Jagd nach dem Phantom
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Mit Symbolpolitik gegen „Armutsmigration“. Das Gesetzespaket der Bundesregierung –
Von SUSANN WITT-STAHL, 29. August 2014 –
Für erhebliche Kontroversen sorgt ein am Mittwoch auf den Weg gebrachtes umfangreiches Gesetzespaket, mit dem der als „Armutsmigration“ bezeichneten Zuwanderung von bestimmten, unerwünschten Arbeitssuchenden aus Rumänien und Bulgarien Grenzen gesetzt werden sollen. Ein Katalog von Maßnahmen sieht die Beschränkung des Aufenthaltsrechts zur Arbeitssuche auf sechs Monate vor. Ausnahme: Das Vorliegen einer konkreten und nachweisbaren Erfolgsaussicht. Bundesinnenminister Thomas de Maizière begründete die Maßnahme damit, dass viele Bulgaren und Rumänen die Bundesrepublik nach ergebnisloser Arbeitsplatzsuche nicht verlassen oder durch die offenen Schengen-Grenzen einfach erneut einreisen würden – allerdings würden sie in diesen Fällen keine Sozialleistungen beziehen können, betonte der CDU-Politiker.
Hinzu kommen Abschreckungsmaßnahmen: In Betrugsfällen soll EU-Zuwanderern zukünftig für eine Frist von bis zu fünf Jahren die Wiedereinreise verwehrt werden. Ferner wollen CDU und SPD den doppelten Bezug von Kindergeld (im Heimatland und in Deutschland) verhindern, indem bei Beantragung die Angabe der Steueridentifikationsnummer vorgeschrieben wird. „Jeder Missbrauch untergräbt die Legitimität der sozialen Sicherung“, begründete Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) ihre Initiative. Es soll sogar juristisch geprüft werden, ob das Kindergeld auf das Niveau des Heimatlandes des Anspruchsberechtigten abgesenkt werden kann, ergänzte de Maizière. In Rumänien erhalten Eltern 9,90 Euro monatlich für das erste Kind; das entspricht 5 Prozent der Summe, die in Deutschland gezahlt wird. Von de Maizières Kollegen aus der CSU war ein noch rigoroseres Vorgehen gegen die „Armutsmigranten“ verlangt worden – etwa eine Aussetzung des Kindergeldes für einige Monate. Das wurde aber mit der Begründung abgelehnt, dass diese harte Maßnahme „rechtlich nicht umsetzbar“ sei.
Vage Versprechungen von Schutzmaßnahmen
Die Regierung verspricht, auch Schritte zum Schutz der EU-Zuwanderer einleiten zu wollen. Deren drastisch zunehmender Ausbeutung solle Einhalt geboten, Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit eingedämmt werden. Dieses Ziel will sie durch „effizientere Zusammenarbeit der Behörden“ erreichen, kündigte sie an, ohne konkrete Angaben zu machen, wie diese gestaltet werden soll, um der immer perfider werdenden Machenschaften – durch die Ausnutzung der Notlage ausländischer Arbeitssuchender Profit zu machen – besser Herr zu werden. „Es gibt in bestimmten Städten etwas, was dort Arbeitsstrich genannt wird“, beschreibt de Maizière eines der Probleme, die konsequent angegangen werden müssten. Die Angeworbenen müssen oftmals für eine skandalöse Vergütung von ein bis zwei Euro arbeiten – selbstverständlich schwarz. Auch gegen die Vermietungen von oftmals extrem verwahrlosten Unterkünften zu Wucherpreisen will die Bundesregierung vorgehen. Wie genau das geschehen soll, ist bislang allerdings nicht in Erfahrung zu bringen. Wenn es um den Schutz migrantischer Arbeitnehmer geht, bleibt die Bundesregierung mit ihren Versprechungen sehr vage.
Darüber hinaus sollen Kommunen mit einer besonders hohen Anzahl von Sozialleistungsbeziehern aus Rumänien und Bulgarien – beispielsweise Duisburg, Offenbach, Frankfurt am Main – mehr Hilfsgelder bekommen als bislang geplant: Für das Jahr 2014 25 Millionen Euro mehr für die Unterbringung von Hartz-IV-Betroffenen, zusätzliche 10 Millionen mehr für Gesundheitsleistungen und 40 Millionen mehr für Integrationskurse. Insgesamt wird sich die Summe, die aus Töpfen der EU und des Bundes bestritten werden soll, in den nächsten Jahren auf rund 250 Millionen belaufen.
Regierung voll des Lobes für sich selbst
De Maizière und Nahles räumen ein, dass die wachsende Zahl von Migranten aus Rumänien und Bulgarien (derzeit leben 430.000 hier, gegenüber 2013 gab es einen Anstieg von 24 Prozent) nicht generell ein Problem sei: Die Zuwanderung kulminiere nur in einigen Städten und dort auch nur in einigen Bezirken, so Nahles (die Arbeitslosenquote der Bulgaren und Rumänen beträgt in Stuttgart nur 6,9 Prozent, in Duisburg hingegen 34,4 Prozent).
Außerdem sei Zuwanderung, die „zentrale Säule der europäischen Einigung“. Es kämen auch viele Fachkräfte in den Westen, fügte de Maizière hinzu. „Diese Menschen suchen für sich und ihre Familien bessere Chancen und tragen zu Wohlstand und Entwicklung in Deutschland bei.“ Und de Maizière wird nicht müde zu betonen, dass die Bundesregierung keineswegs am geltenden europäischen Recht rütteln wolle: „Freizügigkeit ja, Hilfen bei negativen Folgen der Freizügigkeit ja, Missbrauch nein.“
Die Regierungsparteien sind wie erwartet voll des Lobes für sich selbst: „ Es wurde nicht nur eine aufgeheizte Debatte versachlicht, sondern zudem schnell die Grundlage für Dinge geschaffen, die den betroffenen Kommunen wirklich helfen“, findet Staatsministerin Aydan Özoğuz (SPD). „Die CSU konnte entscheidende Forderungen gegen den Sozialbetrug bei der Armutszuwanderung durchsetzen“, freut sich CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, obwohl die Gesetzesverschärfungen nach Ansicht ihrer Partei nicht weit genug gehen. Die CSU hatte mit dem umstrittenen Slogan „Wer betrügt, der fliegt“ eine rechtspopulistische Kampagne ins Rollen gebracht.
„Armutsmigration“ nicht der Rede wert
Nicht nur dazu gibt es laute Unmutsäußerungen von den Oppositionsbänken und aus den Sozialverbänden. Die Gegner halten auch den Gesetzeskatalog, der moderater gestaltet ist als es sich die CSU gewünscht hatte, nicht für sinnvoll. Denn die Bundesregierung blase damit zur Jagd auf ein Phantom, lautet der Haupttenor der Kritiker. „Die Regierung sollte endlich aufhören, Probleme zu bekämpfen, die es nicht gibt“, fordert beispielsweise Wolfgang Strengmann-Kuhn, Sozialexperte der Grünen-Bundestagsfraktion.
Diese Behauptung wird durch harte Fakten untermauert: Seit im Januar 2014 für Arbeitnehmer aus Rumänien und Bulgarien die volle Freizügigkeit eingeführt worden ist (vorher brauchten sie eine Arbeitserlaubnis), gab es zwar in den ersten Monaten eine nennenswerte Zunahme der Migration aus diesen beiden Ländern. Aber der Anteil der Rumänen und Bulgaren an der Gesamtzahl der in Deutschland lebenden Migranten macht dennoch gerade einmal 5,5 Prozent aus. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und andere Arbeitsmarktexperten rechnen auch zukünftig nicht mit einem signifikanten Anstieg der Zahlen und widersprechen der verbreiteten Auffassung, es gäbe eine anschwellende Welle von „Armutseinwanderung“. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, das an dem Zuzug billiger Arbeitskräfte interessiert ist, verlangt daher, der Bund solle „zwar wie geplant Hilfen für besonders betroffene Kommunen leisten, aber vor allem weiterhin ein klar positives Willkommenssignal für Zuwanderer senden“.
Einige Experten bestreiten sogar, dass überhaupt von „Armutseinwanderung“ aus Rumänien und Bulgarien die Rede sein kann. Denn die Mehrzahl, der Menschen, die von dort nach Deutschland kämen, seien gut ausgebildet und würden in der Regel sehr schnell eine Beschäftigung finden. Laut dem Abschlussbericht „Armutsmigration“ des Bundesministeriums des Innern und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bezogen im April 2014 12,9 Prozent der sich in Deutschland aufhaltenden bulgarischen und rumänischen Staatsangehörigen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Damit liegen sie 3,4 Prozent unter dem Durchschnitt der Ausländer, die in Deutschland leben, und nur 5,4 Prozent über den Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. (1)
Rechte Stimmungsmacher bedienen
Interessant auch: Laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat Deutschland die zur Verfügung stehenden Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) für die Integration von Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt sind, nicht ausgeschöpft.(2) Die EU-Kommission habe Unverständnis dafür geäußert, dass rund drei Milliarden Euro (37 Prozent der Deutschland zur Verfügung stehenden Summe) nicht abgerufen worden seien, mit der hierzulande durch „Armutsmigration“ in einigen Ballungszentren auftretende Probleme hätten bekämpft werden können. Besonders peinlich: Vor einiger Zeit hatten deutsche Politiker noch Rumänien und Bulgarien gerügt, weil diese ESF-Mittel nicht genutzt hatten, um Roma ausreichend zu fördern. Besserung ist aber offenbar perspektivisch nicht zu erwarten. Für den neuen Förderzeitraum bis 2020 plane die Bundesregierung keine Sonderprogramme, erklärte eine Sprecherin. „Ein eigenständiges ESF-Bundesprogramm für Roma und Sinti beziehungsweise rumänische und bulgarische Staatsangehörige ist nicht vorgesehen“.
Angesichts ungenutzter Sozialfondgelder erhärtet sich der Verdacht, dass es der Bundesregierungsparteien mit ihrem Gesetzespaket zur „Armutsmigration“ nicht zuletzt darum ging, Stimmungs- und Panikmacher aus dem rechten Lager (und in den eigenen Reihen) zu bedienen und mit einer Symbolpolitik ein „konsequentes Durchgreifen“ gegen „zugezogene Sozialschmarotzer“ zu demonstrieren. Die Partei Die Linke kritisiert nicht nur, dass die Bundesregierung publikumswirksam Missstände bekämpfe, die gar nicht existieren würden. Der neue Gesetzeskatalog komme einer Stigmatisierung von Migranten gleich, so Katina Schubert, Mitglied des geschäftsführenden Linken-Vorstands.
„Wer jetzt über massenhafte Armutsmigranten aus Rumänien und Bulgarien fabuliert, meint in Wahrheit Sinti und Roma, sagt es aber nicht“, brachte ein Kommentator der Leipziger Volkszeitung einen sich vielen Kritikern aufdrängenden Verdacht auf den Punkt. Die gut qualifizierten Osteuropäer hätten sich längst gut auf dem Arbeitsmarkt der westlichen Residenzgesellschaften integriert und arbeiteten in Deutschland, England oder Schweden als Ärzte, Pfleger oder Ingenieure, so ist in der Volkszeitung weiter zu lesen. Noch ungelösten Problemen und unbearbeiteten Regelungsgegenständen der Migration könnte durch ein Einwanderungsgesetz beigekommen werden. „Deutschland ist seit Jahren Einwanderungsland, weigert sich aber beharrlich, dies anzuerkennen. Man mauschelt sich so durch und hofft, es merkt keiner.“
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Anmerkungen
(1) http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2014/abschlussbericht-armutsmigration.pdf?__blob=publicationFile
(2) http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/armutseinwanderung-deutschland-ruft-milliarden-hilfen-nicht-ab-12747234.html