sagt, es dürfe „kein Rettungsprogramm aus Steuergeldern“ geben. Warum die Einmischung? Darf Renzi nicht machen, was er oder seine Parlamentsmehrheit will?

Nicht in der Europäischen Union. Es gibt Regeln für Staatshilfen und seit Anfang 2016 eine zusätzliche EU-Richtlinie zur Bankenabwicklung (Bank Recovery and Resolution Directive, BBRD). Sie folgt den Prinzipien, die das Forum für Finanzstabilität, nach einem entsprechenden Auftrag der Staatschefs der Ländergruppe G20 seit 2009 formuliert hat: Es dürfe kein too big to fail mehr geben, das große Finanzhäuser in die Position bringt, Regierungen damit zu erpressen, dass ihr Zusammenbruch mehr Schaden für alle bedeute als eine Rettung kosten würde.

Allerding habe sich die Debatte um bail-in oder bail-out in Italien und der EU insgsamt „von der Fakten gelöst und ist ein Vehikel ideologischen Getues“, sagt Nicolas Véron vom Brüsseler Think Tank Bruegel. Dabei sei nicht ohne Ironie, wer nun überall „pro-bail-out“ ist, einschließlich JP Morgans Chief Executive Jamie Dimon.

Die Logik der EU-Bankenrichtlinie BBRD ist aber tendenziell „pro-bail-in“ und sieht nun vor, dass zuerst die Eigentümer, und dann die Gläubiger herangezogen werden müssen, bevor staatliches Geld zur Rettung einer Bank fließt. Doch was auf dem Papier schön klingt, kann in der Realität sehr viel unschöner sein. Im Dezember 2015 wickelte die italienische Bankenaufsicht vier kleine Banken ab, die zu viele schlechte Kredite aufgehäuft hatten und daher pleite waren – aber sie ließ die Gläubiger zuerst bluten, so wie von den neuen EU-Regeln gefordert. Doch das ging nicht gut aus.

Im Dezember erhängte sich ein 68-jähriger Rentner in der Kleinstadt Civitavecchia bei Rom. Er hatte Ersparnisse von 110 000 Euro seiner Hausbank, der Banca Etruria anvertraut. Was ihm nicht klar war: Es handelte sich um nachrangige Anleihen, die zwar höher verzinst wurden, aber bei einer Pleite ganz hinten stehen – jedenfalls seit den neuen Aufsichtsprinzipien.

Damit ist er nicht alleine, im Gegenteil. Italienische Banken lieben ihre Kleinsparer so sehr, dass sie ihnen ein Drittel ihrer rund 600 Mrd. Euro Bankanleihen „anvertraut“ haben. Dabei handelt es sich zum beträchtlichen Teil um eben diese nachrangigen Anleihen. Das ist riskant und wird allgemein kritisiert, aber sie machen es seit vielen Jahren und es lässt sich erst einmal nicht ungeschehen machen. Was den Deutschen ihr Sparbuch und ihr Tagesgeld, ist den Italienern die nachrangige Anleihe bei ihrer Hausbank. Ähnliche Sparkultur, aber doch in Nuancen unterschieden, und damit komplett andere Konsequenzen – seit der neuen BBRD. Konnten die Banken und ihre Kunden die Gefahren aufgrund der geänderten Aufsichtsregel abschätzen? Und seit wann?

Renzi in der Bredouille

Für den italienischen, eigentlich pro-europäischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi, der im Oktober oder November ein wichtiges Referendum beim Wahlvolk durchbekommen möchte, ist klar. Er kann eine öffentliche Empörung der Sparer nicht brauchen. Das hat ihn der Selbstmord des Rentners gelehrt, der auch gleich von Rechtspopulisten ausgeschlachtet wurde. Daum will er ein bail-in, also die Einbeziehung der Gläubiger in eine Rettungsaktion nicht. Zwar gibt es auch in den neuen EU-Regeln eine Untergrenze der Beteiligung der Gläubiger bei 100 000 Euro. Aber erstens ist diese Grenze nicht besonders hoch für jemanden, der seinen Lebensabend damit bestreiten möchte. Zum zweiten gibt es das typische Problem des Übergangs: Was gilt für 99 000 Euro?

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Zudem ist zumindest diskutierbar, welchen Schutzbedarf der italienische Kleinsparer wirklich hat. „Italienische Haushalte sind wohlhabend“, schreibt der IWF. „Seine Bilanzen (also seine Nettovermögen) sehen besser als die ihres Staates. Das Nettofinanzvermögen ist doppelt so hoch wie die Wirtschaftsleistung.“ Mit 298,1 Mrd. Euro ist es laut OECD sogar in absoluten Zahlen größer als das deutsche mit 212,8 Mrd. Euro – obwohl Deutschland deutlich größer ist und seine Wirtschaft zuletzt deutlich kräftiger wächst.

Eines aber ist klar: Die Debatte um die Bankenrettung wird für Renzi ein großes Problem, das seine Regierung gefährden könnte. Er ist der Bredouille – zwischen den Ansprüchen der Sparer und Wähler einerseits und den nicht an die uralten italienischen Usancen angepasste Bankenaufsicht der EZB anderseits. Wenn er sie eins zu eins umsetzt, kann er nur verlieren, so wie sie konstruiert ist. Scheitert er, wird man die Schuld bei ihm suchen.

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