Ziel: Failed State
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Trotz militärischer Erfolge der Regierungstruppen in den vergangenen Wochen und Monaten findet Syrien keine Ruhe. Die USA erwägen indessen weitere militärische Schritte –
Von THOMAS EIPELDAUER, 23. Juli 2013 –
Am 8. Mai 2013 eroberten Regierungstruppen die Stadt Khirbet Ghazaleh, zehn Tage später begannen sie zusammen mit Milizen der libanesischen Hisbollah den Angriff auf die strategisch bedeutende Stadt Al Kusair, aus der sich die Rebellen am 5. Juni zurückziehen mussten. Die Kombination von Guerillataktiken und “klassischer” Kriegsführung zusammen mit dem Umstand, dass die Aufständischen selbst unter jenen, die ihnen früher wohlgesonnen waren, an Zustimmung verlieren, versetzte die syrische Regierung im Verlauf des ersten Halbjahres 2013 in eine stabilere Lage als zuvor. Das bestätigen indirekt auch die Stellungnahmen der Freien Syrischen Armee, deren kommandierender Offizier, Salim Idris, kurz nach dem Fall von Al-Kusair verlauten ließ, die bewaffnete Opposition werde sich an keinen Friedensgesprächen beteiligen, bevor ihr vom Westen nicht bessere Waffen zur Verfügung gestellt werden, um sich in eine für die Verhandlungen günstigere Position vorkämpfen zu können.
Mittlerweile, so berichtete am 31. Mai die World Tribune über eine NATO-Studie, unterstützten 70 Prozent der Syrer das Assad-Regime, 20 Prozent seien neutral. Lediglich zehn Prozent ergriffen Partei für die Rebellen. (2) Militärisch sieht die Lage ähnlich desaströs für das heterogene Bündnis der Anti-Assad-Kräfte aus. Denn die Geister, die man rief, wird man nun nicht mehr los. Islamistische Dschihadisten, die aufgrund ihrer Kampferfahrung zu den effektivsten Einheiten der Opposition zählen, verfolgen ihre eigenen Ziele – Ziele, die in der Bevölkerung kaum unterstützung finden dürften, wie Berichte aus dem befreiten Al-Kusair zeigen.
“Hunderte Ziele vernichten”
Angesichts dieser Lage gerät auch der Westen samt seiner regionalen Avantgarde, der Erdogan-Regierung in Ankara, zunehmend unter Handlungsdruck. Ein am gestrigen Montag bekannt gewordener Brief des US-Generalstabschefs Martin Dempsey dokumentiert das Dilemma vor dem Washington und seine Verbündeten stehen. In dem Dokument spielt der hochrangige Offizier Optionen für ein militärisches Vorgehen gegen Syrien durch. (3)
Man sei vorbereitet für eine Reihe von möglichen Unterstützungsleistungen für die Opposition, heißt es in dem Schreiben an den Vorsitzenden des Streitkräfteausschusses des Senats, Carl Levin. Zunächst könne man diese ausbilden und sie in Fragen der Planung, Strategie und Taktik schulen, auch nachrichtendienstlicher und logistischer Support sei denkbar. Diese Variante fordere “einige hundert bis tausend Mann” bei geschätzten Kosten bis zu 500 Millionen US-Dollar pro Jahr. So könnten die Fähigkeiten der Opposition verbessert werden. Allerdings bestehe dabei das Risiko, “dass Extremisten Zugang zu zusätzlichen Ressourcen erlangen könnten”.
Eine zweite Möglichkeit bestehe in der Durchführung von “begrenzten Schlägen”: “Diese Option setzt tödliche Gewalt ein, um Ziele zu treffen, die das Regime in die Lage versetzen, militärische Operationen durchzuführen, sich moderne Waffen zu verschaffen oder sich zu verteidigen.” Man sei in der Lage, “hunderte von Zielen in dem von uns gewünschten Tempo zu zerstören”. Diese Option schließe die Gefahr von “Kollateralschäden” ein.
Die dritte Handlungsmöglichkeit sei die Errichtung einer Flugverbotszone. Das allerdings setze die umfassende Zerstörung der syrischen Flugabwehr voraus, die Kosten des Vorhabens würden sich “anfänglich auf 500 Millionen US-Dollar”, später dann möglicherweise bis zu einer Milliarde pro Monat betragen.
Dempsey erwägt auch die Einrichtung von Bufferzonen, insbesondere an der Grenze zur Türkei und zu Jordanien, die den Aufständischen als von den US-Streitkräften abgesicherter Rückzugs- und Ausbildungsraum dienen könnten. Das allerdings, da “tausende US-Bodentruppen” benötigt würden, käme ebenfalls sehr teuer. Gleiches gelte für die Herstellung der Kontrolle über die Chemiewaffen des Regimes, auch hier seien Bodentruppen von nöten.
Zusammenfassend bilanziert der höchstrangige Soldat der Vereinigten Staaten: “Zu oft werden diese Möglichkeiten isoliert betrachtet. Es wäre besser, wenn sie im Rahmen einer Gesamtstrategie diskutiert würden, im Kontext der Erreichung unserer Ziele in Koordination mit unseren Alliierten und Partnern.” Aus den vergangenen zehn Jahren habe man gelernt, dass es nicht zum Ziel führe, allein die militärischen Kräfteverhältnisse zu ändern: “Sollten die Institutionen des Regimes kollabieren, ohne dass eine brauchbare Opposition in Sicht ist, könnten wir ohne Absicht Extremisten stärken oder die Kontrolle über jene Chemiewaffen verlieren, die wir zu kontrollieren beabsichtigen.”
Dempsey schließt den Brief mit einigen einschränkenden Floskeln, man müsse verantwortlich handeln, man habe genau abzuwägen und so fort. Dass es “militärisches Eingreifen in Syrien immer unwahrscheinlicher” wird, wie der Spiegel und mit ihm die anderen westlichen Leitmedien kommentieren, geht allerdings aus dem Brief nicht hervor. (4) Im Gegenteil, Dempsey schreibt: “Ein verstärktes Engagement ist kaum zu vermeiden.” Er merkt lediglich an, dass die Art und Weise wie dieses Engagement gestaltet werden solle, wohl zu erwägen ist. Anders als deutsche und US-amerikanische Medien titelt deshalb die russische Ria Novosti: “USA planen Schläge gegen hunderte Ziele in Syrien” (5).
Regime Change oder Destabilisierung
Die Antwort auf die Frage, zu welchem Zweck ein solches Eingreifen überhaupt noch von Nutzen sein könnte angesichts einer militärisch wie politisch gestärkten Assad-Regierung, lässt sich mittlerweile auch klarer Beantworten. Unstrittig dürfte sein, dass aus der Opposition keine das Land einende, die Folgen des Bürgerkriegs überwindende und zudem dem Westen genehme Regierung hervorgehen wird. Immer plausibler wird so, dass das eigentliche Ziel gar nicht mehr in einem Regime Change sondern in der langfristigen Destabilisierung des Landes besteht – ähnlich wie im Falle Libyens.
Die Verstärkung und Nutzung konfessioneller und ethnischer Konfliktlinien zählt seit langem zum Repertoire imperialistischer Angriffsstrategien, wie Sebastian Range vor kurzem ausführlich in der Online-Ausgabe des Politmagazins Hintergrund darlegte. Gerade in Syrien scheint man derzeit auf diese Karte zu setzen. Denn auch den westlichen Militärstrategen ist zweifellos klar, dass die aus aller Herren Länder angereisten Dschihadistischen Milizionäre das Land so schnell nicht mehr verlassen werden. Eine vollständige Befriedung des Konflikts kann dem syrischen Regime so – gerade auch weil die Unterstützung des Westens für die Rebellen nicht abreißt – nicht gelingen.
Dementsprechend kommt es neben der Hauptkonfliktlinie immer häufiger zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen eigenständigen Gruppierungen. Die kurdische Befreiungsbewegung etwa, die in den von ihr kontrollierten Landesteilen den Versuch des Aufbaus demokratischer Strukturen unter schwersten Bedingungen vorantreibt, wird immer häufiger zum Ziel von Angriffen islamistischer Gotteskrieger, gegen die sich allerdings der militärische Arm der kurdischen Bewegung, die YPG, bislang erfolgreich durchsetzen konnten. Auch zwischen FSA und Dschihadisten kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen, letztlich sieht es nicht so aus, als könnte irgendeine der regionalen Gruppierungen mittelfristig die Oberhand in ganz Syrien gewinnen.
Was immer das Ziel der westlichen Intervention in Syrien war, völlig unzufrieden ist man mit diesem Status Quo in Washington sicher nicht. Denn Syriens Rolle als Regionalmacht ist geschwächt. Das dürfte auch Israel nicht missfallen, galt doch das Regime Bashar Al-Assads zusammen mit dem iranischen und der libanesischen Hisbollah als gefährlichste Bedrohung des Staates Israel.
Anmerkungen
(2) http://www.worldtribune.com/2013/05/31/nato-data-assad-winning-the-war-for-syrians-hearts-and-minds/
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(5) http://de.ria.ru/security_and_military/20130723/266531313.html
(6) http://www.hintergrund.de/201307042664/politik/welt/gewollte-spaltung.html