Reformen

Politik, Medien und Wirtschaft wollen Bildungsstreik instrumentalisieren

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Von JOHANNES STERN, 25. November 2009 –

Vor gut einem Monat begann am 20. Oktober mit der Besetzung der Akademie der Bildenden Künste in Wien eine Protestbewegung an den österreichischen Universitäten, die mittlerweile auch weite Teile der Unis in Deutschland ergriffen hat. Vielerorts sind Hörsäle besetzt und es werden ausführliche Diskussionen geführt. Die Ausrichtung der Proteste ist dabei nicht eindeutig. Während gerade in Österreich viele Studenten auch soziale Forderungen, wie ein bedingungsloses Grundeinkommen aufstellen, gibt es Tendenzen, die die Proteste auf die Hochschulen und bildungspolitische Forderungen beschränken wollen.

Diese politische Verwirrung nutzen große Teile der Politik, der Wirtschaft und der Medien aus, um die Proteste zu instrumentalisieren und zu ersticken. So äußert selbst die deutsche Bildungsministerin Annette Schavan "Verständnis" für den Protest. Die gleiche Annette Schavan hatte die Protestierenden und ihre Forderungen noch im Juni als "gestrig" bezeichnet.

Was steht hinter dem plötzlichen Meinungsumschwung der Ministerin, und wie kann verhindert werden, dass es bürgerlichen Politikern und Medien gelingt, den Protest für ihre Ziele zu instrumentalisieren?

Die Taktik, die Schavan mit ihrer Umarmung der Studierenden verfolgt, wird bei genauerem Hinsehen schnell deutlich. Das gleiche Vorgehensmuster zieht sich auch durch andere Bereiche der schwarz-gelben Regierungspolitik. Während an der Oberfläche von "Verständnis" und "Konsens" mit allen und jedem gesprochen und vereinzelt symbolische Zugeständnisse an sozial schwache Bevölkerungsschichten gemacht werden, wird hinter den Kulissen umso heftiger an der Vorbereitung und Durchsetzung reaktionärer Ziele gearbeitet.

In diesem Zusammenhang sind die Sympathiebekundungen von Schavan und ihre Ankündigung, das BaföG zum 1. Oktober 2010 erhöhen zu wollen, zu sehen. Man kann davon ausgehen, dass die BAföG-Erhöhung sehr gering ausfallen wird, falls sie überhaupt kommt. Im Moment ist sie nichts weiter ist als eine reine Absichtserklärung. Sie würde weder die prekären Lebensverhältnisse vieler BAföG-Empfänger verbessern, die sich mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser halten müssen, noch dafür sorgen, dass mehr Studierende Bafög beziehen. Die Freibeträge, die darüber entscheiden, ob ein Student überhaupt Bafög bekommt, werden voraussichtlich gleich bleiben.

Für Schavan ist die Ankündigung lediglich ein taktisches Druckmittel, um das geplante ?nationale Stipendiensystem‘ durchzusetzen, gegen das es vor allem in SPD-geführten, aber auch in manchen Unionsländern Vorbehalte gibt. Die Kultusminister der Länder hatten bereits Anfang Oktober für eine Erhöhung des BAföGs plädiert, und Schavan kommt ihnen nun entgegen.

Das von Schavan forcierte Stipendienmodell sieht vor, dass 10 Prozent der besten Studierenden unabhängig vom Einkommen der Eltern mit 300 Euro im Monat unterstützt werden. Bund und Länder sollen die Hälfte der Gelder übernehmen, den anderen Teil müssen die Universitäten direkt bei der Wirtschaft einwerben. Im hochgradig selektiven deutschen Bildungssystem wird dieses Stipendienmodell fast ausschließlich Studierenden aus dem Bildungsbürgertum zu Gute kommen und die Selektion noch weiter verschärfen. Darüber hinaus wird es der Wirtschaft so ermöglicht, noch direkter als bisher ihre Interessen an den Universitäten durchzusetzen.

Der jüngste Vorstoß von Schavan hat in den letzten Tagen endgültig deutlich gemacht, welche politische Agenda hinter ihrer Charmeoffensive steht. Ihr Vorschlag, Studierende aus einkommensschwachen Haushalten langfristig durch ein "Bildungssparprogramm" zusätzlich zu fördern, bedeutet, dass das normale BAföG in den kommenden Jahren schrittweise zurückgefahren und durch ein privates Vorsorgemodell ersetzt werden soll. Ähnlich wie beim Bausparen sollen regelmäßig Beiträge eingezahlt werden, um vom Ersparten später das Studium zu finanzieren. In den Medien wird das Modell schon jetzt mit der Riester-Rente verglichen, die als Einstieg in eine rein kapitalgedeckte, private Altersvorsorge dient. Eine ausreichende Rente erhält nur noch derjenige, der genug Geld hat, privat vorzusorgen, und genauso soll es nun auch in der Bildung laufen. Gute, umfassende Bildung wird ausschließlich zu einer Frage des Geldbeutels.

Für ihre Bildungspolitik bekommt Schavan Rückendeckung von großen Teilen der Politik und Medien – und von der Linkspartei. Friederike Benda, die Bundesgeschäftsführerin des Studierendenverbands der Linkspartei Linke.SDS, erklärte, es sei als "ein Erfolg des Bildungsstreiks zu werten, dass Schavan eine Erhöhung [des BAföG] für 2010 in Aussicht gestellt hat". Die Linke.SDS verbreitet die Illusion, man könne die CDU-Ministerin Schavan mit Protest unter Druck setzten, und hilft dieser so aktiv dabei, die Ökonomisierung der Bildung voranzutreiben und das Grundrecht auf Bildung weiter zu beschneiden.

Ebenso wie Benda vertuscht auch die hochschulpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Nicole Gohlke, in einer Pressemitteilung Schavans rechte Agenda und bezeichnet die angekündigte Erhöhung des BAföG als Erfolg des Protests. Während die Bildungsministerin das BAföG benutzt, um ihr nationales Stipendiensystem durchzusetzen, stellt Gohlke die Behauptung auf, das geplante nationale Stipendienprogramm habe mit dem BAföG nichts zu tun. Anstatt Schavans Pläne offen anzusprechen und zu kritisieren, fordert sie von ihr, "das Herumeiern" sein zu lassen und "endlich konkret" zu werden.

Die Politik der Linkspartei und ihres Studierendenverbandes ist völlig bankrott. Nachdem man über Jahre behauptete, man könne die SPD von "links" unter Druck setzen, hat man sich nun offenbar die CDU zum selben Zweck auserkoren. Nachdem sich schon die SPD, die die Agenda 2010, die Beteiligung an völkerrechtswidrigen Angriffskriegen und auch die Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland zu verantworten hat, gegen jeden Druck von unten als völlig immun erwies, sollen nun Schavan, Schäuble und Co. durch Proteste zu Zugeständnissen bewegt werden. Dieses politische Programm ist in Zeiten der historischen Krise des Kapitalismus offensichtlich absurd.

Die sozialen und studentischen Proteste der letzten Jahre haben gezeigt, dass die etablierten Parteien allein durch Druck von unten nicht von ihrem Kurs abgebracht werden können. Die Linkspartei selbst hat das bewiesen. Trotz eines halbjährigen Streiks an allen Berliner Universitäten im Jahr 2003 und massiver Proteste hat der rot-rote Senat in Berlin allein an den Universitäten 75 Millionen Euro gespart.

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Die Fragen, die mit den Protesten aufgeworfen werden, können offensichtlich nicht einfach an den Universitäten beantwortet werden. Die Ruinierung der Bildung steht in direktem Zusammenhang mit der Krise des Kapitalismus.

Quelle: WSWS

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