Von Ägypten lernen. US-Gewerkschaften proben den Aufstand
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Von REDAKTION, 23. Februar 2011 –
Angefangen hat alles in Wisconsin. „Im Mittleren Westen, wo einst die Wiege der amerikanischen Arbeiterbewegung stand, will der republikanische Gouverneur die Gewerkschaften zerstören – Hunderttausende protestieren“, berichtete der Nachrichtensender n-tv. (1)
Was war geschehen? Gouverneur Scott Walker hatte angekündigt, künftig Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Regierung im öffentlichen Dienst abzuschaffen. Daraufhin gingen am Wochenende aus Protest allein in Wisconsins Hauptstadt Madison bis zu 100.000 Menschen auf die Straße. Nach Medienberichten handelt es sich um die größte Demonstration, die dort seit dem Ende des Vietnamkriegs zu beobachten war. (2)
Zusätzlich angeheizt hatte Walker die gegen ihn gerichtete Stimmung mit der Drohung, „die Nationalgarde ins Spiel zu bringen, um die Demonstranten zu bändigen.“ (3)
Einige Schulen blieben mehrere Tage geschlossen und die 14 oppositionellen Parlamentsabgeordneten der Demokratischen Partei erschienen nicht zur geplanten Abstimmung, um die Verabschiedung des Gesetzes zu verhindern. Laut Landesgesetz muss mindestens ein Mitglied der Opposition anwesend sein. Der Fraktionschef der Republikaner im Senat von Wisconsin forderte deshalb Polizisten an, um nach den Abgeordneten zu fahnden, die sich vorsorglich jedoch in andere Bundesstaaten abgesetzt hatten. „Ihr könnt nicht Demokratie praktizieren, wen ihr nicht hier seid“, schimpfte Scott Walker. „Wir wurden gewählt, um harte Entscheidungen zu treffen.“
Manche Beobachter vor Ort fühlen sich an die revolutionären Ereignisse in Nordafrika erinnert. Demonstranten verglichen den Gouverneur auf Plakaten mit dem gestürzten ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak. Der Bürgerrechtler Jesse Jackson lobte den „ägyptischen Geist“ der Proteste in Madison. (4) Ähnlich äußerte sich der Kongressabgeordnete Paul Ryan.
„Wenn in Ägypten Demokratie möglich ist, warum dann nicht in Wisconsin?“, war auf einem Protestplakat zu lesen. (5) Aus Ägypten soll es sogar Solidaritätsbekundungen für die demonstrierenden Gewerkschaften in den USA gegeben haben. „Ägypten unterstützt Wisconsin. Eine Welt – Ein Schmerz“, heißt es demnach auf Plakaten ägyptischer Demonstranten. Die Unterstützung ging zuweilen sogar über die symbolische Ebene hinaus: „Ein Pizzabringdienst auf dem Unicampus in Madison hat Pizzabestellungen für die Demonstranten unter anderem auch aus Ägypten erhalten.“ (6)
Auch Barack Obama stellte sich auf die Seite der Demonstranten und verteidigte die Gewerkschaften gegen die Pläne von Gouverneur Walker. Der Präsident aus den Reihen der Demokratischen Partei verbindet damit ein ureigenes Interesse.
Während die konservativen Republikaner an einer nachhaltigen Schwächung der Gewerkschaften interessiert sind, sind diese für die Demokraten eine bislang noch unverzichtbare Machtressource. Sie gehören nämlich nach wie vor zu den wichtigsten Financiers demokratischer Wahlkampagnen. „Präsident Barack Obamas Wahlsieg im Jahr 2008 ist von den Gewerkschaften mit mehr als 400 Millionen Dollar unterstützt worden, deren Wegbrechen würde die Demokraten daher empfindlich schwächen.“ (7)
Unterdessen weiten sich die Proteste auf weitere US-Bundesstaaten aus. In Ohio und Indiana kommt es zu weiteren Konfrontationen zwischen Gewerkschaften und konservativen Gouverneuren. „Auch dort geht es um das Monopol bei Gehaltsverhandlungen. Mit einem neuen Gesetz unter dem Titel ‚Das Recht auf Arbeit’ will die Regierung in Indianapolis zudem die bestehende Pflichtmitgliedschaft bei den Gewerkschaften im öffentlichen Dienst brechen.“ (8)
Die Auseinandersetzungen haben eine Bedeutung, die weit über die betroffenen Regionen hinausreicht. Nicht zuletzt geht es darum, ob das von den Republikanern beherrschte US-Abgeordnetenhaus seinen rigiden Sparkurs von mehr als 60 Milliarden Dollar (44 Milliarden Euro) im laufenden Haushalt durchsetzen kann.
Der von den Demokraten kontrollierte Senat machte bereits deutlich, dass es solche Kürzungen mit ihm nicht gebe werde. Die New York Times sprach von einer „Eröffnungssalve in einem langen und bitteren Streit von Philosophien über Staatsfinanzen im Kapitol, in Parlamenten der Bundesstaaten landesweit und im Rennen um das Weiße Haus 2012“.
(1) http://www.n-tv.de/wirtschaft/kolumnen/Aerger-in-Wisconsin-article2677846.html
(2) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34242/1.html
(3) http://www.n-tv.de/wirtschaft/kolumnen/Aerger-in-Wisconsin-article2677846.html
(4) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34242/1.html
(5) http://www.badische-zeitung.de/freiburg/proteste-in-freiburgs-partnerstadt-madison-gegen-den-gouverneur–41650272.html
(6) http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34242/1.html
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(7) http://oe1.orf.at/artikel/270368
(8) http://oe1.orf.at/artikel/270368