Reformen

Ein Armutszeugnis

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von SUSANN WITT-STAHL, 22. März 2013 –

Eine Studie der Bundesbank befördert eine Überraschung zutage. Das durchschnittliche Privatvermögen der Deutschen ist erheblich kleiner als das der Bürger anderer westlicher EU-Nationen. Das gilt sogar für die Krisenländer Spanien und Italien.

Ein deutscher Durchschnittshaushalt hat laut der Bundesbank-Studie ein Bruttovermögen von 67.900 Euro. Abzüglich der Schulden bleibt ein Nettovermögen von 51.400 Euro, wie die Deutsche Bundesbank gestern bei der Präsentation ihrer Studie  Private Haushalte und ihre Finanzen in Eltville berichtete. Das Durchschnittsvermögen der reichsten zehn Prozent, die 59, 2 Prozent des Nettovermögens besitzen, liegt mit brutto 440.000 Euro und netto 195.200 Euro sehr deutlich höher. 73 Prozent der Deutschen hingegen haben mittlerweile ein „unterdurchschnittliches“ Nettovermögen. Die Mittelschicht dünnt also erheblich nach unten aus.

Für die Studie wurden 2010 und 2011 Interviews mit 3.565 Haushalten geführt. Die Daten umfassen die Vermögen der Haushalte, die privaten Rentenansprüche, die Spartätigkeit und das Einkommen. Die Ansprüche aus der gesetzlichen Sozialversicherung sind nicht einkalkuliert.

Hauseigentümer sind viel reicher als Haushalte ohne Wohneigentum: „Der Medianwert des Nettovermögens von Eigentümern einer entschuldeten Immobilie liegt in Deutschland bei 255.600 Euro. Bei Eigentümern einer hypothekarisch belasteten Immobilie ergibt sich ein Medianwert von 160.200 Euro. Bei Mieterhaushalten sind es nur 10.300 Euro“, berichtet die Notenbank. Der sogenannte Median oder Zentralwert ist ein Mittelwert für Verteilungen in den Statistiken. Der Median einer Anzahl von Werten ist der, welcher an der mittleren Stelle steht, wenn man die Werte nach Größe sortiert (im Vergleich zum arithmetischen Mittel, auch Durchschnitt genannt, ist der Median stabiler gegenüber sogenannten Ausreißern, also extrem abweichenden Werten).

Interessant ist, dass das mittlere Nettovermögen der Deutschen im europäischen Vergleich miserabel ausfällt. In Frankreich beträgt es 113.500 Euro pro Haushalt, in den von der großen Krise geschüttelten Ländern Spanien erstaunliche 178.300 und in Italien 163.900 Euro.

Der Grund für den mehr als bescheidenen Vermögenswert im reichen Deutschland ist die extrem niedrige Eigenheim-Quote. Von den Deutschen besitzen nur 44,2 Prozent ein Haus oder eine Wohnung. In Frankreich sind es 57,9 Prozent, in Italien 68,4 Prozent und in Spanien sogar 82,7 Prozent, im Vergleich mit Deutschland also fast die doppelte Anzahl.

Die Studie gehört zu einem Projekt, an dem sich alle 17 nationalen Notenbanken des Eurosystems beteiligen. Die Gesamtergebnisse wurden noch nicht veröffentlicht, obwohl bereits alle Daten vorliegen sollen. „In Notenbankkreisen wird geargwöhnt, die brisanten Daten sollten unter Verschluss gehalten werden, bis das Stabilisierungsprogramm für Zypern in trockenen Tüchern sei“, berichtet die FAZ. „Auch die Bundesbank scheint sich der Brisanz der Daten über die Ungleichverteilung der Vermögen bewusst zu sein. Daten etwa aus Zypern oder Portugal sind gar nicht Teil der Analyse.“

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Die Statistiker gaben sich redlich Mühe, Erklärungen für die Verarmung der Mittel- und Unterschicht anzubieten, die möglichst wenig Sprengstoff liefern für die derzeit anwachsenden Umverteilungsdebatten. „Wer ein Haus besitze, unterwerfe sich einer Art Zwangssparen und baue früher und mehr Vermögen auf, lautet vereinfacht beschrieben die Botschaft der Bundesbank“, paraphrasiert die FAZ eine der wenig überzeugenden Erklärungen der Bundesbank-Statistiker.

Über mögliche Ursachen der Tatsache, dass nur so wenige Deutsche eine Immobilie besitzen, verlieren sie kein Wort. Die Möglichkeit, dass die drastische Deregulierung des Arbeitsmarktes durch die Agenda 2010 und die unweigerlichen Folgen, nämlich eine dramatische Absenkung der Löhne,  mit dem schwindenden Vermögen zu tun haben könnten, wird lieber gar nicht erst in Erwägung gezogen. Betrachtet man die Reallohnentwicklung in dem Zeitraum seit Durchsetzung der Agenda 2010, dann wird deutlich, dass sich für die vergangene Dekade die rot-grüne und dann die schwarz gelbe Regierung des reichen Deutschlands selbst ein Armutszeugnis ausgestellt haben: Die deutschen Arbeitnehmer haben nämlich als einzige in der Europäischen Union einen Reallohn-Verlust – in der Zeit von 2000 bis 2008 waren es minus 0,8 Prozent – hinnehmen müssen.  In Frankreich hingegen stiegen die Löhne um 9,6 Prozent, in Italien um 7,5 Prozent und in Spanien immerhin noch um 4,6 Prozent.

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