Integration

Mehr als Messer + Multikulti

Von den Schwierigkeiten der Integration. Oder: ein Workshop über die Arbeitswelt, für den sich keine der Münchner Redaktionen interessiert hat.

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Workshop-Teilnehmer, Foto: Axel Klopprogge (ganz links)
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Dieser Text erschien zuerst bei der Freien Akademie für Medien & Journalismus

Oktober 2015. Die Flüchtlingswelle beherrscht die Nachrichten. Der Goinger Kreis, in dem Personalmanager an Themen zwischen Unternehmen und Gesellschaft arbeiten, trifft sich bei der Carl Zeiss AG in Oberkochen. Auf der Tagesordnung stehen diesmal auch rechtliche Fragen von Aufenthaltsstatus und Arbeitserlaubnis für Geflüchtete. Abends tritt zu einer Art Dinner-Speech Roland Herzog, stellvertretender Leiter der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen auf. Herzog berichtet ungeschminkt von den Zuständen in dem ehemaligen Kasernengelände. Gedacht war die Einrichtung für 500 bis 1.000 Menschen. Jetzt sind dort 4.500. Deutlich wird gleichzeitig das Engagement der Mitarbeiter, die freiwillig ihre Amtsstube gegen diesen Abenteuereinsatz getauscht hatten. Die üblicherweise mit Vorurteilen gegenüber Staatsbediensteten ausgestatteten Manager sind nicht nur aufgewühlt. Es ist auch eine Lehrstunde darüber, auf was sich deutsche Beamte einlassen und mit welcher unternehmerischen Haltung sie dies tun – wenn man sie lässt.

Noch in derselben Nacht an der Hotelbar beschließen Mitglieder des Goinger Kreises, eine Arbeitsgruppe zur Arbeitsintegration von Geflüchteten aufzusetzen. In der Folgezeit wird dieses bisher völlig unbeackerte Feld untersucht und zum Beispiel ein Leitfaden für kleinere Unternehmen entwickelt. Immer wieder kehrt der Goinger Kreis zu diesem Thema zurück. Im März 2024 gibt es zur Vorbereitung des Buches „Liebeserklärung an die Arbeit“ einen Workshop mit afrikanischen Flüchtlingen sowie ihren Arbeitgebern und Helfern. Die Dokumentation wird im Folgenden unverändert aus dem Buch übernommen.

Obwohl der Workshop ein Dreivierteljahr zurückliegt, ist sein Inhalt aktueller denn je. Flucht und Migration sind kein Jubelthema. Dies beginnt beim Anlass: Egal ob aus Syrien, aus der Ukraine oder aus afrikanischen Ländern – Millionen Menschen verlassen ihre Heimat nicht aus Lust und Laune. Auf der Flucht selbst gibt es traumatische Erlebnisse zuhauf. Ebenso stellt Migration eine große Belastung vor allem auch für die Kommunen dar, wo das Handling jenseits aller Sonntagsreden auf Bundesebene landet: Schulen, Wohnsituation, Sozialsysteme, unbegleitete und minderjährige Kinder und vieles mehr, auf das niemand vorbereitet war. Und es gab schreckliche Vorfälle, die gerade in den letzten Wochen die Gemüter bewegten.

An all diesem gibt es nichts zu beschönigen oder zu verniedlichen – weder in die eine noch in die andere Richtung. Aber das Bild wäre unvollständig, wenn man nicht einen Blick auf die Geflüchteten werfen würde, die tatsächlich den Weg in die Arbeit gefunden haben. Auf die absurden Hürden, die sie auf diesem Weg zu überwinden hatten. Und last but not least: Wie in der Erstaufnahmeeinrichtung erlaubt die Dokumentation auch einen Blick auf die Menschen, die nicht nur 2015 an den Bahnhöfen Fähnchen geschwenkt haben, sondern seit zehn Jahren als Arbeitgeber und ehrenamtliche Helfer in der Arbeitsintegration engagiert sind. Und auch das gehört zum Bild: Den Medien wurde angetragen, über die ebenso so ungeschminkten wie ermutigenden Ergebnisse zu berichten. Keine der Redaktionen im Münchner Raum hat das Angebot aufgegriffen – auch nicht die, die sonst immer die Flüchtlingsfahne schwingen. Offenbar gibt es kein Interesse an differenzierten Realitäten zwischen Horrormeldungen über Messerstecher und unverbindlicher „Wir-schaffen-das“-Rhetorik.

„Früh aufstehen zu müssen, ist ein gutes Gefühl, wenn man lange nicht arbeiten durfte.“

Ein Gespräch mit Flüchtlingen, ihren Arbeitgebern und Helfern über erfolgreiche Arbeitsintegration und ihre Hindernisse.

„Ich freue mich, dass wir heute nicht nur über das motzen, was nicht gut läuft, sondern dass wir das herausstellen und feiern, was gelungen ist.“ Dieser Satz der Landtagsabgeordneten Claudia Köhler könnte als Motto über einer bunten Runde stehen, die im März 2024 in Unterhaching zu einem Erfahrungsaustausch zusammenkommt. Es sind Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern, die Arbeitgeber, bei denen sie beschäftigt sind, sowie ehrenamtliche Helfer, darunter eben Claudia Köhler, die sich seit vielen Jahren in der Arbeitsintegration von Flüchtlingen engagiert. Initiiert wurde die Veranstaltung vom Goinger Kreis und von Frau Köhler, die auch ihre Kontakte spielen ließ. Gastgeber war die in Unterhaching ansässige KWA Kuratorium Wohnen im Alter gAG, die nicht nur durch eine örtliche Einrichtungsleitung und einen beschäftigten Flüchtling, sondern auch durch den Vorstandsvorsitzenden vertreten war.

Der Goinger Kreis, in dem vorwiegend größere Unternehmen aus ganz Deutschland organisiert sind, ist mit dem Thema der Arbeitsintegration von Flüchtlingen seit 2015 verbunden. Es wurden wissenschaftliche Untersuchungen angestellt und zum Beispiel ein Leitfaden entwickelt, wie besonders kleinere Unternehmen die Auswahl und Integration erfolgreich gestalten können. Inzwischen sind fast zehn Jahre vergangen und deshalb soll die Frage anders gestellt werden: Der Erfahrungsaustausch sollte nicht den Schwierigkeiten der Flucht, nicht den Schwierigkeiten mit der Arbeitssuche gewidmet sein. Zwar lassen sich die Schwierigkeiten mit dem Aufenthaltsstatus nicht ausklammern, aber Hauptgegenstand war die Frage, was die Arbeit mit den Geflüchteten gemacht hat, wie sie ihr Selbstverständnis und ihre Rolle in der Gesellschaft, die jetzt ihr Zuhause ist, verändert hat. Eine Arbeit, die nicht unbedingt ihrem Beruf in ihrem früheren Leben entspricht.

Eine bunte Runde zum Thema Arbeitsintegration

In der Runde finden sich von der Klüber Lubrication München GmbH & Co. KG der Mitarbeiter Richard Ssettimba, sein Vorgesetzter Reiner Spallek und der zuständige Personalmanager Daniel Hintz. Von der KWA gAG, die in Deutschland Wohnstifte, Rehakliniken und Pflegeschulen betreibt, sind Lamin Drameh, die Leiterin des Unterhachinger Wohnstiftes am Parksee, Alexandra Kurka-Wöbking, und der Vorstandsvorsitzende Dr. Johannes Rückert dabei. Vom Evangelischen Kindergarten Arche nehmen Zaid Berhane und die Leiterin Veronika Haas Mayer teil. Von der Naturkost Strohmaier GmbH, die Kindergärten und Krippen mit Biokost beliefert, sind Chidi Ojeh und die Geschäftsführerin Yasemin Weidemeier gekommen. Die engagierten Helfer sind vertreten durch Annette Lang-Edte von HR Interim Management & Consulting, Robert Kratzer von Social-Bee gemeinnützige GmbH, die sich darum bemüht, Flüchtlinge in Arbeit zu bringen und beim Integrationsprozess zu betreuen, und last but not least Claudia Köhler, MdL des Freistaates Bayern. Blicken wir zunächst genauer auf die Arbeitsgeschichte der Flüchtlinge.

Richard Ssettimba stammt aus Uganda. Er brachte einen international anerkannten Bachelor of Science als Chemiker mit. Inzwischen hat er in Deutschland einen weiteren Hochschulabschluss in Maschinenbau erworben. Er verfügt über ein Sprachniveau auf dem Niveau C1. Er reiste 2015 nach Deutschland ein. Bis zur ersten Arbeitsaufnahme dauerte es ungefähr fünf Monate. Seinen Aufenthaltstitel besitzt er seit 2021

Lamin Drameh stammt aus Sierra Leone. In seinem Heimatland hatte er den Beruf des Zimmermanns erlernt. Auch er ist seit 2015 in Deutschland und hatte nach einem halben Jahr Arbeit bei einer Dachdeckerfirma gefunden. Danach arbeitete er zunächst in einer Kaffeemaschinenfabrik, dann in einem großen Hotel, seit sieben Jahren schließlich im KWA Wohnstift am Parksee als Küchenhelfer. Seinen Aufenthaltstitel erlangte er 2023.

Chidi Ojeh kam im November 2015 aus Nigeria nach Deutschland. Nach rund fünf Monaten trat er seine erste Arbeit bei einem Feinkosthersteller an, wo er drei Jahre blieb. Seit fünf Jahren arbeitet er nun bei Strohmaier in der Produktion und Auslieferung und unterstützt direkt die Geschäftsführung. Im August 2023 erhielt er seinen Aufenthaltsstatus.

Zaid Berhane aus Eritrea kam bereits im September 2014 nach Deutschland. Nach neun Monaten fand sie ihre erste Arbeit in einem großen Hotel, wo sie drei Jahre blieb. In Eritrea war sie Lehrerin und wollte auch in Deutschland als Pädagogin arbeiten. Dies war nicht nur an die Anerkennung von Abschlüssen, sondern auch an das Sprachniveau B2 gebunden. Nach großem Einsatz fürs Sprachenlernen arbeitet sie seit fünf Jahren als anerkannte Kinderpflegerin. Im Herbst 2023 erhielt sie die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die Unternehmen waren bereit

Überraschend sind die kurzen Fristen, innerhalb derer die Flüchtlinge ihre erste Arbeit gefunden hatten – kaum mehr, als es die damalige Karenzzeit überhaupt zuließ. Nach der Erfahrung von Social Bee Geschäftsführer Robert Kratzer ist das nicht der Normalfall: „Oft dauert der Eintritt in ein Arbeitsverhältnis mehrere Jahre, in Berlin noch länger.“

Das kleinste Problem bestand überraschenderweise darin, Arbeitgeber zu finden. Claudia Köhler erinnert sich, wie sich dem Helferkreis, der sich zunächst um die Ankunft der Flüchtlinge gekümmert hatte, nach Ablauf der Karenzzeit plötzlich die Frage der Arbeitsintegration stellte. Die Helfer sahen jeden Tag, was es mit Menschen macht, ohne Struktur und Perspektive in den Gemeinschaftsunterkünften herumzuhängen. Zunächst bestand jedoch eine gewisse Scheu, da keiner der Helfer wusste, ob es überhaupt interessierte Firmen gab. Claudia Köhler ergriff die Initiative: „Aus meiner Zeit im Anzeigenverkauf bin ich Kaltakquise gewohnt und habe einfach mal Firmen in der Region angesprochen.“ Die positive Überraschung: Die meist kleineren Unternehmen waren offen für einen Versuch. Firmen wie Pflanzen Kölle sagten einfach: „Warum nicht? Kommen Sie halt mal vorbei.“ Hemdsärmelig – „Who needs a job?“ – fand man interessierte Flüchtlinge in den Gemeinschaftsunterkünften, bastelte Lebensläufe am mitgebrachten Computer. Niemand in den Unternehmen störte sich an Formfehlern oder fehlenden Fotos. Zehn Flüchtlinge waren in der engeren Wahl. Innerhalb kürzester Zeit wurden fünf oder sechs Flüchtlinge eingestellt.

Auch wenn der Helferkreis den Firmen viel Papierkram abnahm, bedeutete die Einstellung durchaus Neuland für die Unternehmen. Zeugnisse und Berufsabschlüsse gab es nicht in der gewohnten Weise. Nicht immer konnte man sich auf einen international anerkannten Abschluss stützen wie den Bachelor of Science in Chemie bei Richard Ssettimba, der schließlich auch im erlernten Beruf arbeiten konnte. Lamin Drameh hatte Zimmermann gelernt, arbeitet aber heute in der Küche bei KWA. Und allenthalben mangelte es anfangs an Sprachkenntnissen. Dennoch hatten alle im Workshop anwesenden Flüchtlinge nach sechs bis neun Monaten Arbeit gefunden. Manchmal wechselten sie den Job, bis es passte, aber bei den heutigen Arbeitgebern sind sie seit vielen Jahren tätig.

Mit dem erfolgreichen Start beginnt der Albtraum

Leider ist die Geschichte mit diesem erfolgreichen Start nicht zu Ende, sondern fängt erst an. Dass die Flüchtlinge unserer Runde in gewisser Weise Vorzeige-Biografien repräsentieren, ändert nichts daran, dass sie in den Jahren wahre Albträume durchleben mussten.

Dies beginnt mit dem Verhältnis von Arbeit und Aufenthaltserlaubnis. Ohne Duldung gibt es keine Arbeit. Aber ohne Arbeit ist auch das Bleiberecht gefährdet. Aber warum sollte ein Arbeitgeber jemanden einstellen, von dem er nicht weiß, ob er bleiben kann? Wenn man diesen Teufelskreis durchbrechen will, müssen die Arbeitgeber sich auf ein unkalkulierbares Risiko einlassen. Damit jemand eine Arbeitserlaubnis bekommt, müssen die Arbeitgeber jemanden einstellen, von dem sie nicht wissen, ob er einen belastbaren Aufenthaltstitel erhält, ob seine Abschlüsse anerkannt werden, ob er das notwendige Sprachniveau erreicht – ja, wie bei jedem Einheimischen auch: ob es einfach menschlich passt.

Alle in der Runde sind sich einig, dass die beste Möglichkeit in einem oder mehreren Probearbeitstagen bestünde. Nicht um zu sehen, ob der Kandidat die Arbeit schon perfekt beherrscht, sondern einfach, wie er sich anstellt, ob er die Arbeit sieht, ob er Empathie entwickeln kann. Und natürlich kann sich auch der Flüchtling eine Meinung bilden, ob Firma, Arbeit und Team zu ihm passen. So logisch die Lösung erscheint und so sehr sie allen Beteiligten helfen würde, so unmöglich ist sie in der Realität. Wie Personalmanager Daniel Hintz und alle anderen erläutern, ist die Erprobung der Arbeitsleistung der Geflüchteten nur schwer möglich, da ein Probearbeitsverhältnis bereits eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis erfordern würde. Wenn man einen Schritt in Richtung dieses lebensnahen Kennenlernens machen will, muss man es „Einfühlungsverhältnis“ nennen und dafür sorgen, dass der Flüchtling nicht in die realen Arbeitsabläufe integriert wird. Robert Kratzer von Social Bee erläutert, dass er eine Konzession zur Arbeitnehmerüberlassung erworben hat, um über Leiharbeit solche Probearbeitstage zu ermöglichen.

Fast jeder der anwesenden Flüchtlinge war von Abschiebung bedroht, wurde ohne Vorankündigung in der eigenen Wohnung abgeholt und in Gemeinschaftsunterkünfte zurückgebracht. Jeder hat absurde Geschichten im Umgang mit der Bürokratie erlebt. Oft genug konnte die Abschiebung erst im letzten Augenblick durch das Engagement des Helferkreises und der Arbeitgeber und durch engagierte Politiker verhindert werden. Und jeder der Flüchtlinge, jeder der Arbeitgeber und Helfer kennt Fälle, wo dies nicht gelang. Oft scheiterte es daran, dass man gar nicht erfuhr, was passierte – die Person war einfach weg. Bei Richard Ssettimba passte eigentlich alles wie aus dem Bilderbuch. Ein anerkannter Abschluss. Noch vervollständigt durch ein weiteres Studium in Maschinenbau. Sehr gute Deutschkenntnisse. Ein Arbeitgeber, der ihn genau in seinem Beruf einsetzen kann. Also das perfekte Vorzeigebeispiel? Auch für Ssettimba spielte sich eine Odyssee ständiger Bedrohung ab, die teilweise nur durch Intervention des Klüber-Konzernchefs abgewendet werden konnte. Durch eine Verwechselung stand die Polizei schon vor der Tür, um Chidi Ojeh in die Abschiebehaft zu bringen. Nur durch Intervention der Helfer und ihrer politischen Verbündeten wie etwa des Landrates Christoph Göbel konnte der Vorgang geklärt werden. Übrigens ein Bündnis der Engagierten, das problemlos über Parteigrenzen hinweg funktioniert – Claudia Köhler gehört den Grünen an, Landrat Göbel der CSU.

Die beschriebene Unsicherheit traf nicht nur den Flüchtling selbst, sondern auch die Arbeitgeber. Die Flüchtlinge waren längst in Arbeit, zahlten Steuern und Sozialabgaben. Und diese Arbeit war keine Beschäftigungstherapie. Die Flüchtlinge waren in zeitkritischen Kundenprojekten eingesetzt. Sie arbeiteten in Kindergärten oder Altenheimen, wo ohnehin Personalmangel herrscht. Sie fuhren Essen aus für Schulen und oder ältere Menschen, die darauf warteten. Und plötzlich und ohne Vorwarnung erschienen sie nicht zur Arbeit. Dies gilt auch in anderer Weise. Wenn ein Flüchtling seine Arbeitserlaubnis verliert, darf er ab sofort nicht mehr arbeiten. Der Arbeitgeber macht sich strafbar, wenn er ihn doch arbeiten lässt – aber meistens wird er gar nicht informiert.

Alle sind sich einig, dass Deutschkenntnisse unerlässlich sind. Lamin Drameh hatte sehr schnell eine Arbeit in seinem erlernten Beruf als Zimmermann bei einer Dachdeckerfirma gefunden – also theoretisch die Idealkonstellation. Es stellte sich jedoch heraus, dass es mangels Sprachkenntnissen einfach noch zu früh war für eine Arbeit, bei der man präzise Anweisungen verstehen musste und Missverständnisse auch zu gefährlichen Situationen führen können. Schon 2019 hatte Claudia Köhler im Interview darauf hingewiesen, dass sie als Ehrenamtliche nur solchen Flüchtlingen hilft, die Deutsch lernen. Und sie riet den Arbeitgebern, das auch den Flüchtlingen zuzumuten und nicht in guter Absicht ins Englisch zu wechseln, um es den Flüchtlingen vermeintlich leichter zu machen. Für Richard Ssettimba sind Deutschkenntnisse wegen des Kundenkontaktes unerlässlich. Im Kindergarten wie auch im Gesundheitsbereich darf man ohne ein definiertes Sprachniveau ohnehin nicht arbeiten. Wie Zaid Berhane schildert, war der Sprachunterricht eine hohe Belastung – nach einem Arbeitstag in Vollzeit noch drei Stunden Sprachkurs am anderen Ende der Stadt. Als sie jedoch die Stundenzahl reduzierte, reichte das Geld vorne und hinten nicht mehr. Und auch hier erlebte man bürokratische Absurditäten: Solange sie keine Arbeit hatte, wurde der Sprachkurs von der Arbeitsagentur bezahlt. Als sie im Kindergarten in eine Tätigkeit gelangt war, für die sie letztlich ein bestimmtes Sprachniveau nachweisen musste, wurde die Förderung mit der Begründung eingestellt, dass sie ja jetzt Arbeit gefunden habe.

Immer wieder legte die Arbeitsagentur aufgrund ihrer Vorgaben Steine in den Weg. Als Bedingung der Arbeitserlaubnis sollten ortsübliche Löhne gezahlt werden. Tatsächlich waren diese aber viel zu hoch angesetzt und hätten dazu geführt, dass den Flüchtlingen zwei Euro mehr gezahlt würden als den Mitarbeitern, die schon fünf Jahre dabei waren und gut Deutsch sprachen. Die Helfer berichten von einem jungen Flüchtling, der zweimal einen Ausbildungsplatz verlor, weil die Arbeitsgenehmigung nicht erteilt wurde. Herrn Ssettimba empfahl man, auszureisen und mit einem Visum (für qualifizierte Arbeitskräfte) wieder einzureisen. Er arbeitete jedoch schon längst in zeitkritischen Kundenprojekten. Frau Kurka-Wöbking ärgert sich:

Obwohl wir einen eklatanten Arbeitskräftemangel hatten und wir deshalb manchmal unser Haus nicht voll belegen konnten, verlangte die Arbeitsagentur einen Nachweis, dass es in der EU keinen anderen Bewerber gibt.

KWA-Chef Rückert pflichtet bei:

Das ganze Regelwerk atmet noch den Geist der Zeit, als man hohe Arbeitslosigkeit hatte und glaubte, die Flüchtlinge nehmen uns Arbeit weg. Gleichzeitig besteht der latente Vorwurf, dass die Flüchtlinge gar nicht arbeiten wollen. Beides passt nicht zusammen.

Claudia Köhler resümiert:

Wenn hunderttausende Menschen ohne Vorauswahl, ohne Sprachkenntnisse und ohne Vorbereitung auf deutscher Seite zu uns kommen, dann gibt es Probleme jeder Art. Diese Probleme sind für alle Beteiligten schwierig genug – für die Flüchtlinge selbst, für die Gemeinden, für die potenziellen Arbeitgeber und auch für die Menschen, die schon hier leben. Aber jeder versteht, wenn es hier knirscht und quietscht und manchmal auch robust zugeht. Schwer verständlich und oft genug unerträglich sind jedoch die hausgemachten Probleme. Die bürokratischen Auflagen. Die Willkür, wenn gerade die behelligt werden, die Arbeit gefunden haben. Die Widersprüche in den Genehmigungsverfahren. Wir haben in der Schule Carl Zuckmayers „Hauptmann von Köpenick“ gelesen und darüber gelästert, dass es im Kaiserreich eine Aufenthaltserlaubnis nur mit Arbeit und gleichzeitig eine Arbeit nur mit Aufenthaltsgenehmigung gab. Hat sich daran in den letzten hundert Jahren wirklich so wenig geändert?

Was Arbeit mit den Flüchtlingen macht

Die anwesenden Flüchtlinge wollten von Anfang an arbeiten. Selbst in den ersten Monaten in der Gemeinschaftsunterkunft, in denen ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt noch verwehrt war, hatten sie sich erfolgreich um die raren Helfer-Jobs in Küche, Wäscherei oder Reinigung beworben. Für diese Tätigkeiten erhält man einen Euro pro Stunde – bei öffentlichen und sozialen Einrichtungen sind solche Ein-Euro-Jobs möglich. „Ich bin nicht glücklich ohne Arbeit“, begründet Zaid Berhane ihren Eifer. Richard Ssettimba schildert seine Stimmung in den ersten Monaten nach der Einreise: „Bevor ich arbeiten konnte, hatte ich viel Zeit, in der ich fast nichts gemacht habe. Man langweilt sich und es gibt auch manchen Streit untereinander. Aber als ich mit der Arbeit angefangen habe, habe ich mich mehr konzentriert und mehr an die Zukunft gedacht und daran, wie ich mich weiterentwickeln könnte.“

In den Gemeinschaftsunterkünften führte es durchaus zu Problemen, dass die einen eine Anstellung gefunden und somit auch den strukturierten Tag eines Arbeitenden hatten, während die anderen noch ohne Arbeit waren. Zaid Berhane lebte mit einer anderen Frau aus Eritrea zusammen, die wegen mangelnder Sprachkenntnisse noch nicht arbeiten konnte. Sie schlief tagsüber und telefonierte nachts die ganze Zeit, obwohl eigentlich nach 22 Uhr Nachtruhe verordnet war. Das war nicht zu ertragen, wenn man acht Stunden arbeiten sollte und anschließend noch bis 21 Uhr einen Sprachkurs hatte. Lamin Drameh meinte, die Mitflüchtlinge aus Senegal hätten eine andere Kultur und fingen abends an zu musizieren und zu tanzen. Auch Richard Ssettimba hat die Situation erlebt, dass man selbst früh aufstehen muss, während die anderen den Tag verschlafen. Aber wer beneidet dann wen? Die Antwort Ssettimbas ist klar: „Früh aufstehen zu müssen, ist ein gutes Gefühl, wenn man lange nicht arbeiten durfte.“

Gab es den einen Moment, in dem man sich stolz, befreit oder angekommen fühlte? Der erste Arbeitstag, an dem man den Werksausweis bekommt? Das erste selbstverdiente Geld auf dem Konto? Wie wahrscheinlich jeder Arbeitnehmer in einer neuen Aufgabe erlebten die Flüchtlinge den Arbeitseintritt in den ersten Tagen und Wochen als fremd und verwirrend. Aber nach einigen Monaten hatten sie in die Arbeit hineingefunden. Nach dem einen oder anderen Stellenwechsel in der Anfangszeit sind alle sehr zufrieden und glücklich in ihren gegenwärtigen Aufgaben und Firmen. Dies gilt sowohl für die Tätigkeit als auch für die Teamumgebung, die eine große Rolle spielt. Das zeigt sich auch darin, dass sie seit fünf bis neun Jahren bei den heutigen Arbeitgebern geblieben sind. Allmählich gehen sie die nächsten Schritte zu einem normalen Leben. Sie haben eigene Wohnungen. Sie wollen unbedingt den Führerschein machen. Sie erweitern ihren Tätigkeitsbereich. Sie wollen sich weiterentwickeln und lernen. Sie gehen aus und hoffen auf eine Freundin.

Trotzdem ist die Frage nach dem „Angekommensein“ nicht so einfach. Die schwarze Wolke des Aufenthaltsstatus schwebt immer noch über ihnen. Nur für Frau Berhane hat sich der Himmel mit der deutschen Staatsbürgerschaft endgültig aufgeklart. Als Chidi Ojeh im vergangenen Jahr seinen Aufenthaltsstatus erhielt, lud Geschäftsführerin Yasemin Weidemeier alle 26 Mitarbeiter zu einem Fest in den Garten ein. Auch bei den anderen herrscht im Augenblick relative Ruhe. Aber sie wissen, dass das keine endgültige Entspannung und Sicherheit ist. Wenn man seine Arbeit verliert und dann nicht schnell etwas Neues findet, kann die Arbeitserlaubnis wegfallen. Und auch die relative Ruhe hat sich bei allen erst in den letzten Jahren eingestellt, also nicht nur nach vielen Jahren Aufenthalt, sondern auch nach vielen Jahren Arbeit und Steuerzahlen. Die Helferin Annette Lang-Edte weist darauf hin:

Unsicherheit beeinflusst auch die Arbeitsleistung. Es ist für Unternehmen schwer einzuschätzen: Wie leistungsfähig ist der Mitarbeiter mit Fluchthintergrund wirklich? Wie frei ist er? Alle, die ich betreut habe, haben sich über die Arbeit gefreut, haben sich über den Aufenthaltstitel gefreut, aber die Angst ist nicht weg. Das macht mich traurig, weil die Flüchtlinge sehen, was in Deutschland möglich ist, was engagierte fleißige Deutsche erreichen können. Sie strengen sich an, ihren Weg zu gehen. Wir machen Dinge möglich, aber wir blockieren auch.

Claudia Köhler wird noch deutlicher:

Es macht was mit den Menschen, wenn man zum Rumsitzen verdammt ist. Erst recht, wenn man wirklich in der Luft hängt. Allein das zu sehen, war für uns Helfer schlimm. Wie schlimm ist es dann für die Flüchtlinge, die es wirklich erleben. Manchmal hat man den Eindruck, man versucht Menschen zu brechen, die hier mitarbeiten wollen. Dabei gehört zu den Fakten, dass in der festen Unterkunft in Unterhaching fast alle, die arbeiten dürfen, auch in Arbeit sind. Und das hat positive Folgen: Die Polizei bei uns bestätigt, dass es eigentlich nie Probleme mit der Unterkunft gab. Daran hat die Arbeit einen großen Anteil.

Von der Arbeit zur Arbeitsgemeinschaft

Normalerweise laden sich Unternehmen mit guten Gründen nicht mehr auf als unbedingt erforderlich. Auch die Geschäftsführung von Klüber Lubrication hätte mit guten Gründen sagen können: „Herr Spallek, Herr Hintz, Ihr Engagement in Ehren, aber bitte suchen Sie für die Stelle jemanden, der weniger Probleme bereitet.“ Hat sie aber nicht, sondern im Gegenteil hat die Geschäftsführung in brenzligen Situationen ihr Gewicht als Arbeitgeber mit einer Milliarde Euro Umsatz in die Waagschale geworfen. Warum haben die Unternehmen sich auf all das Beschriebene eingelassen? Natürlich spielte und spielt der Arbeitskräftemangel eine Rolle – daraus macht in der Runde niemand ein Geheimnis. Natürlich haben die Arbeitgeber am Anfang nicht gewusst, wie mühevoll das alles wird. Yasemin Weidemeier erinnert sich: „Wir brauchten Leute und haben sie nicht gefunden. Wir wollten helfen. Und wir wussten nicht, was auf uns zukommt.“ Frau Kurka-Wöbking pflichtet bei: „Herr Drameh hatte schon gearbeitet und wir dachten: Dann ist ja alles prima.“

Aber auch das könnte zusammen mit dem Idealismus der Anfangszeit vielleicht den ersten Impuls erklären, nicht jedoch die Hartnäckigkeit und Geduld, mit der die Unternehmen und Einrichtungen über fast zehn Jahre dabeigeblieben sind. Es ist obendrein nicht immer so wie bei Richard Ssettimba, dass eine fertig vorhandene Qualifikation so nahtlos passt. Was die Unternehmen überzeugte und bis heute überzeugt, ist der unbedingte Arbeitswille, die Belastbarkeit trotz wirklich traumatischer Situationen – nicht nur auf der Flucht, sondern gerade nach der Ankunft hier. Der Wille, zu lernen und es auf jeden Fall zu schaffen. Diesen Willen spürt man auch in der gemütlichen und heiteren Gesprächsatmosphäre unserer Runde. Schon 2019 äußerte die Unterhachinger Firma Pflanzen Kölle: „Wir hatten immer Probleme mit unseren Arbeitskräften und eine schrecklich hohe Fluktuation. Jetzt mit den Geflüchteten herrscht Ruhe und wir beschäftigen sie sogar im Winter weiter, was wir früher nicht konnten.“

Aber längst ist im Laufe der Jahre etwas anderes entstanden, eine Arbeitsgemeinschaft mit Betonung nicht nur auf „Arbeit“, sondern auf „Gemeinschaft“. Schon bei der Begrüßung spürt man die herzliche Verbundenheit. In kleineren Unternehmen wird aus Arbeit schnell Gemeinschaft. Und das kommt auch in dieser Zusammenkunft zum Vorschein. Natürlich haben alle Beteiligten Erfahrungen mit Alltagsrassismus gemacht, wobei das verglichen mit den jahrelangen Abschiebungsängsten vermutlich noch die harmlosere Erfahrung war. Aber die im Workshop geteilten Erfahrungen zeigen, dass Schwierigkeiten überwunden werden können, dass etwas Neues und Erfolgreiches entstehen kann. Yasemin Weidemeier berichtet fast euphorisch: „Chidi ist wie mein Sohn, die anderen meine Familie. Als nach zwei Wochen Weihnachtsferien die Arbeit wieder begann, freuten sich alle, dass man sich endlich wieder sehen konnte.“ Frau Kurka-Wöbking berichtet von einem Betriebsausflug:

Herr Drameh kam in seinem traditionellen Gewand genau wie zwei Kolleginnen aus Südamerika. Das sah klasse aus. Wir haben dann durchgezählt, wie viel verschiedene Nationen wir bei uns beschäftigen. Unsere 114 Mitarbeiter verteilen sich auf 28 Nationalitäten.

Reiner Spallek von Klüber Lubrication rät Unternehmen:

Mutiger sein. Durch eine andere Kultur neue Ideen bekommen. Nicht die Angst davor haben, dass all das passiert, was wir gehört haben.

Niemand in der Runde ist naiv, was die Probleme einer Arbeitsintegration von Flüchtlingen betrifft – schon gar nicht nach all den Erfahrungen. Aber ein Befund ist auch, dass alle beteiligten Parteien seit der Anfangszeit dabei sind und alle immer noch da sind: die engagierten Helfer, die Arbeitgeber, der Goinger Kreis – und keineswegs selbstverständlich: die Flüchtlinge selbst. Auf die Frage nach Lernerfahrungen, nach Lehrgeld oder Empfehlungen an andere Unternehmen kommt erstaunlich wenig, etwa wenn Alexandra Kurka-Wöbking die Begleitung verbessern würde oder wenn Veronika Haas Mayer, die selbst eine Migrationsgeschichte aus Ungarn hinter sich hat, in der Anfangszeit klare Anweisungen und Leistungsanforderungen empfiehlt. Trotz aller Probleme: Man würde es wieder tun. KWA-Chef Johannes Rückert denkt bereits über Schlussfolgerungen nach:

Wir können unseren Bedarf an Pflegekräften nicht auf dem deutschen Arbeitsmarkt decken. Wir haben mit riesigem Aufwand und begrenztem Erfolg in Spanien, Philippinen oder in Kolumbien rekrutiert. Wenn man ohnehin einen Zusatzaufwand betreiben muss, warum dann nicht stärker auf die Gruppe der Flüchtlinge setzen, die schon hier sind und die gezeigt haben, dass sie sich durch Probleme nicht umpusten lassen?

Am Ende bestätigt sich die Aussage, die Claudia Köhler schon 2019 im Interview mit uns machte:

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Gemeinsames Arbeiten ist einfach die beste Form der Integration. Es strukturiert den Tag, es zwingt Menschen zur Kommunikation. Ja vielleicht ist Arbeitsintegration gerade wegen ihrer Robustheit die einzige Form der Integration, die wirklich funktioniert.

Der Autor

Dr. Axel Klopprogge studierte Geschichte und Germanistik. Er war als Manager in großen Industrieunternehmen tätig und baute eine Unternehmensberatung in den Feldern Innovation und Personalmanagement auf. Axel Klopprogge hat Lehraufträge an Universitäten im In- und Ausland und forscht und publiziert zu Themen der Arbeitswelt, zu Innovation und zu gesellschaftlichen Fragen. Er ist Mitbegründer des renommierten Goinger Kreises und führt eine Vistage-Regionalgruppe von Unternehmern. 2023 erschien sein Buch „Methode Mensch oder die Rückkehr des Handelns“ und 2024 unter seiner Mitwirkung die „Liebeserklärung an die Arbeit“ des Goinger Kreises.

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