Reformen

Niedriglohn bleibt

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Der Streit um den Mindestlohn hält an –

Von REDAKTION, 16. April 2014 –

Rund jede vierte Arbeitskraft in Deutschland ist im Niedriglohnsektor beschäftigt. Damit rangiert Deutschland laut einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeit- und Berufsforschung (IAB) unter 17 europäischen Ländern auf Platz zwei der Niedriglohnquoten-Rangliste, hinter Litauen. Für Deutschland weist das IAB einen Niedriglohn-Anteil von 24,1 Prozent an allen Beschäftigten aus.

Daran wird auch die von der Großen Koalition geplante Einführung eines gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohns von 8,50 Euro die Stunde – wohlgemerkt brutto – nichts ändern. Denn die Niedriglohnschwelle setzt das IAB bei 9,54 Euro in der Stunde an.

Mit dem geplanten Mindestlohn bliebe Deutschland unter dem Niveau vieler westeuropäischer Nachbarländer. In Luxemburg (11,10 Euro), Frankreich (9,53 Euro), den Niederlanden (9,11 Euro), Belgien (9,10 Euro) und Irland (8,65 Euro) liege der Mindestlohn über dem angestrebten deutschen Niveau, teilte das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung mit.

Dennoch könnten von der Einführung des Mindestlohnes nach einer aktuellen Studie der Universität Duisburg-Essen bis zu 6,6 Millionen Beschäftigte – also fast jeder fünfte Arbeitnehmer in Deutschland – profitieren. Denn so viele Menschen hätten im Jahr 2012 für Stundenlöhne unterhalb des geplanten Mindestlohns gearbeitet. Wie viele Menschen tatsächlich Anspruch auf diese Mindestvergütung ihrer Arbeit haben, hängt aber von der konkreten Ausgestaltung der Regeln ab.

Die Pläne der Bundesregierung sehen jedenfalls viele Ausnahmen vor. Für Praktikanten, Minderjährige und Langzeitarbeitslose soll der Mindestlohn nicht gelten. Zwar soll keine Branche vom Mindestlohn ausgeklammert werden, dennoch soll es Ausnahmen geben, für Spargelstecher, Erdbeerpflücker, Taxifahrer oder Zeitungsausträger zum Beispiel. Für sie können Arbeitgeber und Gewerkschaften noch bis Ende 2014 Tarifverträge mit niedrigeren Lohnuntergrenzen schließen. Die gelten dann längstens bis Ende 2016.

Die Gewerkschaften kritisieren diese Ausnahmen, Unternehmerverbände und Union hätten gerne mehr davon. Der Arbeitnehmerflügel der SPD kündigte hingegen Widerstand gegen die Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose an. „Immer nur die Schwächsten von positiven Regelungen auszunehmen, geht nicht“, sagte Klaus Barthel, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen.

Die Linke sieht die Durchsetzung des geplanten Mindestlohns durch Personalmangel in den Behörden gefährdet. „Die Kontrollen sind ein zentraler Schwachpunkt. Millionen sollen profitieren, aber im Gesetz fehlen jegliche Vorkehrungen für die Durchsetzung in der Fläche“, sagte Parteichefin Katja Kipping vergangene Woche. „Der Bund muss 5000 neue Mindestlohnkontrolleure einstellen. Sonst bleibt es ein Mindestlohn Light“, forderte Kipping. Vorgesehen ist, dass die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls den Mindestlohn kontrolliert.

Obwohl der Mindestlohn nicht zu einer Eindämmung des Niedriglohnsektors beitragen würde, sieht Christoph Schmidt, Vorsitzender der „Wirtschaftsweisen“, diesen in Gefahr.  „Es droht der Verlust mehrerer Hunderttausend Arbeitsplätze“, warnte er in der Passauer Neuen Presse.

Kaum überraschend malen auch Vertreter des Kapitals das Schreckensgespenst von hunderttausenden zusätzlichen Arbeitslosen an die Wand. Der Mindestlohn vernichte Arbeitsplätze, vor allem in Ostdeutschland, weil dort die Löhne niedriger seien, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Eric Schweitzer, der Bild am Sonntag. „Das Bittere an der Geschichte ist, dass man es erst hinterher messen kann. Dann haben wir aber in Deutschland schon 200 000 oder 300 000 Arbeitslose mehr.“

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wies solche Warnungen zurück. Er komme zu einem völlig anderen Ergebnis, sagte er anlässlich der Vorlage seiner Frühjahrs-Konjunkturprognose. Mit dem Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde würden die Binnennachfrage und der faire Wettbewerb in der Wirtschaft gestärkt. Firmen, die bisher „Armutslöhne“ und staatliche Lohnzuschüsse zu einem Teil ihres Geschäftsmodells gemacht hätten, werde das Leben schwerer gemacht.

Nach wie vor hält der Streit um die Konditionen des Mindestlohns in der schwarz-roten Regierungskoalition an. Einwände der Union richten sich vor allem gegen die Altersgrenze von 18 Jahren, aber der der Mindestlohn zu zahlen ist. Unionsfraktions-Vize Michael Kretschmer (CDU) will stattdessen den Abschluss einer Berufsausbildung zur Voraussetzung machen. Er sagte gegenüber der Welt, der Grundsatz müsse lauten: „Anspruch auf den Mindestlohn hat nur, wer eine abgeschlossene Ausbildung hat.“

Unterdessen hat der Vorsitzende der neoliberalen FDP, Christian Lindner, sein Herz für das unqualifizierte Proletariat entdeckt.  „Es gibt 1,5 Millionen 25- bis 35-Jährige ohne Schul- und Berufsabschluss. Hoffentlich werden deren Einstiegsjobs nicht zerstört“, so der FDP-Chef gegenüber der Schwäbischen Zeitung.

Aber gerade gering-qualifizierte Arbeitskräfte haben unter Niedriglöhnen zu leiden. Diese reichen selbst bei Vollzeitanstellungen oftmals nicht aus, um daraus den eigenen Lebensunterhalt bestreiten zu können – und müssen daher vom Staat aus Steuermitteln aufgestockt werden. Für das Kapital ist es ein paradiesischer Zustand, wenn der im Lohn ausgedrückte Wert einer Arbeitskraft unter deren Reproduktionskosten gesenkt werden kann.

Gerichtsurteil: Sittenwidrige Löhne als Gefälligkeit

Wie dringend die Einführung eines – selbst halbherzigen – Mindestlohnes hierzulande geboten ist, verdeutlich ein aktuelles Gerichtsurteil. Das Arbeitsgericht Cottbus wies vergangene Woche in einem Rechtsstreit um Lohndumping die Klage des Jobcenters Oberspreewald-Lausitz gegen einen Rechtsanwalt zurück. Der Anwalt hatte in seiner Kanzlei in Großräschen zwei Bürokräfte für Stundenlöhne von 1,54 beziehungsweise 1,65 Euro beschäftigt. Diese Löhne seien zwar auch in strukturschwachen Regionen wie der Niederlausitz sittenwidrig, urteilte das Gericht. Der Anwalt habe aber nicht ausbeuterisch gehandelt.

So hätten die Beschäftigten auf eigenen Wunsch unter diesen Konditionen angefangen, um erst einmal wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen, so die fragwürdige Urteilsbegründung, die unterstellt, die beiden Angestellten hätten  sich keine bessere Bezahlung gewünscht.

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Titelthema: Ukraine

Schwerpunkt: Forschung für das Militär

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Der Anwalt habe nach Meinung des Gerichts keinen wirtschaftlichen Vorteil durch die Einstellung erzielt. Es sei eher eine „Gefälligkeit“, eine „gut gemeinte Leistung“ gewesen, erklärte der Richter.

Beide Beschäftigte kamen nur über die Runden, weil sie zusätzlich zu ihrem Lohn Aufstockerleistungen vom Staat erhielten. Das Jobcenter wollte von dem Anwalt daher Sozialleistungen in Höhe von 4100 Euro zurückhaben. Das Gericht wies die Klage zurück: Mit sechs ausgelasteten Vollzeitbeschäftigten habe es der Anwalt nicht nötig gehabt, zwei weitere Beschäftigte einzustellen. Unterm Strich hätten sich für ihn eher Mehrkosten ergeben. In der Zahlung von Hungerlöhnen will das Gericht somit eine wohltätige Handlung erkannt haben.

Das Jobcenter Oberspreewald-Lausitz kündigte an, in Berufung zu gehen. „Das Urteil hat uns völlig unerwartet getroffen und ist für uns in keiner Weise nachvollziehbar“, sagte Geschäftsführerin Brigitta Kose der Nachrichtenagentur dpa. Obwohl das Gericht keinen Zweifel am Missverhältnis zwischen Leistung und Vergütung habe, führe es einen völlig neuen Rechtsgedanken ein, nämlich den der nicht vorhandenen „verwerflichen Gesinnung“: „Wenn das bestätigt wird, befürchten wir einen ordnungspolitischen Dammbruch“, sagte Kose.

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Die Behörde befürchtet, dass andere Unternehmer das Urteil nun möglicherweise als „Schutzbehauptung“ anwenden, um Beschäftigte generell mit Billiglöhnen abzuspeisen, hieß es zur Begründung. Sie müssten bloß angeben, die Mitarbeiter gar nicht unbedingt im Betrieb zu brauchen.

(mit dpa)

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