Finanzwelt

Aufgeflogen: Das globale Netz der Steuerhinterzieher

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Von SEBASTIAN RANGE, 4. April 2013

Viele Superreiche verstecken ihr Geld in Steueroasen, um dem Fiskus zu entgehen. Doch ein anonymer Informant und ein gigantischer Datensatz bringen jetzt Licht in die mitunter dunklen Geschäfte. Die sogenannten Offshore-Finanzplätze – Inseln, die sich durch minimale Finanzmarktaufsicht und -regulierung auszeichnen – stehen nun erneut im Fokus der öffentlichen Debatte. Aber nicht nur diese Steueroasen sind ein beliebtes Ziel illegitimer Finanzströme, auch Deutschland steht im Zentrum der Schattenwirtschaft.

Ein riesiger Datensatz mit vertraulichen Dokumenten enthüllt die geheimen Geschäfte in Steueroasen. Nach Berichten der Süddeutschen Zeitung und des Norddeutschen Rundfunks (NDR) hat eine anonyme Quelle Medien in 46 Ländern vertrauliche Informationen aus zehn Steueroasen zugespielt. Die insgesamt 2,5 Millionen Dokumente belegten, wie Reiche und Kriminelle diverse Briefkastenfirmen nutzten, um große Vermögen zu verstecken und zweifelhafte Geschäfte zu verschleiern. In dem Datensatz, der einen Umfang von 260 Gigabyte haben soll, werden dem Bericht zufolge 130 000 Anleger aus mehr als 170 Ländern aufgelistet. Darunter seien Oligarchen, Waffenhändler und Finanzjongleure. In den Datensätzen sollen auch Hunderte deutsche Fälle dokumentiert sein. Allein bei deutschen Steuerhinterziehern dürfte es weltweit um ein Volumen von rund 400 Milliarden Euro gehen, sagte der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft (DSTG), Thomas Eigenthaler, der Nachrichtenagentur dpa. „Wir wissen natürlich schon lange, dass weltweit ein solcher Wildwuchs besteht.“

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf, die an den Ermittlungen auf Basis angekaufter Steuerdaten-CDs beteiligt ist, sieht in den neuen Dokumenten zunächst allerdings keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Straftaten. Zur Einleitung eines eventuellen Ermittlungsverfahrens müssten die Hinweise erst konkreter werden, sagte ein Sprecher der Behörde. „Wir haben aber momentan noch keine weitergehenden Erkenntnisse als die Presse.“ Grundsätzlich sei es nicht illegal, eine Briefkastenfirma zu betreiben. „Eine Briefkastenfirma zu haben ist zunächst einmal nicht strafbar, egal wo auf der Welt sich die Firma befindet.“

Schwarzes Loch der Weltwirtschaft

Die Süddeutsche Zeitung zitiert dagegen einen Insider, der vom „bislang größten Schlag gegen das große schwarze Loch der Weltwirtschaft“ spricht. Laut einer im vergangenen Jahr vom ehemaligen McKinsey-Chefökonomen James Henry für das internationale Tax Justice Network durchgeführten Studie werden in Steueroasen 21 bis 32 Billionen US-Dollar gebunkert. (1) Würde auf die Summe von 21 Billionen US-Dollar ein dreiprozentiger Zinsgewinn veranschlagt, und dieser mit 30 Prozent versteuert, wären jährliche Steuereinnahmen in Höhe von bis zu 280 Milliarden US-Dollar zu verzeichnen – ein Vielfaches dessen, was laut UN-Millennium-Kampagne für die Halbierung der Armut bis zum Jahr 2015 notwendig wäre.

Die jetzt als „Offshore-Leak“ bekanntgewordenen Dokumente stammen Medienberichten zufolge von zwei Firmen, die auf die Errichtung sogenannter Offshore-Gesellschaften spezialisiert sind. Sie gehörten zu den größten Anbietern weltweit. Die Daten seien im vergangenen Jahr dem Internationalen Konsortium für investigative Journalisten (ICIJ) in Washington übergeben worden. Die Süddeutsche Zeitung hat die Informationen eigenen Angaben zufolge gemeinsam mit dem NDR und anderen internationalen Medien unabhängig verifiziert und monatelang ausgewertet.

Die Partei Die Linke bezeichnete die Enthüllungen indessen als „Watergate“ für die Politik. Vizeparteichefin Sahra Wagenknecht beklagte, alle Ankündigungen zur Austrocknung von Steueroasen seien heiße Luft gewesen. SPD-Fraktionsvize Joachim Poß rief Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auf, das Thema in Europa ganz oben auf die Tagesordnung zu setzen. Es gehe nicht nur um entlegene Gegenden wie Panama oder die Cayman-Inseln, warnte Poß. „Auch innerhalb der Eurozone gibt es steuerliche Lockangebote, die dieses System erst möglich machen.“

Geldwäscheparadies: Nicht Zypern, sondern Deutschland

Der SPD-Politiker spielt damit offenbar auf Länder wie Luxemburg oder Irland an, die mit Steuervergünstigungen das internationale Kapital locken. Deutschen Politikern stünde es allerdings gut zu Gesicht, erst einmal vor der eigenen Haustür zu kehren. Der jährlich vom Tax Justice Network („Netzwerk Steuergerechtigkeit“) erstellte Index über die „schädlichsten Schattenfinanzzentren“ sieht Deutschland im Jahr 2011 an neunter Stelle. „Der Schattenfinanzindex verdeutlicht die Mechanismen illegitimer Finanztransaktionen. Indem er zeigt, dass Schattenfinanzzentren nicht nur in der Karibik, sondern auch mitten in Europa liegen, unterstreicht er die zentrale Verantwortung der Industrieländer für Kapitalflucht und Steuervermeidung“, heißt es in der Präsentation des Indexes. (2)

Die Bundesrepublik sei ein „wichtiger Spieler im globalen Netz aus Geheimhaltung und Intransparenz“. Deutschland rangiert in der Liste nur knapp hinter Ländern wie der Schweiz, den Cayman Islands und Luxemburg – und noch vor den Steueroasen Panama, den Marshall-Inseln und den britischen Jungferninseln. Zum Vergleich: Das vermeintliche Geldwäscheparadies Zypern steht auf Platz 20. (3) Deutschlands Top-Ranking liege an seiner Bedeutung als „wichtiger Finanzplatz für Steuerausländer und den zum Teil schwachen Offenlegungspflichten. Außerdem gewährt Deutschland weitreichende Steuervergünstigungen für im Ausland Ansässige, auch aus Entwicklungsländern. Kombiniert mit den vorhandenen Möglichkeiten der Geheimhaltung hat das zum Fluss großer Summen nach Deutschland geführt.“ (4) Die Financial Times Deutschland formulierte diesen Sachverhalt etwas undiplomatischer und schrieb, in „kaum einem Industrieland lassen sich Mafia-Einnahmen so einfach reinwaschen wie in Deutschland“. (5)

Auf welche Weise Konzerne sich dem Zugriff des Fiskus entziehen, beschreibt der Autor Andreas von Westphalen für Hintergrund: „Grundsätzlich werden Steuern vermieden, indem ein multinationales Unternehmen Gewinne in Niedrig- und Verluste in Hochsteuerländer verschiebt. So kann ein Unternehmen eine Tochterfirma in einer Steueroase gründen, über die offiziell die Auslandsgeschäfte abgewickelt werden, und dann Steuern auf repatriierte Gewinne vermeiden. Beispielsweise laufen bei Amazon die Zahlungen über Luxemburg. Daher entrichtet das Unternehmen auf 3,3 Milliarden Pfund, die es in Großbritannien verdient hat, so gut wie keine Unternehmenssteuer.“ (6) Am Beispiel Google zeigt Westphalen die Methodik auf: „Zuerst gründet Google eine Tochter in Irland und verkauft dann an diese Lizenzen ihrer Such- und Werbetechnologie. Die irische Tochter verkauft anschließend weltweit Werbung für die Muttergesellschaft und gewinnt damit 12,5 Milliarden US-Dollar. Im ersten Schritt vermeidet Google damit die anfallenden Steuern in den USA. Im nächsten Schritt verschiebt Google die irischen Gewinne an eine andere irische Tochter, denn die erste Tochter zahlt Gebühren für das Managementzentrum an die andere Tochter – in Bermuda. Damit landen die Einnahmen in einer Steueroase, bestens beschützt vor staatlicher Neugier. (…) Durch diese wunderbare Technik gelang es Google in den letzten drei Jahren, die Steuerlast um 3,1 Milliarden US-Dollar zu reduzieren. (…) Insgesamt zahlt Google auf Gewinne außerhalb der USA traumhafte 2,4 Prozent.“ (7)

Ein Geschäftsmodell, dass sich auch für die Deutsche Bank als profitabel erwies. Freudig verkündete der Bankkonzern vor einem Jahr, im Geschäftsjahr 2011 einen „deutlich höheren Gewinn“ erzielt zu haben, indem er die Steuerquote auch mittels einer „vorteilhaften geografischen Verteilung des Konzernergebnisses“ unter 20 Prozent drücken konnte. (8)  Hinter dem nun ins Licht der Öffentlichkeit gezerrten systematischen Steuerbetrug stecke eine „gutbezahlte Industrie aus Strohmännern, Buchhaltern, Notaren und Banken“, schreibt das ICIJ. (9) Auch die Deutsche Bank sei darin verwickelt und gewähre ihren Kunden Zugang zu Schattenfirmen in Steueroasen.

Kapitalflucht statt Entwicklungshilfe

Laut der von James Henry durchgeführten Studie wären die meisten verschuldeten Staaten eigentlich nicht verschuldet, würde das Vermögen in den Steueroasen berücksichtigt. So trägt die Gruppe der 139 eher armen Länder eine Schuldenlast von 4,1 Billionen US-Dollar. Zieht man das Vermögen aus den Steueroasen hinzu, ergebe sich für diese Länder sogar ein Plus von stattlichen 10,1 bis 13,1 Billionen US-Dollar. Allein die Gruppe der Entwicklungsländer verfüge insgeheim über ein Privatvermögen von 7,3 bis 9,3 Billionen US-Dollar. (10)

„Dabei sind Zweifel erlaubt, ob dieser Reichtum legal zustande gekommen ist. So hatte beispielsweise internationaler Druck auf Schweizer Banken enthüllt, dass sich dort hohe Geldvermögen ehemaliger afrikanischer Diktatoren befanden. Zudem gibt es deutliche Hinweise, dass Entwicklungshilfe für die Bereicherung der Elite missbraucht wird“, so Andreas von Westphalen. (11) So verlassen laut einer Studie der Universität von Massachusetts in Afrika „von jedem neu geliehenen Dollar 60 Cent das Land im selben Jahr in Form von Kapitalflucht“. (12)

Allein im Jahr 2010 verloren die Entwicklungsländer laut einer Untersuchung des Washingtoner Instituts Global Financial Integrity über 850 Milliarden US-Dollars aufgrund illegaler Finanzströme. (13) Das entspricht knapp dem siebenfachen dessen, was im selben Zeitraum an Entwicklungshilfe weltweit geleistet wurde. (14) An anderer Stelle bezeichnet das Institut die illegalen Finanzströme als die „schädlichste ökonomische Bedingung, die den Armen zusetzt“. (15) Drastisch beschreibt die internationale Entwicklungshilfsorganisation Christian Aid die katastrophalen sozialen Folgen: „Wir sagen voraus, dass Steuerhinterziehung allein für den Tod von rund 5,6 Millionen junger Kinder in den Entwicklungsländern zwischen 2000 und 2015 verantwortlich sein wird. Das sind knapp 1000 Kinder pro Tag.“ (16)


Anmerkungen

(1) http://www.taxjustice.net/cms/upload/pdf/Price_of_Offshore_Revisited_120722.pdf, Seite 5

(2) http://steuergerechtigkeit.blogspot.de/2011/10/netzwerk-steuergerechtigkeit-legt.html

(3) http://www.globalpolicy.org/images/pdfs/GPFEurope/Info_Steuergerechtigkeit_05.pdf, Seite 5 ff.

(4) http://steuergerechtigkeit.blogspot.de/2011/10/netzwerk-steuergerechtigkeit-legt.html

(5) http://www.ftd.de/politik/international/:agenda-geldwaesche-paradies-deutschland/60165066.html

(6) Hintergrund 4/2012, „Ein Platz an der Sonne – wo Geld in Ruhe „arbeiten“ kann“

(7) ebd.

(8) http://www.aktiencheck.de/exklusiv/Artikel-Deutsche_Bank_verbucht_deutlich_hoeheren_Gewinn_2011-4110136

(9) http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/offshore-leaks-gigantisches-netzwerk-der-steuerhinterzieher-enthuellt-a-892406.html

(10) http://www.taxjustice.net/cms/upload/pdf/Price_of_Offshore_Revisited_120722.pdf

(11) Hintergrund 4/2012, „Ein Platz an der Sonne – wo Geld in Ruhe „arbeiten“ kann“

(12) http://www.peri.umass.edu/fileadmin/pdf/working_papers/working_papers_151-200/WP166.pdf, Seite 36

(13) http://iff.gfintegrity.org/documents/dec2012Update/ExecSummary-Illicit_Financial_Flows_from_Developing_Countries_2001-2010-WEB.pdf, Seite 1

(14) http://www.oxfam.de/presse/110406-neue-oecd-zahlen-entwicklungshilfe-2010-reiche-laender-bleiben-18-mrd-dollar-schuldig

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(15) http://www.gfintegrity.org/index.php?option=com_content&task=view&id=14&Itemid=135

(16) http://www.haikuabo.de/_private/2008/mai/deathandtaxes.pdf, Seite 2

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