Sozialabbau

6,5 Millionen arbeiten im Niedriglohnbereich

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Studie belegt drastischen Anstieg der Geringverdiener –

Von ELISABETH ZIMMERMANN, 30. Juli 2009 –

Anfang Juli veröffentlichte das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen eine Studie, die einen drastischen Anstieg des Niedriglohnbereichs in Deutschland belegt. Inzwischen arbeiten 6,5 Millionen Menschen – mehr als jeder fünfte Beschäftigte – für Stundenlöhne unter 9,62 Euro in West- und 7,18 Euro in Ostdeutschland. Das ist die von der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) festgelegte und wissenschaftlich anerkannte Niedriglohngrenze. Seit 1995 ist die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten um 2,1 Millionen gestiegen.

Jeder Dritte der im Niedriglohnbereich Beschäftigten arbeitet für weniger als sechs Euro brutto in der Stunde. 1,2 Millionen verdienen weniger als fünf Euro in der Stunde. Auch wer einen Vollzeit-Job hat, ist nicht vor niedrigen Stundenlöhnen geschützt. Fast ein Viertel der Beschäftigten im Niedriglohnbereich verdient trotz voller Arbeitszeit weniger als 800 Euro brutto im Monat.

Die politischen Voraussetzungen für den drastischen Anstieg des Niedriglohnbereichs schuf die rot-grünen Regierung (1998-2005) unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer mit den Hartz IV-Gesetzen und der Agenda 2010. Diese Politik wurde anschließend von der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD weiter geführt und verschärft.

Urspünglich wurde die Ausdehnung des Niedriglohnsektors von Politikern der SPD und den Grünen mit der Behauptung gerechtfertigt, dass damit auch Menschen ohne Ausbildung oder mit geringer Qualifikation wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden sollten. Doch die Verlogenheit dieser Argumentation wurde schnell sichtbar. In viele Unternehmen und sogenannten gemeinnützigen Einrichtungen wurden tariflich bezahlte Arbeitsplätze abgebaut und durch Leiharbeiter ersetzt, deren Arbeitsplätze sehr viel schlechter bezahlt und noch schlechter abgesichert sind. Die Billiglohnarbeit dient nicht, wie behauptet, Minderqualifiziete in Lohn und Brot zu bringen, sondern dazu, tarifliche Standards zu vernichten und Lohn- und Sozialabbau zu beschleunigen.

Die jetzt veröffentlichte Studie des IAQ beweist, dass der Anteil von Beschäftigten im Niedriglohnbereich mit abgeschlossener Berufsausbildung seit 1995 deutlich von 58,5 Prozent auf 70,8 Prozent im Jahr 2007 gestiegen ist.

Auch ein Studium schützt in vielen Bereichen nicht vor Niedriglohnarbeit. Zählt man die Akademiker hinzu, so haben sogar 80 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnbereich eine Berufsausbildung, sind Facharbeiter oder haben eine akademische Ausbildung. Eine wachsende Zahl von Menschen sehe sich durch die eigene Arbeitslosigkeit gezwungen, in den Niedriglohnbereich zu gehen, so die Studie.

Bestandteil der Agenda 2010 waren unter anderem Einschränkungen und Beschränkungen beim Bezug von Arbeitslosengeld I und die Einführung von Hartz IV. Beträgt der Anspruch auf Arbeitslosengeld im ersten Jahr der Arbeitslosigkeit 60 bis 67 Prozent des zuletzt bezogenen Nettolohns, so müssen die Arbeitslosen sofort eine schlechter bezahlte Tätigkeit annehmen, als sie vorher ausgeübt haben, wenn sie ihnen angeboten wird. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit droht jedem Betroffenen das Absinken in Hartz IV, was mit noch größeren Einschränkungen und Schikanen von Seiten der Arbeitsagenturen bzw. ARGEn verbunden ist. Eine ARGE ist eine Arbeitsgemeinschaft von Kommunen und Agenturen für Arbeit zur Auszahlung der Geldleistungen, wie Arbeitslosengeld II, Sozialgeld, Kosten der Unterkunft.

Wer erst einmal gezwungen ist eine Arbeit im Niedriglohnbereich anzunehmen, hat kaum eine Chance jemals wieder heraus zu kommen. Die Studie des IAQ zeigt auch, dass die niedrigen Verdienste in den vergangenen zwölf Jahren nach Abzug der Inflation nicht gestiegen sind. In Westdeutschland sind sie sogar gesunken. So lagen 2007 die durchschnittlichen Stundenlöhne im Niedriglohnbereich im Westen bei nur noch 6,88 Euro und im Osten bei 5,60 Euro.

Berücksichtigt man, dass die Zahlen der Studie nur den Zeitraum bis 2007 umfassen, noch vor dem Ausbruch der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise, so muss man damit rechnen, dass mit dem Anstieg der Arbeitslosigkeit in den letzten Monaten und den bereits angekündigten und drohenden Massenentlassungen in den nächsten Monaten, der Anstieg von Niedriglohn-Jobs, von denen man kaum oder nicht leben kann, weiter stark wachsen wird.

Eine weitere Studie des DGB, die vor Kurzem bekannt wurde und sich auf eine Auswertung der Daten der Bundesagentur für Arbeit stützt, zeigt, dass von dem jüngsten Anstieg der Arbeitslosigkeit junge Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren und ältere ab 55 Jahren überdurchschnittlich betroffen sind.

Die Arbeitslosigkeit stieg in beiden Altersgruppen etwa dreimal so stark an wie der Durchschnitt. Die Arbeitslosigkeit stieg im Mai im Vergleich zum Vorjahr um 5,3 Prozent, bei den Jüngeren um 16,1 Prozent und bei den Älteren um 17,3 Prozent. Im Juni waren insgesamt 7,9 Prozent arbeitslos, bei den 15 bis 25 Jährigen 19 Prozent und bei den 55 bis 65 Jährigen 18,8 Prozent.

Jüngere sind oft zuerst von Entlassungen betroffenen, weil sie häufig nur einen befristeten Vertrag haben oder nach der Ausbildung nicht übernommen werden oder nur einen Job über eine Leiharbeitsfirma erhalten.

Ältere werden oftmals, obwohl sie nach langer Betriebszugehörigkeit eigentlich einen höheren Kündigungsschutz haben, über Abfindungsregelungen und "freiwillige" Aufhebungsverträge aus den Betrieben gedrängt, da sie laut DGB "aus Arbeitgebersicht scheinbar weniger leisten können". In den ersten fünf Monaten diesen Jahres verloren fast 380.000 Arbeiter, die 50 Jahre oder älter sind, ihren Job.

Ein weiterer Faktor bei der höheren Arbeitslosigkeit der Älteren ist eine Änderung in der Statistik, die mit gesetzlichen Maßnahmen zur Einschränkung der Vorruhestands- und Altersteilzeitregelungen durch die CDU/CSU-SPD-Regierung zusammenhängen. Bis Ende 2007 mussten sich Menschen ab 58 Jahren nicht mehr arbeitslos melden, wenn sie sich verpflichteten, so früh wie möglich in Rente zu gehen, obwohl sie noch Unterstützung von der Bundesagentur für Arbeit erhielten.

Seit 2008 ist dies nicht mehr der Fall. Die Bundesregierung hat unter der Federführung von Franz Müntefering (SPD) das Rentenalter auf 67 Jahre erhöht und gleichzeitig die Möglichkeiten für einen "sozial abgefederten" Vorruhestand erschwert bzw. unmöglich gemacht. Jeder, der heute vor Erreichen des Rentenalters arbeitslos wird bzw. nicht mehr arbeiten kann, muss dies mit drastischen Rentensenkungen bezahlen.

Während die DGB-Studie diese drastischen Auswirkungen auf junge und ältere Menschen recht deutlich aufzeigt, sagt sie kein Wort über die Rolle der Gewerkschaften und Betriebsräte, die die Angriffe der Regierung und der Konzerne auf die sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse durch ihre Mitarbeit erst möglich gemacht haben. Die Studie kommt einer politischen Bankrotterklärung des DGB gleich, der über seine enge Beziehung zur SPD direkt in den Lohn- und Sozialabbau eingebunden war.

Während den Banken und Finanzinstituten im Zuge der Finanzkrise von der Regierung Hunderte von Milliarden Euros zur Verfügung gestellt werden und Bank-Manager, selbst von Pleite-Banken, mehrere Millionen an Jahresgehältern oder Abfindungen kassieren, ist angeblich kein Geld für soziale Leistungen und den Erhalt und die Schaffung von gut bezahlten Arbeitsplätzen da. Stattdessen soll die Bevölkerung durch drastische Kürzungen in allen sozialen Bereichen und Steuererhöhungen für die Krise, die Banken und Konzerne verursacht haben, bezahlen.

Vertreter der Unternehmerverbände bringen sich bereits in Position, um auf die Durchsetzung dieser Angriffe gegen die Arbeiterklasse zu drängen, unabhängig aus welchen Parteien sich die nächste Bundesregierung zusammen setzen wird.

So wurde vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall Hubertus Pellengahr, bisher Sprecher des Einzelhandelsverbandes HDE, zum neuen Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) bestimmt. Sie soll im Januar 2010 nach Berlin ins Regierungsviertel umziehen und noch stärker als bisher Einfluss auf die Politik nehmen.

Das erklärte Ziel der INSM ist: Mehr Markt und weniger Staat. Laut Unternehmerverband Gesamtmetall, "habe die Initiative vor allem dabei geholfen, die Agenda 2010 zu befördern. Jetzt, in der Krise, werde der Ruf nach Eingreifen des Staates wieder lauter. Und genau dagegen soll die Initiative ankämpfen", berichtete die Frankfurter Rundschau. Pellengahr selbst erklärte: "Alle staatlichen Eingriffe außerhalb des Finanzsektors gingen zu weit."

Während versucht wird, das ganze Ausmaß dieser Angriffe noch zu verschleiern und zu verschweigen, finden sich bereits immer mehr Hinweise auf das, was nach der Bundestagswahl im September auf die Bevölkerung zukommen wird.

So will laut einer Umfrage des Ifo-Instituts in München ein Viertel aller deutschen Unternehmen im nächsten halben Jahr die Zahl ihrer Mitarbeiter reduzieren, in der Industrie sogar 34 Prozent. Fast zwei Drittel der Betriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigten wollen Arbeitsplätze streichen.

Am 21. Juli berichtete die Wirtschaftswoche von der weit verbreiteten Angst vor der Arbeitslosigkeit. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats der Bundesregierung, Wolfgang Franz, geht davon aus, das in den nächsten eineinhalb Jahren über eine Million Beschäftigte ihren Job verlieren. "Das Schlimmste kommt erst noch." Auch die breit eingesetzte Kurzarbeit könne daran nichts ändern.

Die Zeitung zitiert auch den IG-Metall-Bezirksleiter von Nordrhein-Westfalen, Oliver Burkhard, der bereits weiß, dass "ein Drittel der 5.000 Unternehmen im Tarifbezirk betriebsbedingte Kündigungen plant".

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Das Unternehmen Heidelberger Druck, das weltweit nachgefragte Druckmaschinen herstellt, baut aufgrund des weltweiten Nachfrageeinbruchs derzeit 5.000 von 20.000 Arbeitsstellen ab, ein Teil durch Aufhebungsverträge und Altersteilzeit, 2.000 Arbeitern droht die betriebsbedingte Kündigung.

In der Stahlindustrie, in der in großem Ausmaß Kurzarbeit gemacht wird, droht nach Einschätzung von Analysten zum Jahresende massiver Arbeitsplatzabbau. Bei Siemens, wo 19.000 von 131.000 Beschäftigte in den letzten Monaten Kurzarbeit hatten, droht ebenfalls ein massiver Stellenabbau.
Quelle: WSWS

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