Das Schreckgespenst Blackout
Strom galt den meisten Menschen in der EU bislang als allgegenwärtig. Er war stets verfügbar und kam sprichwörtlich aus der Steckdose. Strom war seit dem Wirtschaftswunder immer und überall vorhanden.
Wie konnte das in der Vergangenheit gewährleistet werden? Die Netzstruktur war auf vergleichsweise wenige Großkraftwerke ausgerichtet, die ihren Strom in die Hoch- und Höchstspannungsnetze einspeisten. In der Folge wurde er über die Verteilnetzbetreiber in der Mittel- und Niederspannungsebene bis zu den Tarifkunden und kleinen Sondervertragskunden verteilt. Diese Struktur wurde letztlich auch bei der Einspeisung von Offshore-Windparks beibehalten. Einzelne Kleinwasserkraftanlagen mit Asynchrongeneratoren störten diese überkommene Struktur kaum. Erst mit dem Aufkommen einer steigenden Anzahl von kleineren Einspeisern durch – in der Hauptsache – photovoltaische Dachanlagen begann sich die Netzstruktur zu ändern, weil jetzt auch in zunehmendem Maße direkt in die Verteilnetze eingespeist wurde.
Hatte der Lastverlauf in früherer Zeit in Deutschland eine Mittagsspitze, wenn zu Hause gekocht wurde, ist diese inzwischen deutlich reduziert, weil sich das Kochverhalten deutlich verändert hat. Beinahe gleichzeitig haben die zahlreichen PV-Anlagen für eine Einspeisungsspitze um die Mittagszeit gesorgt. Es wurde zwar immer wieder vor einem Blackout gewarnt, weil der Wind nicht immer weht und nachts die Sonne nicht scheint. Die Angst vor einer Dunkelflaute wurde jedoch meist als Angst von Technikskeptikern abgetan.
Fehlende Stromspeicher
Die Möglichkeiten, das Überangebot der sogenannten Erneuerbaren für Zeiten mit geringerer Erzeugung zu speichern, sind allerdings begrenzt, weil die Stromspeicherung lange Zeit steuerlich als Stromverbraucher sowie als Stromerzeuger behandelt wurde. Das behinderte zumindest eine wirtschaftlich darstellbare Realisierung stark. Der Bau von Energiespeichern wurde deshalb vereitelt und es blieben nur noch die Pumpspeicherkraftwerke übrig. Sie waren in früheren Jahrzehnten errichtet worden, um den Ausfall eines thermischen Großkraftwerkes solange abzufedern, bis Ersatz dafür „angefahren“ werden konnte. Neue Pumpspeicherkraftwerksprojekte wurden abgesagt. Grund dafür waren neben dem Strommarktdesign auch immer wieder Einsprüche von Nachbarn und Umweltschützern. Das gilt beispielsweise für das vom Münchener Unternehmen Vispiron geplante Werk Johanneszeche in der Gemeinde Lam im Bayerischen Wald oder das Werk Atdorf des Schluchseewerks im Hotzenwald. Man hatte beim Ausgleich von Lastspitzen in der Hauptsache auf die Flexibilität von Gaskraftwerken gesetzt.
Es wurden jedoch nicht nur viel zu wenig Stromspeicher errichtet, sondern es wurde ebenso der Ausbau von Übertragungsleitungen aus Regionen mit viel Windkraft in Bundesländer mit hoher Nachfrage behindert. Einsprüche der Anlieger gegen Stromtrassen als Freileitungen verzögerten den Bau, weil die Trassen als Kabel neu geplant werden mussten. Und so steht man heute vielfach vor dem Dilemma, dass einerseits Windkraftanlagen im Norden und Nordosten abgeregelt werden müssen, andererseits im Süden der Republik thermische Kraftwerke einspringen müssen.
Technische Ursachen
Ausfälle in der Stromversorgung zählen in der deutschen Statistik erst als solche, wenn sie länger als drei Minuten dauern. Diese Grenze stammt noch aus der vordigitalen Zeit. Für die gesamte IT-Infrastruktur und kritische Einrichtungen wie OPs in Krankenhäusern muss der Betreiber daher eine unterbrechungsfreie Stromversorgung1 vorhalten. Gegen längere Ausfälle helfen Notstromanlagen, die üblicherweise mit fossilen Kraftstoffen, meist Diesel, angetrieben werden. Zu den Hauptursachen für Stromausfälle zählen Blitzschläge bei Freileitungen und Erdschlüsse bei Kabeln. Diese werden beispielsweise durch Muffen ausgelöst, die konstruktions- und alterungsbedingt Defekte aufweisen oder bei bestimmten Kabelisolationsmaterialien zur Ausbildung sogenannter Wasserbäumchen führen.
Der häufigste Feind der Kabelstränge ist jedoch der Bagger. Vielfach ist die genaue Lage der Kabel nicht so dokumentiert, dass jeder betroffene Baggerfahrer sich vorab darüber informieren kann. In Städten, die auf Sand gebaut sind, wie beispielsweise Berlin, wandern die Kabel im Laufe der Zeit und finden sich inzwischen deutlich verschoben wieder. Ein anderer Grund sind Wetterphänomene. So brachen beim Schneechaos im Münsterland im Jahre 2005 die Seile der Übertragungsleitungen aufgrund der Schneelast und sorgten für einen mehrtägigen Stromausfall.
Rollierender Lockdown statt Blackout
Der befürchtete Gasmangel im kommenden Winter hat in der letzten Zeit zu einem wahren Boom bei elektrischen Direktheizungen geführt. Dies fing bei elektrischen Heizlüftern sowie elektrischen Radiatoren an und zeigt sich auch heute noch durch eine intensive Werbung im Internet für Infrarotstrahler bis zu einer Leistung von 10 KW. Während die Last von Durchlauferhitzern in Badezimmern in der Vergangenheit praktisch kein Gleichzeitigkeitsproblem aufwies, könnte die Gleichzeitigkeit von elektrischen Direktheizungen im kommenden Winter durchaus ein Problem darstellen, das mit dem Zuschalten weiterer Kraftwerke nicht zu lösen ist, wenn die schnell reagierenden Gaskraftwerke aufgrund eines Gasmangels nicht verfügbar wären.
Hier ist als Lösung ein geplanter rollierender Lockdown einzelner Regionen im Gespräch, um einen unkontrollierten Blackout zu vermeiden. Ein solcher Lockdown ist mit den geringsten Einschränkungen verbunden, weil diese zeitlich befristet sind. Lebensmittelgeschäfte können dafür sorgen, dass ihre Kühl- und Tiefkühlgeräte geschlossen oder abgedeckt sind, so dass die Temperatur nicht in einen kritischen Bereich ansteigt. Manche Betreiber von Kühlanlagen benutzen zur Sicherheit auch sogenannte Temperaturtracker, mit welchen sich dokumentieren lässt, dass die Temperatur eingehalten wurde. Ein Problem könnte sich bei der Lagerung mancher Medikamente ergeben, die nur in einem vergleichsweise schmalen Temperaturband gelagert werden dürfen. Werden Arzneimittel nicht im vorgeschriebenen Temperaturbereich aufbewahrt, können sie ihre
Wirkung verlieren. Seit 2020 sind neben deutschen Apotheken auch Versandhändler pharmazeutischer Produkte aus dem EU-Ausland zu einer Temperaturkontrolle verpflichtet. Eine Kontrolle dieser Vorschrift ist jedoch nicht vorgesehen. 2
Privater Blackout
Aufgrund der hohen Strom- und Gaspreise werden diesen Winter möglicherweise einige Menschen ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Es gibt daher die politische Forderung, dass Strom- und Gassperren 3 verboten werden. Die Versorger wollen jedoch nicht auf die Möglichkeit des Kappens einzelner Verbraucher vom Netz verzichten, denn ein solches Moratorium hätte Auswirkungen auf ihre eigene Liquidität. Die Energieversorger müssen aufgrund der gestiegenen Großhandelspreise derzeit höhere Kosten tragen und haben keine Möglichkeiten, auf die Bezahlung durch ihre Kunden zu verzichten. Sie würden sonst das Risiko eingehen, selbst in Schieflage zu geraten – so ihr Einwand.
Falls die Politik ein Moratorium der Energiesperren durchsetzen will, muss sie auch für die Finanzierung der Verteilunternehmen sorgen. Die befinden sich aktuell in einer Sandwichposition, weil sie sowohl durch die steigenden Einkaufspreise als auch durch längerfristige Kundenverträge sowie die sinkende Zahlungsbereitschaft der Kunden unter Druck geraten.
Politische Angst und gesetzliche Vorgaben
Die Angst der Politik vor einem Blackout und seinen derzeit in Europa mangels einschlägiger Erfahrungen noch schlecht abschätzbaren Folgen, haben in jüngster Zeit zu drastischen Einschränkungen bei geltenden Umweltvorschriften geführt.
So hat der Schweizer Bundesrat in der Aargauer Gemeinde Birr ein dieselbetriebenes Notkraftwerk beschlossen, für das er sich als Regierung selbst eine Baubewilligung erteilt hat – ohne die üblichen Vorschriften einzuhalten. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass mögliche Einsprüche keine aufschiebende Wirkung haben. In Deutschland hat man nach der Wiederinbetriebnahme einzelner Blöcke der Steinkohlekraftwerke festgestellt, dass für die Rauchgasentschwefelung Branntkalk sowie ein Gasanschluss benötigt werden. Während man das benötigte Gas noch hätte bereitstellen können, fehlt es am Kalk und an den benötigten Transportmöglichkeiten. Jetzt wurden schnell die Vorschriften so geändert, dass die Kraftwerke auch ohne Rauchgasentschwefelung betrieben werden dürfen. Und in Frankreich hat man die erlaubte Strahlenbelastung für Mitarbeiter in AKWs heraufgesetzt.
Sabotage und Blackout
Im Sommer 1961 flogen in Südtirol 37 Strommasten in die Luft und vielerorts saßen die Menschen danach im Dunkeln. Als Täter vermutete man Südtiroler Separatisten, die für die Loslösung der 1919 von Italien annektierten Provinz kämpften. 4
Wie verletzlich die Energieinfrastruktur ist, zeigte sich erst vor wenigen Tagen. Mit dem Durchtrennen zweier Glasfaserbündel der Deutschen Bahn war die gesamte technische Kommunikation der DB Netze im norddeutschen Raum so konsequent unterbrochen worden, dass auch die für einen solchen Fall geplanten Sicherheitsmaßnahmen ausgeschaltet wurden. Die Tatsache, dass die Glasfaserkommunikationsnetze der Stromversorgung vielfach nicht im Boden verlegt sind, sondern zumindest bei den Übertragungsnetzen in einem Seil in schwindelnder Höhe, mag nur vordergründig eine Sicherheit versprechen, macht diese Glasfasernetze jedoch nicht unangreifbar.
Die heute vorhandenen insgesamt mehrere Tausend Kilometer langen, über viele Jahrzehnte gewachsenen Stromtrassen und die dazu gehörenden Kommunikationseinrichtungen lassen sich gegen Sabotage nicht wirklich Tag und Nacht schützen. Und gegen Saboteure, die über interne Kenntnisse der Strukturen verfügen, sind Betreiber und Staat hilflos.
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Ergänzende Informationen:
Die grenzüberschreitenden Stromflüsse zeigt die SMARD-Seite der BundesNetzAgentur 5
Die langfristige Entwicklung der grenzüberschreitenden Stromflüsse findet sich auf der Seite des BDEW6
Das Agorameter zeigt Stromerzeugung und Stromverbrauch7
Quellen:
1https://netzwerke.bam.de/Netzwerke/Content/DE/Standardartikel/Evpg/Evpg-Produktgruppen/Elektronik/ener-27-usv.html
2https://www.abda.de/fileadmin/user_upload/assets/Faktenblaetter/Faktenblatt_Kuehllagerung.pdf
3https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wirtschaft/gassperre-stromsperre-versorger-energie-100.html
4https://www.welt.de/geschichte/article231759543/Suedtirol-1961-Was-Terroristen-gegen-Strommasten-hatten.html
5https://www.smard.de/page/home/wiki-article/446/596
6https://www.bdew.de/service/daten-und-grafiken/langfristige-entwicklung-der-grenzueberschreitenden-stromfluesse/
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7https://www.agora-energiewende.de/service/agorameter/chart/power_generation/11.10.2022/14.10.2022/today/