Naher Osten

Wem gehört Palästina?

In der Region zwischen dem östlichen Mittelmeer und dem Persischen Golf gibt es seit Hunderten Jahren Krisen und Konflikte. Um die Rolle Europas bei der Zerstörung der Region zu verstehen, muss man weit in die Geschichte zurückgehen.

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Map based on that of Wolfgang Wissenburg published in Basel around 1537/1538. Dedication to Thomas Cranmer, Archbishop of Canterbury.
Foto: Wolfgang Wissenburg; Lizenz: CC BY-SA 4.0, Mehr Infos

Der erste sichtbare Krieg gegen die Region wurde im 12. Jahrhundert geführt und ist dort als “Krieg der Barbaren” bekannt: die Kreuzritterzüge. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts wurde die Region Teil des Osmanischen Reiches, das sich im Lauf der Jahrhunderte rund um das Mittelmeer bis weit nach Europa ausdehnte. Mitte des 19. Jahrhunderts begann der Verfall des Osmanischen Reiches. Die europäischen Kolonialmächte Großbritannien, Frankreich, Deutsches Reich und Österreich-Ungarn begannen, in der Region ihre Interessen auszuloten. In einer parallelen Entwicklung war auch das Russische Zarenreich in der Region aktiv, was sich aber mit der Oktoberrevolution 1917 änderte. Die Sowjetunion entwickelte vor allem nach dem 2. Weltkrieg während der Blockkonfrontation mit den USA eine eigene Politik in der Region.

Während des 1. Weltkrieges (1914/18) ging Großbritannien zwar angeschlagen, aber doch als Sieger des innerimperialistischen Kampfes vor allem gegen das Deutsche Reich hervor. Um ökonomische Hegemonie über die Region zu erlangen, hatte London die Interessen verschiedener Akteure instrumentalisiert.

1915 wurde die arabische Unabhängigkeitsbewegung unterstützt, die im Damaskus-Protokoll die Grenzen eines unabhängigen arabischen Territoriums benannte: im Norden von Mersin/Adana entlang des 37. Breitengrades bis zur Grenze des Persischen Reiches; im Osten entlang der Grenze zu Persien bis zum Persischen Golf; im Süden der Indische Ozean (ohne Aden, das einen britischen Sonderstatus hatte); im Westen das Rote Meer, entlang der Küste des östlichen Mittelmeeres bis Mersin. Eine Allianz zwischen Großbritannien und dem zukünftigen Arabischen Staat und die Gewährung einer Wirtschaftspräferenz gegenüber Großbritannien gehörten dazu. Im Gegenzug zur britischen Unterstützung des Damaskus-Protokolls sagte die arabische Unabhängigkeitsbewegung London die Unterstützung im Kampf gegen das Osmanische Reich und seine Verbündeten in Berlin und Wien zu.

1916 unterzeichnete Großbritannien mit Frankreich das “Sykes-Picot-Abkommen”. Dieses geheime Abkommen teilte die Kernregion zwischen beiden in französische und britische Einfluss- und Kontrollgebiete auf. Das Gebiet zwischen Jerusalem und Haifa sollte unter internationale Kontrolle gestellt werden.

1917 unterzeichnete der britische Außenminister Lord Balfour die “Balfour- Deklaration”. Darin wurde der zionistischen Nationalbewegung die Unterstützung für die Errichtung einer “jüdischen nationalen Heimstatt in Palästina” zugesagt. Einschränkend hieß es, dass “nichts unternommen werden darf, das mit Vorurteilen gegenüber zivilen und religiösen Rechten bestehender nicht-jüdischer Gemeinden/Bevölkerungsgruppen in Palästina behaftet” sei. Die zionistische Nationalbewegung verbreitete zur Umsetzung ihrer Pläne – im eigenen und im britischen Interesse – die Lüge von Palästina als einem “Land ohne Volk für ein Volk ohne Land”.

Der Reiz der Region für London

Was war das Besondere an dieser Region, die Großbritannien kontrollieren wollte? Neben den fruchtbaren Böden, dem Reich- tum an Wasser, Wissen und herausragen- der Handwerkskunst war London an den Rohstoffen interessiert, an Öl und Gas, das Anfang des 20. Jahrhunderts im Mittleren Osten gefunden worden war. Öl ist der Motor des militärisch-industriellen Komplexes, der die Hegemonie Großbritanniens absichern sollte. Ebenso wichtig war die geostrategische Lage der Region zwischen dem östlichen Mittelmeer, dem Suezkanal, dem Persischen Golf und dem Indischen Ozean. Die Häfen Haifa, Basra und Aden sicherten Großbritannien wichtige Verbindungen zwischen Indien – dem »Juwel der Krone« –, der Arabischen Halbinsel, dem Mittelmeer und Europa.

Zum Ende des 1. Weltkrieges 1918 wurde zwischen Frankreich, Großbritannien und den USA intensiv über Ölpipelines und Ölterminals in Häfen der Region verhandelt. Großbritannien hatte viel in den Krieg investiert und musste Neuinvestitionen mithilfe von US-amerikanischem Kapital absichern. In Haifa entstand unter britischer Kontrolle ein Ölterminal zur Versorgung der eigenen See- und Handelsflotte. Zwischen Mosul und Haifa war eine Pipeline geplant. Die Briten wollten sicherstellen, dass beide Enden der Pipeline von ihnen kontrolliert wurden. Die Pipeline wurde als »Halsschlagader des Britischen Imperiums« bezeichnet.

Palästina kam bei den imperialen Interessen Großbritanniens, Frankreichs und zunehmend der USA eine zentrale Rolle zu. Bei den Verhandlungen über Zugang, Förderung und Kontrolle von Ölfeldern, die in der Region gefunden wurden, sowie bei der Aufteilung der Gebiete, insbesondere von Palästina – das damals noch Syrien und den Libanon umfasste –, saßen Vertreter der großen Ölgesellschaften und Banken mit am Verhandlungstisch.

Im 2. Weltkrieg verlor Großbritannien später nicht nur seine Mandatsgebiete und Kolonien, es war auch ziemlich pleite und gab die führende imperiale Rolle an die USA ab. Die verfolgten die gleichen Interessen in der Region, deren geopolitische Bedeutung weiter gestiegen war.

Zur Absicherung dieser Interessen entstand 1948 – gegen den Willen der Palästinenser und aller Staaten, die sich in der Region eine Stimme verschaffen konnten – der Staat Israel. Die damit verbundene Vertreibung der Palästinenser, die Nakba, wiederholte sich mit jedem Krieg, jeder Hauszerstörung, jedem neuen Siedlungsbau.

Die Rolle Israels, das sich als Wächter imperialer Interessen in einer der wichtigsten geostrategischen Regionen der Welt bis heute anbietet und entsprechend mit Geld und Waffen versorgt wird, erhielt durch die USA mehr Gewicht. Für die Region bedeutete das mehr Krisen und Kriege. Der Drang Israels nach Norden in die fruchtbaren Gebiete des Libanon und nach Osten auf die fruchtbaren syrischen Golanhöhen hörte nicht auf. Ob in Gaza, im Westjordanland, ob auf den Golanhöhen, ob in Syrien oder im Libanon – bis heute kämpfen die Menschen um ihr Land und um ihr Recht, ihr Leben und ihre Zukunft selbst zu gestalten.

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KARIN LEUKEFELD, geboren 1954, studierte Ethnologie, Islam- und Politikwissenschaften, absolvierte eine Ausbildung zur Buchhändlerin und arbeitete in der Organisations- und Öffentlichkeitsarbeit u. a. beim Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und bei den Grünen (Bundespartei). Sie veröffentlichte zahlreiche Artikel und Bücher. Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet sie als freiberufliche Korrespondentin im Nahen und Mittleren Osten für Printmedien und Hörfunk. Sie hat Bücher über die Kurden, den Irak und Syrien veröffentlicht sowie an einer TV-Dokumentation mit Markus Matzel über die Folgen abgereicherter Uranmunition im Irak mitgearbeitet. Seit 2010 ist sie in Syrien als Journalistin akkreditiert.

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