Reformen

Gewerkschafter als Geiselnehmer?

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Bahnstreik: Forderungen nach einer Einschränkung des Streikrechts werden lauter –

Von SEBASTIAN RANGE, 15. Oktober 2014 – 

Bei der Deutschen Bahn findet an diesem Mittwoch der zweite bundesweite Lokführer-Streik innerhalb von acht Tagen statt. Bereits ab Dienstag, 24 Uhr, gilt ein eingeschränkter Fahrplan im Fernverkehr – zahlreiche Züge fallen aus. Der eigentliche Ausstand beginnt am heutigen Mittwoch um 14 Uhr und wird bis 4.00 Uhr am Donnerstagmorgen dauern. „Wir werden Donnerstagmorgen so schnell wie möglich versuchen, wieder den Normalbetrieb aufzunehmen“, sagte ein Bahnsprecher. Dennoch geht man bei der Bahn davon aus, dass es nach dem Ende des Streiks zu Zugausfällen und Verspätungen kommen könne. Deshalb sollten Pendler am Donnerstagmorgen mehr Zeit einplanen, um rechtzeitig an den Arbeitsplatz zu kommen. Auch der Güterverkehr ist von dem Ausstand betroffen. Die Bahn kritisierte den Streik als völlig unverständlich. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) wolle das Unternehmen damit im laufenden Tarifkonflikt zu Zugeständnissen zwingen. Die GDL verlangt für das Zugpersonal fünf Prozent mehr Lohn sowie eine  Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 39 auf 37 Stunden. Zudem soll die Zahl der Überstunden auf 50 begrenzt werden. 91 Prozent der GDL-Mitglieder hatten in einer Urabstimmung für den Arbeitskampf votiert.

Mit ihrer Forderung, Tarifverträge nicht nur für die Lokführer, sondern für das gesamte Zugpersonal einschließlich der Zugbegleiter, Lokrangierführer und  Gastronomen in den Speisewagen abzuschließen, befindet die GDL sich im Konflikt mit der aus Sicht der Lokführer handzahmen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Zwar hat die GDL mit rund 34.000 deutlich weniger Mitglieder als die EVG (210.000), beansprucht jedoch eine Mehrheit des Zugpersonals  zu vertreten. Laut GDL-Angaben seien 19000 der  insgesamt 37000 Mitarbeiter des Zugpersonals der Deutschen Bahn in ihren Reihen organisiert. Die EVG bestreitet diese Angaben. Unstrittig ist jedoch, dass die Berufsgruppe der Lokführer zu  fast 80 Prozent in der GDL organisiert ist.

Die Bahn will daher nur für diese Tarifverträge mit der GDL abschließen. Die GDL ist hingegen nicht bereit, von ihrer Forderung Abstand zu nehmen, neben den Lokführern auch das Zugpersonal federführend zu vertreten, das bislang von der EVG repräsentiert wurde. Das bringt ihr den Vorwurf ein, mit dem Streik rein egoistische Motive zu verfolgen, die sich in erster Linie gegen die konkurrierende EVG richten würden. So erklärte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi in der ARD-Sendung „hart aber fair“ am Dienstag, der GDL gehe es nicht um Arbeiterinteressen, sondern um „Machtausweitung“. Ins gleiche Horn stieß Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber, der den Ausstand am Mittwoch als „eine Dreistigkeit und Unverschämtheit“ bezeichnete. Die GDL stelle „Machtgelüste über vernünftiges Verhandeln“. „Der GDL-Führung geht es aber darum, das Terrain von Konkurrenzgewerkschaften erobern zu wollen. Dafür nimmt sie Schaden für Kunden, Mitarbeiter und Unternehmen in Kauf.“ Die Streiks seien „überflüssig, verantwortungslos und ohne jedes Gespür für die derzeitige Situation“, erklärte Weber vergangene Woche.

Auch der Fahrgastverband „Pro Bahn“ übte heftige Kritik: „Es wird immer offensichtlicher, dass es der Gewerkschaft GDL vorwiegend um die Ausweitung ihres Machtbereichs geht und nicht um tarifliche Forderungen“, sagte Pro Bahn Bundessprecher Gerd Aschoff am Mittwoch in Göttingen der dpa. „Und das macht die GDL mit Mitteln, die nicht mehr nachvollziehbar sind.“ Die Lokführergewerkschaft agiere zunehmend „auf dem Rücken der Fahrgäste“, sagte Aschoff. „Bei der GDL handelt es sich um eine überschaubare Anzahl von Lokführern, die durch den Stillstand der Züge eine extreme Wirkung entfalten, die Hunderttausende von Fahrgästen betrifft.“

Beinahe einhellig und mit immer schriller werdenden Tönen verurteilt das Gros der Medien und der Politik den Arbeitskampf der GDL. Rhetorisch wird dieser gar in die Nähe krimineller Aktivitäten gerückt. Während die Frankfurter Rundschau in einem Leitartikel von einer „Geiselnahme im Bahnverkehr“ spricht, sieht die Welt „Deutschland in Geiselhaft“.  Auch die bereits erwähnte „hart-aber-fair“-Sendung machte mit der Fragestellung auf: „Lokführer und Piloten –sind wir Geiseln der Mini-Gewerkschaften?“ Dass die betroffenen „Geiseln“, also die von den Ausfällen betroffenen Reisenden und Pendler, mehrheitlich Verständnis für den Arbeitskampf aufbringen, veranlasste die Süddeutsche Zeitung, diese als „irre“ zu pathologisieren. (1)  Auffällig an der öffentlichen Debatte ist, dass sich der Vorwurf des egoistischen Machtkampfes ausschließlich gegen die GDL richtet, obwohl auch die EVG darauf pocht, in der Berufsgruppe der Lokführer eigene Tarifverträge abzuschließen, obwohl sie dort nur eine Minderheit vertritt.

Immer deutlicher wird, worum es bei der von Medien und Politik betriebenen Kampagne gegen die GDL wirklich geht: Der Machtkampf zwischen den beiden Bahn-Gewerkschaften dient dabei nur als Vorwand für Pläne, das Streikrecht wesentlich einzuschränken und für manche Berufsgruppen völlig abzuschaffen. Ob  Lokomotivführer, Busfahrer oder Pilot, geht es nach Meinung des Zeit-Redakteurs Jochen Bittner, dürften sie in Zukunft alle nicht mehr streiken. (2) Auch Michael Frenzel, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft forderte die Bundesregierung auf, das „unsinnige Droh- und Erpressungspotential“ kleiner Gewerkschaften zu beseitigen

Das Streikrecht stehe nicht infrage, aber kleine Spartengewerkschaften dürften die öffentliche Infrastruktur nicht lahmlegen, so Frenzel. Tatsächlich würde das Streikrecht für manche Berufsgruppen aber faktisch abgeschafft, wenn die Bundesregierung ihre von Frenzel unterstützten Pläne für ein Tarifeinheitsgesetz umsetzt.

Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück, der die GDL als „egoistisch und nicht solidarisch“ bezeichnete, und ihr eine „elitäre Tarifpolitik für einzelne Berufsgruppen“ vorwarf, unterstützt ebenso die geplante Einschränkung des Streikrechts. „Ich bin für die Tarifeinheit, denn sie hat sich als Ordnungsfaktor der Deutschen Wirtschaft erwiesen.“ Das Prinzip der Tarifeinheit – ein Betrieb – eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag – war 2010 vom Bundesarbeitsgericht mit Verweis auf das im Grundgesetz garantierte Recht, dass sich alle Arbeitnehmer frei organisieren können, gekippt worden.

Gegenwärtig bereitet die  Bundesregierung in enger Zusammenarbeit mit den Unternehmerverbänden und den DGB-Gewerkschaften ein Tarifeinheitsgesetz vor, das Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) im Dezember ins Bundeskabinett einbringen will. Demnach soll zukünftig nur noch die größte Gewerkschaft in einem Betrieb Tarifverhandlungen führen und zum Streik aufrufen dürfen. Damit würde gerade den kampfwilligeren kleineren Gewerkschaften wie der GDL, der Pilotenvereinigung Cockpit, oder dem Ärzteverband Marbuger Bund die Existenzgrundlage entzogen.

„Den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip“ festzuschreiben, widerspreche dem Koalitionsgrundrecht und ignoriere die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes, warnte der Marbuger Bund im Mai vor einer entsprechenden Umsetzung der Gesetzespläne. „Jede Regelung zur Tarifeinheit würde schnell eine Flut von Rechtsstreitigkeiten produzieren. Es kann nicht im Interesse der Bundesregierung sein, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die geordneten Verhältnisse der Tarifpluralität in den Betrieben auf den Kopf stellt, dauerhaft Mehrheitsfindungsprozesse in Gang setzt und massive Rechtsunsicherheiten schafft“, so die Ärztevertretung.  (3)

Nach Auffassung des Rechtswissenschaftler Prof. Wolfgang Däubler richtet sich das geplante Tarifeinheitsgesetz gegen die Kampffähigkeit der Arbeiterschaft. „Faktisch sollen die Sparten-Gewerkschaften, die am ehesten zum Arbeitskampf bereit sind, durch die so genannte Tarifeinheit kampfunfähig gemacht werden, weil sie keinen wirksamen Tarifvertrag mehr erkämpfen dürfen.“ Däubler befürchtet eine weitere Aushöhlung des Arbeitskampfrechts: „Außerdem ist denkbar, dass das Tarifeinheitsgesetz nur ein erster Schritt ist und man als zweiten Schritt versucht, Streiks bei Verkehrsbetrieben oder Kliniken generell einzuschränken.“ (4)

Das Zugpersonal werde von der Deutschen Bahn „absichtlich in den Streik getrieben“, wirft GDL-Chef Claus Weselsky dem Transportunternehmen vor.  Die Lokführer sollten „die Begründung liefern“ für das Tarifeinheitsgesetz. (5) Die GDL bezichtigt die Bahn einer Blockadehaltung bei den gegenwärtigen Tarifverhandlungen. Die Deutsche Bahn beteuert zwar ihre Kompromissbereitschaft, das von ihr eingereichte Angebot läuft jedoch faktisch auf eine Kapitulation der Gewerkschaft hinaus. Die Bahn bietet – allerdings nur für die Lokführer – zwei Prozent mehr Lohn, wenn im Gegenzug der Tarifstreit ausgesetzt wird, bis das neue Gesetz die Tarifeinheit regelt.

„Meinen die Bahn-Manager das Ernst?“, fragt die Frankfurter Rundschau in einem Kommentar, der sich wohltuend vom Medien-Mainstream abhebt. „Soll die GDL das Angebot annehmen und damit indirekt eingestehen, dass sie sich selbst für abschaffungswürdig hält? Das können die Lokführer nicht tun. Und der Bahn sei ins Stammbuch geschrieben, dass man mit solchen Tricks keine ernsthaften Tarifverhandlungen führen kann, mit wem auch immer. Noch gibt es kein Gesetz zur Tarifeinheit, und es ist völlig offen, ob es je kommt.“ (6) Und sollte es kommen, könnte es vom Bundesverfassungsgericht wieder einkassiert werden. „Die Deutsche Bahn verlangt von uns tatsächlich, dass wird die Füße stillhalten, bis wir gesetzlich abgeschafft werden“, kommentierte Weselsky das „Angebot“ der Bahn und beklagt, dass die GDL-Kollegen medial „als unbotmäßige, nimmersatte und den sozialen Frieden dieses Landes bedrohende Separatisten in die Ecke gestellt“ würden.


 

Anmerkungen

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(mit dpa)

(1) http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/streik-bei-der-deutschen-bahn-irres-verstaendnis-fuer-die-lokfuehrer-1.2162830
(2) http://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2014-10/bahn-streik-lokfuehrer-verbeamten
(3) http://www.marburger-bund.de/landesverbaende/niedersachsen/artikel/allgemein/2014/marburger-bund-warnt-bundesregierung-vor-tarifeinheitsgesetz
(4) http://www1.wdr.de/themen/politik/faktencheck394.html
(5) http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/drohender-streik-deutsche-bahn-macht-lokfuehrern-neues-angebot/10785300.html
(6) http://www.fr-online.de/wirtschaft/kommentar-deutsche-bahn-die-deutsche-bahn-trickst,1472780,28644798.html

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