Ein Sargnagel für das WEF
Das Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos ist Anfang der Woche mit einer Rede von Wolodymyr Selenskyj gestartet. Die Ausrichtung dieses „Kriegsgipfels“ ist damit eindeutig: Gegen Russland. Dass das WEF einst eine andere Ausrichtung hatte, bei verschiedenen Konflikten gar als Vermittler auftrat, daran erinnert der folgende Text aus der Schweiz, den wir von globalbridge.ch übernommen haben.
Sic transit gloria mundi: So verkommt der Welten Glanz! Das WEF war einst eine hoffnungsvolle internationale Plattform, wo sich hochrangige Politiker und einflussreiche Wirtschaftsmanager auf neutralem Schweizer Boden treffen und aussprechen konnten. Das WEF ist heute eine neoliberale Wirtschaftspropaganda-Veranstaltung, die nicht zuletzt auch auf Schweizer Kosten die Globalisierung unter westlicher Führung anstrebt und unfolgsame Länder einfach ausschließt. Eine geopolitische Tragödie.
Klaus Schwab, als Sohn einer Schweizer Mutter und eines deutschen Vaters 1938 in Ravensburg in Deutschland zur Welt gekommen und bis 1965 an der ETH Zürich zum Maschinenbau-Techniker und zum Dr.sc.nat. Ausgebildet, war, wie Wikipedia es zu schildern weiß,1 schon familiär bedingt immer interessiert an der Vereinfachung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinaus. Das darf durchaus als Idealismus bezeichnet werden, so man denn glaubt, dass die Globalisierung nicht nur den Reichen dieser Welt dient, sondern auch den Armen.
Das von Klaus Schwab 1971 gegründete ‚European Management Forum‘ änderte, so weiß Wikipedia an anderer Stelle zu berichten,
„seinen Namen 1987 auf ,World Economic Forum‘ und war in der Folge bestrebt, seine Vision zu erweitern und sich zu einer Plattform für die Lösung internationaler Konflikte zu entwickeln. Führende Politiker nutzen Davos als neutrale Plattform zur Beilegung ihrer Differenzen. So wurde die ,Davos Declaration‘, die Griechenland und die Türkei in letzter Minute davon abhielt, einen Krieg zu beginnen, 1988 von diesen beiden Ländern unterzeichnet. Beim Jahrestreffen 1992 traten der südafrikanische Präsident Frederik Willem de Klerk, Nelson Mandela und Mangosuthu Buthelezi erstmals gemeinsam außerhalb Afrikas auf. Beim Jahrestreffen 1994 unterzeichneten der israelische Außenminister Shimon Peres und PLO-Vorsitzender Jassir Arafat einen Vertragsentwurf über Gaza und Jericho. 2008 hielt Bill Gates einen Keynote-Vortrag über Creative Capitalism – die Kapitalismusform, die einerseits Gewinne generiert und andererseits die Ungleichheiten der Welt beseitigt, indem sie die Marktkräfte dazu nutzt, den Bedürfnissen der Armen besser Rechnung zu tragen.“2
1989, nur zwei Jahre nach der formellen Gründung des WEF – aber jahreszeitlich noch vor dem Fall der Berliner Mauer im November –, hatte ich als damaliger Medien-Manager im Medienhaus Ringier Gelegenheit, Klaus Schwab in seinem Büro in Cologny persönlich zu treffen. Es ging um die Idee, ein WEF-Magazin herauszugeben. Das Gespräch war offen und interessant, auch wenn es ohne konkrete Folgen blieb.
Seither entwickelte sich das WEF aber vor allem auch zur „Geldmaschine“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ anschaulich vermeldete:
„Bei rund 200 Millionen Euro liegt mittlerweile der Umsatz. Das Forum finanziert sich vor allem über die Beträge der Mitgliedsfirmen und der Sponsoren. Es gibt 120 strategische Partner, dazu gehören etwa die Deutsche Bank, die Deutsche Post, Audi, Henkel, Burda, Allianz, die Warteliste ist lang. Der jährliche Mindestbeitrag wurde vor zwei Jahren um ein Fünftel auf 600 000 Franken angehoben. [ ] Das wenig bescheidene Dauermotto des Forums lautet: ‘Den Zustand der Welt verbessern.’ Damit lässt es sich offenbar gut leben, geführt wird es aber wie ein Familienbetrieb. Gründer Klaus Schwab, der ein Gehalt von rund einer Millionen Schweizer Franken im Jahr bezieht und über Kontakte in alle Welt verfügt, und seine Frau Hilde haben die Fäden fest in der Hand.“3
Und wie Kurt Marti im Februar 2021 auf „Infosperber.ch“4 zu Recht kritisierte, stiegen auch die Kosten der Schweiz für die polizeiliche und militärische Beschützung des WEF in Davos auf über 40 Millionen Schweizer Franken pro Veranstaltung. Auch die politische Kritik am WEF als Jahrestreff der globalen „Eliten“ stieg, vor allem von linker Seite, deutlich an. Wer kann sich denn schon allein für den Eintritt als Gast am WEF 50.000 Franken leisten? Und dies ohne alle Folgekosten für Unterkunft und Verpflegung und für die erhofften Kontakte?
Jetzt hat aber Klaus Schwab selbst dem WEF einen ersten Sargnagel verpasst. Wo er sich bisher mit dem WEF als „Plattform für die Lösung internationaler Konflikte“ – siehe oben – brüsten konnte, hat er mit dem von ihm beschlossenen Ausschluss Russlands von einer Teilnahme am WEF 2022 öffentlich eingestanden, worum es ihm heute geht: um das Geld der (westlichen) Reichen und um die Macht der (westlichen) Großmächte.
Und wie reagiert darauf die „offizielle“ Schweiz? Nicht weniger als sechs der sieben Schweizer Bundesratsmitglieder,5 darunter auch Simonetta Sommaruga und Alain Berset von der bisher WEF-kritischen SP, eilen nach Davos, um der internationalen Geld- und Macht-Prominenz die Reverenz zu erweisen. Den Vogel dabei hat Verteidigungsministerin Viola Amherd von der Mitte-Partei abgeschossen: Sie hat heute, am 24. Mai 2022, am WEF in Davos NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg getroffen und ihm zu wissen gegeben, dass sich die Schweiz der NATO annähern wolle.6
Ein Kommentar erübrigt sich. Es bleibt zu hoffen, dass künftig viele Länder dieser Welt das WEF meiden, nachdem es vom Vermittler bei internationalen Konflikten zum offenen Unterstützer der weltweiten Hegemonialansprüche der USA und der von ihr geführten NATO verkommen ist.
Sic transit gloria mundi. So verkommt der Welten Glanz. Auch am WEF in Davos.
Endnoten
3 https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/davos-das-weltwirtschaftsforum-ist-zu-einer-geldmaschine-geworden-1.3334817
6 https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/die-schweiz-will-enger-mit-der-nato-zusammenarbeiten?partId=12197144
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Der Autor
Christian Müller ist ein Schweizer Journalist. Sein Studium der Germanistik, Geschichte und des Staatsrechts schloss er 1974 mit der Dissertation ab. Er arbeitete seit 1964 als Journalist, in teils leitenden Positionen, bei verschiedenen Schweizer Medien sowie als Medienmanager. Seit 2009 ist Müller als freier Journalist tätig.
Der Beitrag erschien zunächst auf seiner eigenen Website globalbridge.ch.