Privatisierung

Medikamenten-Mafia

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von IGNACIO RAMONET, 7. September 2009 –

Der Fall wurde von nur sehr wenigen Medien aufgegriffen. Die öffentliche Meinung bekam von dem Thema kaum etwas mit. Dennoch sind die beunruhigenden Ergebnisse des Abschlussberichtes der EU-Kommission vom 8. Juli über Wettbewerbsverstöße in der Pharmaindustrie es wert, weit verbreitet und diskutiert zu werden. (1)

Was steht in diesem Bericht? Die zentrale Nachricht lautet: Im Handel mit Medikamenten funktioniert der Wettbewerb nicht und die großen Pharmakonzerne bedienen sich aller denkbaren schmutzigen Tricks, um die Marktzulassung von effektiveren Arzneimitteln zu verhindern und um die viel preisgünstigeren generischen Heilmittel zu diskreditieren. In Folge dessen entsteht durch den erschwerten Zugang der Menschen zu Generika ein immenser finanzieller Schaden – nicht nur für die Bedürftigen, sondern auch für die von ihren Mitgliedern getragenen staatlichen Sozialsysteme. Dieser forcierte Niedergang der Systeme dient dann als zusätzliches Argument für die Privatisierung dieser Sozial- und Gesundheitssysteme, indem sie als Milliardengräber im Staatsapparat dargestellt werden.

Generika sind Medikamente, die in Bezug auf ihre Wirkstoffe, die Dosierung, Herstellungsart, Sicherheit und Effizienz bis ins Detail jenen Originalpräparaten gleichen, die exklusiv von den großen Pharmamonopolen hergestellt werden. Das exklusive Nutzungsrecht und der Patentschutz für diese Originalpräparate laufen nach rund zehn Jahren aus. Nach dieser Frist haben andere Hersteller das Recht, die sogenannten Generika, also Nachahmerpräparate, herzustellen, die im Schnitt 40 Prozent günstiger sind. Sowohl die Weltgesundheitsorganisation als auch die Mehrzahl der Regierungen der internationalen Gemeinschaft befürworten den Gebrauch dieser Präparate, weil sie aufgrund ihres geringeren Preises die Chancen auf eine Wahrung der Gesundheit aller Menschen in denjenigen Ländern gewährleisten, die von vermeidbaren Krankheiten heimgesucht werden. (2)

Ein Hauptinteresse der großen Pharmaproduzenten besteht folgerichtig darin, den Ablauf des Patentschutzes ihrer Originalmedikamente mit allen denkbaren Mitteln hinauszuzögern. Auf dem globalen Pharma-Markt geht es immerhin um 700 Milliarden Euro, von denen die „Big Pharma“ – Bayer, GlaxoSmithKline (GSK), Merck, Novartis, Pfizer, Roche, Sanofi-Aventis – immerhin die Hälfte kontrollieren. (3) Ihre Profite übersteigen sogar noch jene der mächtigen Konzerne des militärisch-industriellen Komplexes. Für jeden Euro, der in die Entwicklung eines Markenmedikaments gesteckt wird, verdienen die Monopole auf dem Pharmamarkt eintausend Euro. (4)  Und drei dieser Unternehmen – GSK, Novartis und Sanofi-Aventis – rechnen mit Einkünften von mehreren Milliarden Euro durch Massenimpfungen gegen das neue Grippevirus A(H1N1). (4)

Diese gigantischen Geldmengen geben den „Big Pharma“ eine beeindruckende finanzielle Macht. Diese Macht wird vor allem dazu genutzt, über zahlreiche millionenschwere Gerichtsverfahren die Hersteller von Generika zu ruinieren. Die zahlreichen Lobbygruppen üben einen permanenten Druck auf die Europäische Patentbehörde mit Sitz in München aus, um die Zulassung von Generika für den europäischen Markt zu verhindern. Zudem organisieren sie Lügenkampagnen über diese wirkstoffgleichen Medikamente, um die Patienten abzuschrecken. Nach dem jüngsten Bericht der Europäischen Kommission müssen die Patienten in der EU wegen all dieser Hürden im Schnitt sieben Monate länger als notwendig auf die günstigen Generika warten. In Folge dessen seien allein in den vergangenen fünf Jahren für die Konsumenten unnötige Mehrkosten in Höhe von drei Milliarden Euro entstanden, bei den öffentlichen Gesundheitssystemen seien Aufwendungen in Höhe von 20 Prozent der Gesamtbudgets nötig geworden.

Die Offensive der pharmazeutisch-industriellen Monopole kennt keine Grenzen. Sie sind offenbar auch in den jüngsten Staatsstreich gegen den Präsidenten von Honduras, Manuel Zelaya, verwickelt. Das mittelamerikanische Land importiert all seine Arzneimittel, in der Mehrzahl Produkte der „Big Pharma“. Seit Honduras im August 2008 Mitglied in der Bolivarischen Allianz für Amerika (ALBA) wurde, ist Manuel Zelaya aber in Verhandlungen mit Havanna über den Import kubanischer Generika getreten. Auf diese Weise sollten die Ausgaben der öffentlichen Kliniken des Landes gemindert werden. Auf dem Gipfeltreffen der ALBA-Präsidenten am vergangenen 24. Juni hat er zudem eine „Überprüfung der Doktrin des industriellen Eigentums“ (5)angekündigt, was auch die Unantastbarkeit der Medikamentenpatente betroffen hätte. Weil diese beiden Projekte direkt die Interessen der transnationalen Pharmakonsortien beeinträchtigten, haben sie die putschistische Bewegung unterstützt, die am 28. Juni den Sturz des gewählten Staatschefs erreicht hat. (6)

Aber auch Barack Obama hat den Zorn des pharmazeutisch-industriellen Komplexes auf sich gezogen, weil er versucht, das US-amerikanische Gesundheitssystem zu reformieren, das derzeit 47 Millionen Bürger dieses Landes außen vor lässt. Hier stehen gigantische Summen auf dem Spiel, denn die die Gesundheitsausgaben in den USA machen 18 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Die handfesten privatwirtschaftlichen Interessen werden nicht nur von den „Big Pharma“ verteidigt, sondern auch von den großen Versicherungsgesellschaften und den privaten Kliniken. Niemand dieser Akteure will seine üppigen Privilegien verlieren. Mit Hilfe der großen konservativen Medienanstalten und der Republikanischen Partei befinden sich diese Gegner einer dringend notwendigen Reform des US-Gesundheitssystems derzeit inmitten einer massiven Desinformations- und Diffamierungskampagne, in die Dutzende Millionen US-Dollar gesteckt werden.

Es ist ein entscheidender Kampf. Und es wäre dramatisch, wenn die Medikamenten-Mafia daraus als Sieger hervorginge. Denn in diesem Fall würden sie in Europa und weltweit ihre Angriffe auf eine flächendeckende Generika-Versorgung und damit auf ein günstigeres und solidarischeres Gesundheitssystem um ein Vielfaches verstärken.

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Übersetzung: Harald Neuber

Quellen und Anmerkungen:

(1) http://ec.europa.eu/comm/competition/sectors/pharmaceuticals/inquiry/index.html
(2)  Man muss an dieser Stelle daran erinnern, dass 90 Prozent der Ausgaben der Pharmaindustrie in die Entwicklung von neuen Arzneimitteln für „Wohlstandskrankheiten“ fließen, unter denen nur zehn Prozent der Weltbevölkerung leiden.
(3)  Laut Intercontinental Marketing Service (IMS) Health, 19. März 2009.
(4)  Machado, Carlos: La mafia farmaceútica. Peor el remedio que la enfermedad, 5. März 2007. Unter: http://www.ecoportal.net/content/view/full/67184 (01.09.2009)
(5)  Ramonet, Ignacio: A(H1N1) – die große Bedrohung. In: Hintergrund.de, 11. Juni 2009: Unter: http://www.hintergrund.de/20090611409/politik/welt/ah1n1-–-die-große-bedrohung.html (01.09.2009)
(6)  Laut Angaben des Observatorio Social Centroamericano vom 29. Juni 2009.

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