Euro-Rettungsstrategien
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Angst ums Gold, Angst vorm Volk –
Von SEBASTIAN RANGE, 8. November 2011 –
Angesichts immer gigantischerer Summen, die in die Rettung des Euro-Systems gesteckt werden, war es nur eine Frage der Zeit, wann die Forderung erhoben werden würde, mit den Goldvorräten der Bundesbank und anderer Euro-Notenbanken den EFSF-Rettungsschirm aufzufüllen.
Zumindest laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) hätten US-Präsident Barack Obama, Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Großbritanniens Premier David Cameron auf dem G20-Gipfel in Cannes vorgeschlagen, die Währungsreserven der Notenbanken in den Rettungsschirm einzubeziehen.
Bundesregierungssprecher Steffen Seibert wiegelte hingegen ab: „Die von der Bundesbank verwalteten Goldreserven der Bundesrepublik Deutschland standen bei dem G20-Gipfel in Cannes zu keinem Zeitpunkt zur Diskussion.“
Die Bundesbank verfügt über Währungsreserven von insgesamt 162,1 Milliarden Euro, wovon Gold mit 115,4 Milliarden Euro den Löwenanteil ausmacht. Der Rest teilt sich auf in Devisen (28,0 Mrd. Euro) und Forderungen an den Internationalen Währungsfonds IWF (18,7 Mrd. Euro) in Form von Sonderziehungsrechten. Dabei handelt es sich um eine vom IWF herausgegebene von Kunstwährung, deren Wechselkurs durch einen Währungskorb wichtiger Weltwährungen definiert ist.
Mit rund 3.400 Tonnen verfügt die Bundesbank nach der US-Notenbank Fed (rund 8.100 Tonnen) über den zweitgrößten Goldschatz der Welt.
Bei den aktuellen Vorschlägen der Mächtigen des G20-Gipfels von Cannes ging es laut einer dpa-Meldung zwar nicht direkt um die Goldreserven, sondern um eben jene Sonderziehungsrechte. Doch „von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Gold“, zitiert die Agentur einen Bundesbank-Kenner.
Wie die FAS weiter schreibt, sollte auf diese Weise unter Umgehung des Bundestags die Haftung Deutschlands in der Staatsschuldenkrise noch einmal um mehr als 15 Milliarden Euro erhöht werden. Hintergrund sei die Sorge, dass die Feuerkraft des 440 Milliarden schweren Eurorettungsfonds EFSF, der auf 1 Billion Euro „angehebelt“ wurde, im Falle des Wankens größerer Staaten nicht ausreichen werde.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, forderte, dass der Bundestag informiert wird, bevor hierzu Beschlüsse gefällt werden. „Es wäre eine Ungeheuerlichkeit, wenn die Bundesbankreserven oder sogar das Bundesbankgold selbst am Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit vorbei weggegeben werden sollen“, betonte Oppermann am Sonntag.
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) hat Begehrlichkeiten zum Einsatz von Bundesbank-Gold für die Euro-Rettung eine klare Absage erteilt. „Die deutschen Goldreserven müssen unantastbar bleiben. Das sage ich hier ausdrücklich als Wirtschaftsminister, als Stellvertreter der Bundeskanzlerin und auch als Parteivorsitzender der FDP“, sagte Rösler am Montag im ARD-Morgenmagazin.
Da die Bundesbank unabhängig ist, kann sie nicht von der Regierung gezwungen werden, ihre Währungsreserven für den Rettungsschirm herzugeben. In der Vergangenheit gab es bereits mehrfach Versuche, mittels der Goldreserven staatliche Ausgaben zu finanzieren. Erst Anfang dieses Jahres schlug Beamtenbund-Chef Peter Heesen angesichts des hohen Goldpreises vor, mit dem Verkauf eines Teils der Bundesbank-Reserven die hohe Staatsverschuldung zu verringern. Die Euro-Schuldenstaaten sehen sich mit ähnlichen Vorstößen konfrontiert.
Den bekanntesten Vorstoß in Deutschland unternahm der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel. Als „Operation Goldfinger“ ging sein Versuch in die Geschichte ein, die Bundesbank zu zwingen, ihre Gold- und Devisenreserven höher zu bewerten und die daraus resultierenden Gewinne an den Bund auszuschütten. Waigel holte sich – wie all die anderen, die nach dem Gold griffen – eine blutige Nase: Die Notenbank wehrte sich erfolgreich gegen den Eingriff in ihre Geldpolitik.
Die Bundesbank zeigte sich angesichts des nun diskutierten Griffs nach ihren Gold- und Währungsreserven entsetzt. Nach Rücksprache mit Bundesbank-Präsident Jens Weidmann widersetzte sich Kanzlerin Angela Merkel dem Ansinnen der G-20-Partner auf dem Gipfel in Cannes.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle lobte Merkel dafür. „Diese eiserne Reserve wurde von vielen fleißigen Menschen hart erarbeitet. Sie kann nicht zur Finanzierung der griechischen Misere oder anderer Schwachstellen dienen“, so Brüderle. „Europa wird nicht gemeinsam stärker, wenn die wirtschaftlich erfolgreichen Staaten durch falsche Entscheidungen geschwächt werden.“ (1)
Die bei der Bundesbank vor allem im Nachkriegsdeutschland der 1950er und 1960er Jahre angehäufte Goldreserve hat auch psychologische Bedeutung. „Die Goldbestände der Bundesbank sind Teil des Volksvermögens, sie haben für die Bevölkerung einen hohen Symbolwert“, betonte der in diesem Jahr ausgeschiedene Bundesbank-Präsident Axel Weber, erklärter Gegner großer Goldverkäufe, während seiner Amtszeit.
Vielmehr als Symbolwert haben die Goldvorräte der Bundesbank allerdings auch nicht, wenn man sie in Relation zu den Summen setzt, die derzeit im Rahmen der Finanzkrise die Runde machen.
So stiegen alleine in den Monaten August und September 2011 die Forderungen der Bundesbank gegen das Euro-System von 343 auf 450 Milliarden Euro. Die Schulden der Notenbank des Euro-Wackelkandidaten Italien, der Banca d’Italia, haben sich im selben Zeitraum um mehr als 80 Milliarden Euro erhöht.
In zwei Monaten häuften sich Schulden beziehungsweise Schuldforderungen an, wie sie fast dem gesamten Goldvorrat der Bundesbank entsprechen, von dem es heißt, er repräsentiere, was über Jahrzehnte von der deutschen Bevölkerung erarbeitet wurde. Entweder wurde in Deutschland über Jahrzehnte wenig gearbeitet, oder die Summen vergegenwärtigen, dass sich die Schuldenentwicklungen längst von jeder realen stofflichen Produktion und Wertschöpfung abgekoppelt haben. Und da hilft es auch nichts, wenn noch mehr und härter gearbeitet wird – die Griechen wird somit kein Fleiß der Welt vor der Misere retten können.
Was könnte den gegenwärtigen Widersinn besser verdeutlichen als das plötzliche Wiederauftauchen von 55 Milliarden Euro der Hypo Real Estate, die aufgrund eines Buchungsfehlers im Finanznirvana verschwunden waren.
„Dieser Rechenfehler, vermutlich der größte Buchungsfehler der Wirtschaftsgeschichte, ist höchst peinlich für die Bundesregierung. Immerhin stellt sich die Frage, wie es möglich sein kann, dass der Staat sich um 55 Milliarden Euro verrechnet“, schreibt Spiegel-Online. Doch die Frage die sich wirklich stellt, ist folgende: Wie kann es möglich sein, dass bei der Verabschiedung des Haushalts regelmäßig über jede Million gestritten wird, die Hartz IV-Empfängern zukommen soll und ständig neue Maßnahmen erdacht werden, Bedürftigen mittels Sanktionen finanzielle Hilfe zu verweigern, wenn gleichzeitig eine Summe unbemerkt verschwinden kann, die immerhin mehr als das Doppelte der staatlichen Hartz IV-Ausgaben für das Jahr 2010 ausmacht?
Euro – Fehlversuch Unabhängigkeit
„Man muss sich schon überlegen, welches Signal man senden würde, wenn man auf die Goldreserven zurückgreifen würde“, urteilt der Rohstoffanalyst bei der DZ Bank, Gabor Vogel. Der Trend bei den Notenbanken weltweit gehe derzeit eher dahin, Goldbestände aufzustocken – etwa um unabhängiger vom US-Dollar zu werden.
Die Aussage ist ein Wink mit dem Zaunpfahl und liefert die Begründung dafür, warum sich die USA für die Einbeziehung der Währungsreserven der europäischen Notenbanken zur Rettung des Euro aussprechen. Schließlich wollen die Vereinigten Staaten keinen starken Euro, der die Dominanz des US-Dollars, welche nicht mehr aus einer starken ökonomischen Position der USA resultiert, sondern in erster Linie aus politischen und militärischen Übergewichten, herausfordert.
Die Angriffe auf die Eurozone werden hauptsächlich von den Finanzplätzen in New York und London heraus organisiert. Es sind die transatlantischen Freunde, die die Eurozone sturmreif schießen, während ausgerechnet China den angeschlagenen europäischen Nationen Schützenhilfe leistet. Die Finanzkrise ist eben auch ein Finanzkrieg. Und in diesem Konflikt haben sich die Freund/Feind-Vorzeichen zum Teil umgekehrt, doch wagt dies in der deutschen Politik kaum jemand auszusprechen. Denn dann müsste die Öffentlichkeit an die Tatsache herangeführt werden, dass die alte Schutzmacht USA, oder genauer gesagt das die Regierungspolitik kontrollierende US-amerikanische Finanzkapital, der neue Hauptgegner ist, wenn es um die Verteidigung des europäischen Wohlstands für breite Massen der Bevölkerung geht.
Dass das Europrojekt keine Erfolgsgeschichte werden würde, dazu bedurfte es allerdings nicht erst der spekulativen Angriffe durch Hedgefonds und Co. Schließlich konnte es nicht gut gehen, Wirtschaftsräume mit stark unterschiedlichen Produktivitätsniveaus in eine Währung zu zwängen, die zudem nach wie vor keinem einheitlichen Kommando unterstehen. Erst die Finanzkrise führte zu verstärkten Bemühungen, die Eurozone unter ein solches zu stellen.
Was Griechenland betrifft, so sind die Kommandohöhen mittlerweile nicht mehr in Athen, sondern in Brüssel zu finden. Der Staatshaushalt wird zukünftig nicht von der gewählten Regierung bestimmt, sondern von nicht-gewählten Kommissaren in Brüssel. De-facto ist der hellenische Staat damit zu einer Kolonie geworden. Ein letzter verzweifelter Versuch, Griechenland vor einer solchen Zukunft zu retten, bestand in Ministerpräsident Giorgos Papandreous Ankündigung, eine Volksabstimmung über den Verbleib in der Eurozone einzuleiten.
Sofort ging eine Welle der Empörung durch Politik und Mainstreammedien. Hätte es noch eines Beweises bedurft, wie gleichgeschaltet der öffentliche Diskurs ist, er wäre an dieser Stelle erbracht worden. Unisono wurde Griechenlands Ministerpräsident zu einem Verrückten erklärt, zu einem unzuverlässigen Hasardeur, der der wahnsinnigen Idee verfallen ist, das Volk über dessen eigenes Schicksal bestimmen lassen zu wollen. Natürlich ein urdemokratischer Akt, wie er dem Mutterland der Demokratie gut zu Gesicht stehen würde. Doch die politischen Eliten und EU-Finanzarchitekten fürchten inzwischen beinah nichts mehr als Volkes Wille. Das war schon bei den Abstimmungen zur europäischen Verfassung der Fall als auch bei der einzigen Abstimmung über den Vertrag von Lissabon – eine Neuauflage der bereits von der französischen und niederländischen Bevölkerung abgelehnten EU-Verfassung.
So wurde das „Nein“ der Iren zum Lissaboner Vertrag im Juni 2008 von den EU-Politikern nie respektiert und es führte daher auch nicht zu einer Änderung des politischen Kurses.
Die von Papandreou geplante Abstimmung in Griechenland hätte wahrscheinlich zur Folge gehabt, dass die Griechen dem Euro-Wahnsinn ein Ende gemacht hätten.
Da der Euro aber gerettet werden soll, koste es was es wolle, musste diesem Vorhaben natürlich ein Ende bereitet werden. Vom Euro profitieren insbesondere Deutschlands und Frankreichs Exportindustrie. So ist es auch kein Wunder, dass es vornehmlich Sarkozy und Merkel waren, die auf dem Krisensondergipfel am Mittwoch vergangener Woche den griechischen Vertretern die Pistole auf die Brust setzten und verlangten, dass die Griechen demokratische Tugenden nicht ausgerechnet dann pflegen sollten, wenn es darauf ankommt. Offenbar hatten sie schlagkräftige Argumente im Marschgepäck. Papandreou sagte die Volksabstimmung ab, erklärte seinen Rücktritt, und die konservative Opposition stimmte plötzlich und wie von Zauberhand geführt den Sparplänen zu, die Millionen Griechen seit Monaten auf die Straßen treiben.
Viele Griechen argwöhnen, dass der Einfluss der deutschen Regierung auf die Politik ihres Heimatlandes inzwischen größer ist, als die der eigenen Regierung. Zudem ist es die Bundesregierung, die sich so vehement für ein rigides griechisches Sparprogramm einsetzt – was die volkswirtschaftliche Misere des Mittelmeerstaates nur vergrößern kann – und sich auch dem früher oder später unausweichlichen umfassenden Schuldenerlass in den Weg stellt. Letzteres tut sie entgegen jeder ökonomischen Vernunft und Erfahrung, weil ein Schuldenerlass bedeuten würde, dass neben französischen vor allem deutschen Banken auf ihre Forderungen verzichten müssten. Und diesen Forderungen fühlt sich die Bundesregierung verpflichtet, nicht dem Befinden der griechischen oder deutschen Bevölkerung.
Letztere sollen gegeneinander ausgespielt werden, damit das große Spiel des Abzockens der sogenannten kleinen Leute weiter gehen kann. Zweckdienlich wurde in den vergangenen Monaten in Massenmedien das Bild des faulen Griechen kreiert, der über seinen Verhältnissen lebe. Neuerdings kommt der Vorwurf hinzu, die Griechen seien undankbar und wüssten die Hilfe nicht zu schätzen, die ihnen auch aus Deutschland zu teil wird. Dass diese Hilfe die griechische Bevölkerung aber gar nicht erreicht sondern schlussendlich in den Taschen von Banken landet, es also gar keinen Grund zum Dank gibt, wird dabei zumeist vergessen.
Vergessen wird auch, dass Griechenland gegenüber dem Nachkriegs-(West-)Deutschland im Rahmen des Londoner Schuldenabkommens von 1953 zusammen mit 21 weiteren Gläubigerstaaten auf Schuldforderungen gegenüber der Bundesrepublik verzichtete. Der umfassende Schuldenerlass schuf die Voraussetzungen für das spätere „Wirtschaftswunder“, an dem auch so mancher griechischer Gastarbeiter beteiligt war. Obwohl Deutschlands Notlage damals gemessen am Verhältnis der Schulden zum Bruttoinlandsprodukt deutlich geringer war als Griechenlands heute, und nur acht Jahre zuvor Nazischergen auch im Mutterland der Demokratie bestialisch wüteten, verzichtete Griechenland auf die Begleichung der Schulden. Übrigens ein weiterer Beweis dafür, dass Schuldenerlasse eben nicht das Ende der Geschichte sind, sondern einen Neuanfang ermöglichen. Trotz der heutzutage viel beschworenen europäischen Partnerschaft können die Griechen eine ähnliche Kulanz von deutscher Seite kaum erwarten.
Das vor allem von Deutschland und Frankreich vorangetriebene Europrojekt verfolgt neben der Stärkung der eigenen, nationalen Industrie auch den Zweck, der Dominanz der USA auf der Welt etwas entgegenzusetzen. Eine an sich vernünftige und erstrebenswerte Maßnahme. Doch der Euro ist dafür nicht geeignet. Im Gegenteil können sich die Verfechter einer US-Dominanz ins Fäustchen lachen angesichts dessen, dass immer mehr Mittel aufgewendet werden müssen, um das Eurosystem zu retten – und letztlich dennoch der Systemzusammenbruch oder zumindest der Ausstieg einzelner Länder nicht verhindert werden kann.
Es entspricht vergleichbar dem Unterfangen, ständig mehr Mittel in die Restauration eines Hauses zu stecken, dessen Grundmauern so verfault sind, dass es früher oder später einstürzen muss. Je früher sich nach einer alternativen Unterkunft umgeschaut wird, desto besser. Zumindest für die Bevölkerungen, die in den betroffenen „Häusern“ leben müssen.
(mit dpa)
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Anmerkungen
(1) http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/staatsschuldenkrise-bundesbank-verteidigt-gold-und-waehrungsreserven-11520971.html