Staatsgewalt jenseits des Rechts
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von HEINER BUSCH und NORBERT PÜTTER:
Der transatlantische Kampf gegen die Menschenrechte
(aus: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 87 (2/2007)
Während die Staatsführungen diesseits und jenseits des Atlantiks nicht müde werden zu betonen, dass der internationale islamistische Terrorismus die größte Gefahr für Demokratie und Freiheit darstelle, wird zusehends deutlicher, dass diese Regierungen selbst Menschen- und Bürgerrechte systematisch und dauerhaft verletzen.
Der neue, nicht nur transatlantische, sondern weltweite Anti-Terrorismus ist durch drei Elemente gekennzeichnet: Erstens wird in seinem Namen eine internationale Infrastruktur der Überwachung geschaffen. Zweitens werden mit ihm Kriege und militärische Operationen begründet. Und drittens wird im antiterroristischen Kampf ein Instrumentarium entwickelt, das sich den herkömmlichen Kategorien entzieht: Es ist weder Krieg noch Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr, es verknüpft militärische, polizeiliche und geheimdienstliche Aktionen; es steht außerhalb des Rechtssystems und stellt die Betroffenen rechtlos; es schaltet Öffentlichkeit und Parlamente aus und verbindet geheime exekutive Praktiken mit einem umfassenden Repertoire an Sanktionen.
In den Selbstbeschreibungen moderner Demokratien gelten die BürgerInnen als der „Souverän“. Die Staatspraxis behandelt sie jedoch als das eigentliche Risiko, das es durch weit reichende Kontrollarrangements und Datensammlungen zu verringern gilt. Angesichts der globalen Ströme von Menschen, Waren und Informationen verlangt diese Risikoperspektive nach einem synchronisierten Verbund aus nationalen und internationalen Vorkehrungen. Diese beziehen sich nicht mehr nur auf den Austausch polizeilicher Daten oder die Rechtshilfe in Strafsachen, die mit neuen Instrumenten (gemeinsame Ermittlungsgruppen, grenzüberschreitende verdeckte Methoden) ausgestattet wurde und ihren justiziellen Charakter eingebüßt hat. Der große Legitimator der Terrorismusbekämpfung ermöglichte vielmehr darüber hinaus die Durchsetzung von Maßnahmen, die darauf abzielen, Mobilität und Informationsverhalten der BürgerInnen jederzeit kontrollieren zu können. Die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten, die Aufnahme von biometrischen Daten in Reisepässe und die routinemäßige Weitergabe von Fluggastdaten sind Elemente einer europäisch bzw. international harmonisierten Überwachungsstruktur. Nicht nur in den beiden letztgenannten Fällen haben sich die EU-Institutionen bereitwillig US-amerikanischen Vorgaben gebeugt und Widerstände in den Mitgliedstaaten ins Leere laufen lassen. Im Juni 2007 einigten sich EU und USA zudem auf eine Übereinkunft, die den dauerhaften amerikanischen Zugriff auf die Informationen internationaler Finanztransaktionen sicherstellt. An den Daten des belgischen Finanzdienstleisters SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) hatte sich die US-Regierung bereits seit Herbst 2001 – ohne Abkommen – bedient. Dass diese Praxis einer rechtlichen Grundlage entbehrte und auch nur zufällig bekannt wurde, ist symptomatisch für den neuen Anti-Terrorismus.
Die Kriege, die seit 2001 im Namen der Terrorismusbekämpfung geführt werden, sind nicht nur völkerrechtswidrig, die fortschreitende Militarisierung von Konflikten erweist sich vielmehr gemessen an den vorgeblichen Zielen als ineffektiv und kontraproduktiv. Auch nach sechs Jahren sind die afghanischen Taliban nicht geschlagen, weite Teile des Landes können von der Regierung nicht kontrolliert werden, der Mohnanbau nimmt erheblich zu … Der Krieg gegen Irak war von Anfang an mit durchsichtigen Lügen legitimiert. Die angeblichen Massenvernichtungswaffen waren ebenso erfunden wie die irakische Unterstützung von Al Qaida. Krieg und Besatzung haben das Land nicht „befriedet“, sondern ihm eine nicht endende Welle von Anschlägen ungeahnten Ausmaßes gebracht, unter denen vor allem die Zivilbevölkerung leidet. Die religiösen und ethnischen Konflikte sind durch das Besatzungsregime offengelegt und radikalisiert worden. Gleichzeitig hat der Krieg alle diejenigen in ihrer Auffassung bestätigt, die sich im Kampf zwischen islamischer und westlicher Welt sehen. Die Folter in Abu Ghraib war nicht allein ein Ausdruck jener Verrohung, die Kriege seit jeher mit sich bringen, sie entsprang auch einem Selbstverständnis, das Gefangene als recht- und würdelose Feinde betrachtet.
Globale Feinderklärung
Dass der „Krieg gegen den Terror“ nicht allein militärisch gemeint war, sondern die Kriegserklärung den Menschenrechten und der demokratischen Kontrolle staatlichen Handelns galt, zeigte und zeigt sich am Umgang mit jenen Individuen und Gruppen, die verdächtigt werden, Terroristen zu sein oder deren Aktivitäten zu unterstützen. Im Hinblick auf seine präventive Orientierung steht der neue Anti-Terrorismus in der Kontinuität seiner Vorläufer. Denn – man denke an den § 129a im deutschen Strafgesetzbuch – es ging bereits seit den 70er Jahren nicht primär um die Aufklärung begangener Taten, sondern um die Aufdeckung und Zerschlagung des personellen Netzwerks, von dem vermeintlich weitere Taten zu erwarten wären. Neu am globalen Anti-Terrorismus der Nach-9/11-Ära sind hingegen die folgenden Merkmale:
1. Einzelne Personen oder Gruppen werden außerhalb der Rechtsordnung gestellt; ihnen werden nicht einzelne Rechte beschnitten, sondern die gesamte Person wird aus dem Rechtssystem verbannt. Den Betroffenen werden elementare Menschenrechte und die Möglichkeiten entzogen, diese einzuklagen. Das Verfahren und die Entscheidung darüber, wer davon in welcher Form betroffen wird, liegt allein bei der Exekutive. Die Einzelnen sind staatlicher Gewalt unmittelbar und hilflos ausgeliefert. Guantánamo ist zum Inbegriff dieses Systems geworden; die Erfindung des „unlawful enemy combatant“ ist der Versuch, diesen rechtlosen Subjekten einen (rechtlosen) Status zuzusprechen.
2. Rechtlosigkeit bedeutet im anti-terroristischen Zeitalter Verschleppung, Folter und Gefangenschaft. Die vermeintlichen Terroristen sollen nicht nur unschädlich gemacht werden, sondern zu Aussagen über andere vermeintliche Terroristen gezwungen werden. Verschiedene Praktiken der „extraordinary rendition“ haben sich herausgebildet: Festnahmen in den USA oder Entführungen in anderen Staaten oder Festnahmen im Rahmen kriegerischer Handlungen; Verbringung in andere Staaten, vorzugsweise in solche, die für ihre Folterpraxis bekannt sind (Ägypten, Syrien, Marokko); Einrichtung von Geheimgefängnissen und Lagern außerhalb der USA. All dies vollzog und vollzieht sich ohne eine rechtliche Basis; ohne dass je ein Gericht Festnahme, Verschleppung oder Freiheitsentzug angeordnet hätte.
3. Eine neue Qualität erhält der anti-terroristische Krieg auch durch die Kooperation der Akteure: Militär, Geheimdienste, Staatsschutz, polizeiliche Spezialkräfte unterschiedlicher Staaten wirken offenkundig zusammen. Das Militär nimmt neben Kriegsgefangenen nun auch „enemy combatants“ fest, für die selbst das Kriegsvölkerrecht nicht mehr gilt. Polizeien geben Hinweise auf Personen und/oder nehmen diese fest, übergeben sie Geheimdienstlern, die sie über Kontinente hinweg in die Hände nationaler Polizeien geben oder in vom Militär betriebene Lager schaffen. Nach dem 11.9.2001 entsteht unter US-amerikanischer Führung ein anti-terroristischer Archipel, der sich auf ein Netzwerk transnationaler Militär-Polizei-Geheimdienst-Kooperation stützt.
4. Wer in das Visier der Fahnder nach den Akteuren und Unterstützern des internationalen Terrorismus gerät, der muss nicht nur um seine Freiheit und körperliche Unversehrtheit fürchten, sondern auch um seine soziale und materielle Position. Mit ihren „Terrorlisten“ haben die Staaten ein Sanktionssystem jenseits des Rechtsstaats geschaffen. Regierungen bzw. ihre Vertreter entscheiden darüber, ob eine Person oder eine Gruppe in jenen Listen aufgeführt wird. Während es selbst an einem wirkungsvollen nachträglichen Rechtsschutz mangelt, sind die Sanktionen für die im Index Gelisteten gewaltig: Öffentlich werden sie als Terroristen (bzw. deren Helfer) gebrandmarkt; ihre Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt; ggf. wird ihnen Asyl verweigert, oder sie werden abgeschoben; indem ihr Vermögen eingefroren wird, wird ihre materielle Existenz bedroht. Die Terrorlisten haben die Unschuldsvermutung in ihr Gegenteil verkehrt: Die Gelisteten (und dadurch bereits Sanktionierten) müssen ihre Unschuld beweisen – ohne dass es ein verlässliches Verfahren gibt, wie sie dies erreichen können.
Demokratie stört die Koalition der Willigen
Geheimhaltung ist angesagt: Die Listen der als terroristisch Geächteten werden zwar öffentlich kommuniziert, aber in geschlossenen Zirkeln von Bürokraten erstellt. Niemand steht für die Entscheidungen gerade. Wie und auf welcher Grundlage sie getroffen wurden, soll die Öffentlichkeit nichts angehen. Dass Verschleppung, Freiheitsberaubung und Folter im Geheimen praktiziert werden, versteht sich von selbst. Bis heute ist nicht einmal bekannt, wie viele Personen von Dienern „zivilisierter“ Staaten entführt, in geheime Gefängnisse oder in das Lager auf Guantánamo gebracht oder an Folterstaaten überstellt wurden. All das, was einen Rechtsstaat vom Terrorregime unterscheiden sollte – eine Rechtsgrundlage für eine Freiheitsentziehung, eine gerichtliche Anordnung, ein formalisiertes, kontrollierbares Verfahren, in dem die Beschuldigten Rechte haben und sie durchsetzen können –, gibt es hier nicht.
Erst die hartnäckigen Recherchen von JournalistInnen und Menschenrechtsorganisationen haben das System der „extraordinary rendition“ aufgedeckt. Erst danach konnten sich die ansonsten machtlose parlamentarische Versammlung des Europarats und das EU-Parlament an die Arbeit machen. Längst nicht alle Parlamente der involvierten Staaten haben Untersuchungsausschüsse einberufen. Sowohl die Klagen im zweiten Marty-Bericht über die mangelnde Unterstützung seiner Aufklärungsarbeit durch europäische Regierungen wie die Informationsverweigerungen der deutschen Regierung gegenüber dem BND-Untersuchungsausschuss sind deutliche Indizien dafür, dass die Exekutiven kein Interesse daran haben, die Vorgänge aufzuklären. Zu erwarten ist, dass auch die vereinzelten Versuche, mit den Mitteln nationaler Strafverfolgung die Entführer zur Rechenschaft zu ziehen, an regierungsamtlichen Widerständen scheitern werden.
Die USA sind der Hauptakteur im internationalen Anti-Terrorkampf. Auch wenn die Regierungen des „Alten Europa“ sich vorsichtig vom System Guantánamo distanzieren, haben sie die Entführungen geduldet (Deutschland), ihnen zugearbeitet (Schweden, Italien) und gegenüber ihren Öffentlichkeiten verschwiegen. Sie haben von dem System der „renditions“ profitiert, indem sie die Verschleppten selbst vernahmen oder vernehmen ließen oder die Inhalte der Verhöre bereitwillig für ihren nationalen Kampf gegen den Terrorismus nutzten. Dass in dieser Koalition der Willigen berüchtigte Folterstaaten (Pakistan, Usbekistan, Syrien, Ägypten etc.) beteiligt waren, hat keine Regierung von der Kooperation abgehalten. Wie wenig die Menschenrechte im globalen Anti-Terror-Kampf zählen, hat die rot-grüne Bundesregierung im Fall Murat Kurnaz deutlich unter Beweis gestellt. Obwohl frühzeitig klar war, dass ihm nichts vorzuwerfen war, klassifizierte sie ihn als Sicherheitsrisiko, das sie lieber in Guantánamo als in Bremen sah. Im Kampf gegen den Terror zählt die Freiheit des Einzelnen nichts. Wer in diesen Zeiten der falschen Religion anhängt, wer zur falschen Zeit am falschen Ort ist, der darf nicht darauf hoffen, in den Regierungen derjenigen Staaten, die sich selbst als Garanten der Menschenrechte stilisieren, einen Fürsprecher zu finden.
In der Spirale
Der globale Anti-Terrorismus offenbart, wie dünn das zivilisatorische Eis (auch) in demokratischen Staaten ist. Der Einsatz nackter, jedem rechtlichen oder verfahrensmäßigen Schutz entkleideter staatlicher Gewalt korrespondiert mit gezielten Tabubrüchen. Die „Anregungen“ des deutschen Innenministers, die Unschuldsvermutung außer Kraft zu setzen oder die gezielte Tötung von Terroristen zu legalisieren, sind Ausdruck eines zugleich hilflosen wie skrupellosen Verhaltens. Angesichts der offenkundig heterogenen terroristischen Strukturen (vom losen Netzwerk bis zu den „home grown terrorists“ und fanatisierten Einzeltätern) ist der Erfolg derartiger staatlicher Aufrüstungen mehr als fraglich. Vielmehr fügen sich die Feinderklärungen im Innern der westlichen Staaten nahtlos in die Rolle, die diese in der islamischen Welt spielen. Diese reicht von Kriegen und Kriegsdrohungen, über die wirtschaftliche Ausbeutung bis zum Schulterschluss mit diktatorischen Regimen. Derart wirkt der Anti-Terrorismus als self-fulfilling prophecy: Er bestätigt aufs Neue das Feindbild, das der Terrorismus bekämpfen will. Indem die westlichen Staaten ihre selbsternannten Feinde mit immer neuen Legitimationen versorgen, schaffen sie gleichzeitig das ab, was sie zu verteidigen vorgeben. In dem Wettlauf zwischen Terroristen und Anti-Terroristen steht der Verlierer bereits am Anfang fest: die Menschenrechte.
1) s. Zöller, M.: Grundrechtseingriff auf Vorrat, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 85 (3/2006), S. 21-30; Busch, H.: Biometrische Pässe, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 79 (3/2004), S. 86
2) Handelsblatt v. 28.6.2007
3) z.B. Mayer, J.: Outsourcing torture, in: The New Yorker, February 2005, pp. 106-123; Grey, St.: United States: trade in torture, in: Le Monde Diplomatique, April 2005 (http://monde diplo.com/2007/04/04usatorture)
4) Human Rights Watch: The road to Abu Ghraib, New York 2004 (http://hrw.org/reports /2004/usa0604/2.htm ); Amnesty International: United States of America. Below the radar: Se-cret flights to torture and ‚disappearance‘, London 2006 (http://web.amnesty. org/library/index/ENGAMR510512006 )
5) Marty, D.: Explanatory Report, Secret detentions and illegal transfers of detainees involv-ing Council of Europe member states, Second Report, Strasbourg 2007 (http://assembly.coe.int/CommitteeDocs/2007/EMarty_20070608_NoEmbargo.pdf )
6) Im Mai 2007 reichten die Oppositionsfraktionen im Bundestag eine Klage beim Bundesverfassungsgericht ein, durch die die Bundesregierung gezwungen werden soll, mehr Informationen für den Ausschuss freizugeben, s. Der Tagesspiegel v. 22.5.2007.
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