Rentner müssen mit weiteren Kürzungen rechnen
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Von KONRAD KREFT, 23. Oktober 2012 –
Den etwa 20 Millionen Rentnern in Deutschland steht für das Jahr 2013 ein Kaufkraftverlust bevor. Das berichtete das Handelsblatt am 15. Oktober. Die Zeitung stützte sich auf Angaben des Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Alfred Boss vom IfW erklärte dazu: „Grund dafür ist, dass bei der Berechnung der letzten Rentenerhöhung mit aus heutiger Sicht veralteten Zahlen gerechnet worden ist.“
In die Berechnung des Rentenniveaus für 2013 gehen Lohndaten aus dem Jahr 2009 ein. Damals senkten die Arbeitgeber die Löhne von 1,5 Millionen Arbeitern, entließen Zeitarbeitskräfte und nutzten ausgiebig die Kurzarbeits-Regelung der rotgrünen Regierung. Da sich die Höhe der Renten nach den Durchschnittseinkommen der Beschäftigten richtet, erreichen nun die Folgen der durch die internationale Finanzkrise ausgelösten Rezession zeitversetzt die Rentner.
Wie Reuters Deutschland berichtet, werden von der errechneten Erhöhung der Rente außerdem 0,6 Prozent abgezogen, um die „unterbliebene Rentenkürzung“ des Jahres 2010 nachzuholen. Wegen sinkender Löhne hätten 2010 laut Gesetz auch die Renten sinken müssen. Diese Anpassung war damals unter der Voraussetzung ausgesetzt worden, dass sie mit künftigen „Erhöhungen“ verrechnet wird.
Trotz guter Konjunkturdaten ist deshalb 2013 nach den Berechnungen des IfW nur mit einer Mini-Rentenerhöhung von einem Prozent zu rechnen. Das ist weit weniger als die Inflationsrate, die zwischen zwei und drei Prozent liegt.
Das IfW hat lediglich eine erste Einschätzung zur künftigen Rentenentwicklung gegeben. Die offizielle Schätzung der Rentenversicherung wird Mitte November veröffentlicht. Laut Handelsblatt gibt es auch Schätzungen, die von einer Steigerung von weniger als einem Prozent ausgehen.
Die Kaufkraft der Renten sinkt seit Jahren kontinuierlich. Sie ist seit 2000 um rund ein Fünftel zurückgegangen – um 17 Prozent im Westen und um 22 Prozent im Osten.
Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken geht hervor, dass die durchschnittlich ausbezahlten Rentenbeträge nach Abzug aller Sozialbeiträge derzeit im Westen bei 1.062 Euro und im Osten bei 1.047 Euro liegen. Im Westen sind sie seit 2000 um 17 Euro gestiegen und im Osten um 23 Euro gesunken. Der Verbraucherpreisindex ist im selben Zeitraum um etwa 20 Prozent gestiegen.
Vor diesem Hintergrund ist der vergangene Woche bekannt gewordene „Alterssicherungsbericht“ des Bundesarbeitsministeriums eine Verhöhnung der Rentner. Er behauptet, dass die Rentner in Deutschland „überwiegend gut versorgt“ seien.
Die Firma TNS Infratest führte die Erhebung 2011 im Auftrag der Bundesregierung durch. Sie befragte fast 28.000 Personen und rechnete deren Angaben auf die Gesamtbevölkerung hoch. Der Bericht, der alle vier Jahre erstellt wird, umfasst neben der gesetzlichen Rente auch betriebliche und private Renten, Zinseinkünfte sowie Mieteinnahmen, was das Niveau beträchtlich anhebt.
Aufgrund dieser Berechnungsgrundlage ergibt sich für „Ehepaare und Alleinstehende, die 65 Jahre oder älter sind“ – es wurden auch Personen berücksichtigt, die nicht von einer gesetzlichen Rente leben –, im Durchschnitt ein Haushaltseinkommen von 1.818 Euro netto monatlich. Für allein stehende Frauen, die in der Erhebung am schlechtesten abschneiden, wurde ein Durchschnitt von 1.292 Euro errechnet, für allein stehende Männer 1.560 Euro, für Ehepaare 2.433 Euro.
Die von der Süddeutschen Zeitung veröffentlichen Zahlen lassen einige Schlüsse zu.
Durchschnittlich werden in Westdeutschland aus der Privatvorsorge 557 Euro von Ehepaaren und 371 Euro von Alleinstehenden bezogen. Zinseinnahmen machen bei Ehepaaren im Durchschnitt 338 Euro und bei Alleinstehenden 175 Euro aus. Den größten Posten stellen indessen Mieteinnahmen: durchschnittlich 1.043 Euro für Ehepaare und 713 Euro für Alleinstehende.
Die gesetzliche Rente, von der die meisten Rentner abhängig sind, macht also nur einen geringen Anteil der im „Alterssicherungsbericht“ der Bundesregierung berücksichtigten Einnahmen aus. Einer kleinen Schicht relativ wohlhabender Rentner, die über private Versicherungen, Kapital- und Immobilienbesitz verfügen, stehen zahlreiche arme Rentner gegenüber, deren Rente kaum zum Leben reicht.
Das zeigt auch die wachsende Zahl der Rentner, die auf eine Aufstockung durch die staatliche Grundsicherung angewiesen sind. Sie stieg in einem Jahr, von 2009 bis 2010, um 4,3 Prozent. Dabei nehmen viele arme Rentner die staatliche Grundsicherung gar nicht in Anspruch. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung haben rund die Hälfte aller Berechtigten über 65 Jahre keine Leistungen beantragt, weil sie nicht über ihren gesetzlichen Anspruch informiert sind oder sich schämen, staatliche Leistungen zu beanspruchen.
Die Rentenreformen, die verschiedene Bundesregierungen in den vergangenen Jahren beschlossen haben – die schrittweise Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent des Nettoeinkommens, die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, usw. – werden die Altersarmut weiter erhöhen und zu einer katastrophalen Situation für große Teile der arbeitenden Bevölkerung führen. Auch der „Alterssicherungsbericht“ der Bundesregierung gelangt zum Schluss, diese Faktoren führten „bei Geringverdienern zu einem steigenden Altersarmutsrisiko, auch für Personen mit langjährigen Erwerbsbiografien“.
Die Zahl der Geringverdiener wächst vor allem als Folge der Hartz-Gesetze rapide. Sie erfüllen nicht nur die ihnen zugedachte Funktion als hemmender Faktor bei der Berechnung der jährlichen Rentenerhöhung, sondern zählen auch zur schnell wachsenden Gruppe, die von ihrer Rente nicht mehr werden leben kann. Zu diese Gruppe rechnet der „Alterssicherungsbericht“ auch „ehemals Selbständige“, die Grundsicherung beantragen müssen.
Als Antwort auf die steigende Altersarmut propagieren die etablierten Parteien private Vorsorge. So soll an der Not der Geringverdiener noch einmal verdient werden. Versicherungskonzerne, die private Zusatzrenten anbieten, stellen hohe Bedingungen an eine spätere Auszahlung. Damit wird die Politik der Umverteilung des Wohlstands in die Taschen der Reichen der vergangenen Jahre fortgesetzt.
Die gesetzliche Rentenversicherung wird zur Hälfte vom Arbeitgeber bezahlt. Der Beitrag liegt derzeit unter zwanzig Prozent und soll weiter gesenkt werden. Zusatzrenten müssen dagegen von den Arbeitern allein, ohne Arbeitgeberanteil, finanziert werden. Viele Gering- und selbst Durchschnittsverdiener kommen allerdings so schlecht über die Runden, dass sie sich eine Zusatzrente gar nicht leisten können. Abgesehen davon sind kapitalgestützte Renten den Schwankungen und Einbrüchen der Finanzmärkte ausgesetzt und damit alles andere als sicher.
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Die sich verschärfenden Angriffe auf den Lebensstandard der arbeitenden Bevölkerung äußern sich so auch in Angriffen auf Arbeiter im Ruhestand, auf Rentner, die lediglich von ihren im Arbeitsleben erworbenen Rentenansprüchen leben können. Von den Lohnsenkungen, die in den letzten zwanzig Jahren alle etablierten Parteien in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften durchgesetzt haben, sind mit zeitlicher Verzögerung auch die Arbeiter im Ruhestand direkt betroffen.
Quelle: wsws.org