Einkommen für alle
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Viele Menschen würden gerne ihre eigenen Ideen verwirklichen. Statt dessen verdienen sie mit fremdbestimmter Arbeit ihren Lebensunterhalt. Könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen Abhilfe schaffen?
Von SUSANNE AIGNER, 9. Februar 2016 –
Was würden Sie tun, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre? Einer Umfrage von 2008 zufolge würden 60 Prozent der Befragten weiterarbeiten wie bisher. Rund ein Drittel würde weiterarbeiten, aber weniger oder in einem anderen Beruf. Und nur 10 Prozent hätten vor, gar nicht mehr zu arbeiten. Viele der Befragten, um die 80 Prozent, denken aber interessanterweise, dass die jeweils anderen unter dieser Voraussetzung nicht mehr arbeiten würden.
Millionen von Menschen, die Hartz 4 beziehen, müssen sich vorwerfen lassen, sie würden auf Kosten der Allgemeinheit in der sozialen Hängematte liegen. Aber was ist mit den Berufstätigen, die den anderen die Arbeitsplätze wegnehmen, so dass diese ins soziale Elend abrutschen? Beim Verteilen der Schuld kommt es immer auf den Blickwinkel an.
Besonders im Niedriglohnsektor werden Arbeitende gegen Arbeitslose ausgespielt. Viele sind froh, wenn sie irgendeinen noch so unterbezahlten Job haben. Wer zu stolz ist, Sozialleistungen anzunehmen oder keine Lust auf staatliche Bevormundung hat, schlägt sich oft mit mehreren unterbezahlten Jobs durch oder probiert sich in zumeist unsicherer Selbständigkeit. Viele zwingen sich zu einer Arbeit, auf die sie keine Lust haben. Dennoch kündigen sie nicht, aus Angst vor der Demütigung, die mit dem Bezug von Hartz 4 einhergeht.
Nicht Wenige werden unter diesem Druck krank. Glaubt man einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung von 2015, erreichen 18 Prozent die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit, 23 Prozent lassen die regulären Pausen einfach ausfallen. Jeder Achte erscheint krank im Unternehmen. Bei 42 Prozent ist das Arbeitsumfeld durch steigende Leistungs- und Ertragsziele geprägt. Mehr als die Hälfte der Beschäftigen glaubt, die Arbeitsmenge selbst nicht beeinflussen zu können. Jeder Dritte weiß nicht mehr, wie er die wachsenden Ansprüche im Betrieb bewältigen soll.
Grundeinkommen anstelle von Sozialleistungen
Eine mögliche Antwort auf diese Probleme ist das „bedingungslose Grundeinkommen“ (BGE). Die häufigste Kritik an diesem Ansatz zielt auf die Finanzierbarkeit. Dabei gibt es dazu verschiedenste Ansätze – zum Beispiel die Besteuerung des Bruttoeinkommens. Alle „normal“ Verdienenden bekommen ein Grundeinkommen, müssen aber auch weiter Steuern zahlen. Die Höhe richtet sich nach ihren Einnahmen. Das Grundeinkommen ist so gesehen ein Steuerfreibetrag in Höhe des Existenzminimums. Je höher es ist, umso höher müssen die Steuersätze sein, um es finanzieren zu können. (1)
Für eine schrittweise Einführung des Grundeinkommens spricht sich Ralph Boes aus, der sich seit Jahren für die Würde und Rechte der Menschen in Jobcentern einsetzt. Er vertritt die Auffassung, dass das BGE keinen Cent koste. Allerdings nur dann, wenn nicht der ganze Betrag auf einmal ausgezahlt werde. Dann, so seine Befürchtung, stünden die Unternehmen still, die Geschäfte wären geschlossen, denn niemand ginge mehr zur Arbeit. (2) Statt dessen, so sein Vorschlag, sollen zunächst jedem 200 Euro ausgezahlt werden. Dieser Betrag würde dann schrittweise um jeweils 200 Euro aufgestockt. Denn 200 Euro sind bereits in Kindergeld, Bafög, Rente, Arbeitslosengeld und Lohnsteuerfreibetrag enthalten. Auch 400,- € wären in diesen Leistungen enthalten, außer im Kindergeld. Wohngeld dürfe oben drauf beantragt werden, allerdings frei von der Bedingung, arbeiten zu müssen. Dafür fallen aber die für Kindergeld zuständigen Behörden und Gehälter weg. Bei 600 Euro würden die Sozialversicherungsbeiträge mit angerechnet. 12.500 Euro pro Person zahlt der Staat jährlich an Sozialleistungen. Das BGE kostet den Staat nur 12.000 Euro pro Person und Jahr. (3)
Der aufgeblähte Apparat zur Verwaltung von Millionen Arbeitslosen würde sich in eine effiziente, überschaubare Behörde verwandeln, die, wenn überhaupt, nur noch die Hälfte kostet. Idealerweise würden die zuständigen Sachbearbeiter ihre Kunden mit Respekt behandeln.
Nun gibt es Menschen, die weder Bafög, Rente, ALG, Grundsicherung, Kindergeld noch ein festes Gehalt beziehen. Kleinstunternehmen und Selbständige bekommen keine staatliche Unterstützung. Tausende Menschen sind obdachlos, nicht zu vergessen die Menschen, die in Gefängnissen leben. Für sie müsste das Grundeinkommen durch die wegfallenden Leistungen der anderen mitfinanziert werden.
Versenkte Subventionen
Unsere Wirtschaft wird zum Teil mit Millionenbeträgen bezuschusst. Zum Beispiel die Subventionen zum Erhalt von Arbeitsplätzen: So werden häufig bis zu 10.000 Euro in einen Job investiert, der gerade mal 1000 Euro Lohn einbringt. Dasselbe gilt für veraltete Industriezweige wie die Kohleindustrie oder die Rüstungs-, Auto- und Agrarindustrie. Würden die Subventionen in ineffiziente, umweltschädliche Industriezweige gestrichen, käme eine Menge Geld für ein Grundeinkommen zusammen. Direkt an jeden Einzelnen ausgezahlt, wäre der Nutzen für die Wirtschaft schon deshalb von Bedeutung, weil mit dem ausgezahlten Geld neue Kaufkraft und Nachfrage entstünde.
Besonders schwer mit dem Grundeinkommen tun sich Menschen, die noch das so genannte Wirtschaftswunder miterlebt haben. Als alle die Ärmel hochkrempelten und Deutschland wieder aufbauten, wuchs die Wirtschaft gewaltig. Es gab zu viel Arbeit und zu wenig Arbeitskräfte. Man schuftete von früh bis spät und legte das hart erarbeitete Geld auf die hohe Kante – um sich ein Haus zu bauen und einen Volkswagen zu kaufen. Wer viel arbeitete, galt als fleißig und genoss ein hohes Maß an sozialer Anerkennung. Aber gilt das noch heute, in einer Zeit, in der es immer weniger bezahlte Arbeitsplätze gibt?
Wer längere Zeit zu Hause war wegen Krankheit, weiß, wie sehr Nichtstun nerven kann. Wer nicht dazu gezwungen ist, sucht sich irgendwann eine Beschäftigung. Ob Garten- oder Handarbeit, Nachbarschaftshilfe, Basteln an der Wohnungseinrichtung oder im Hobby-Keller – Arbeit gibt es genug. Auch in gemeinnützigen Vereinen wie zum Beispiel in Tierheimen fehlt es häufig an Mitarbeitern. Oder die vielen Ehrenamtlichen, die in Deutschland ankommende Flüchtlinge mit dem Nötigsten versorgen. Sie alle erledigen absolut notwendige Arbeit. Bezahlt wird sie allerdings nicht.
Schweizer Abstimmung zum Grundeinkommen steht bevor
In Finnland hat die Arbeitslosigkeit bereits die Zehn-Prozent-Marke erreicht. Hier plant die Regierung, in den nächsten Jahren experimentell ein Grundeinkommen einzuführen. Die Schweizer wollen in diesem Sommer über ein Grundeinkommen abstimmen. (4) Hierzulande können 23 Menschen, denen dank Crowdfunding je ein Jahr lang jeden Monat 1000 Euro ausgezahlt wurde, über erste Erfahrungen mit einem Grundeinkommen berichten. (5)
Natürlich sind noch eine Menge Fragen offen: Wie hoch liegt das so genannte Existenzminimum? Alle Fixkosten wie Miete, Strom, Wasser, Telefon und Lebensmittel sollten mit drin sein. Unberücksichtigt blieb bisher auch die wachsende Zahl von Asylsuchenden in Deutschland. Ein Teil ist anerkannt, andere stecken im Asylverfahren, viele bekommen Sozialleistungen. Wer von diesen Menschen soll BGE erhalten, wer nicht? Und werden die Ausgeklammerten weiter im Niedriglohnsektor ausgebeutet?
Doch eins ist schon heute klar: Hätten alle Menschen ein Dach über dem Kopf und könnten sich genug Kleidung und Nahrung kaufen, wäre ein wichtiges Ziel erreicht. Das Geld dafür ist da. Es muss nur entsprechend verteilt werden.
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Anmerkungen
(1) www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/debatte-ueber-deutschen-sozialstaat-gleiches-geld-fuer-alle-a-679461.html
(2) http://ralph-boes.de/Aktion.htm
(3) Interwiev mit Ralph Boes (2015): https://www.youtube.com/watch?v=Z8p0H8RvkBw
(4) www.sueddeutsche.de/wirtschaft/finnland-alles-gute-kommt-von-norden-1.2537447 Hierzulande können bereits
www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/grundeinkommen-was-sich-2016-in-der-schweiz-und-finnland-entscheiden-wird-a-1069076.html
(5) www.deutschlandradiokultur.de/praxistest-ein-jahr-bedingungsloses-grundeinkommen.1076.de.html?dram:article_id=341377