Weltpolitik

Wahlkampf in Venezuela - Wie Opposition und Medien „Mörder“ fabrizieren

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Von VICTOR HUGO MAJANO, 3. Oktober 2012 –

Am vergangenen Sonntag berichteten die Medien – auch in Deutschland – über blutige Auseinandersetzungen während des Wahlkampfes in Venezuela. Mitarbeiter eines Ministeriums – allesamt Anhänger des für seine Wiederwahl kandidierenden Präsidenten Chávez’ – hätten auf Mitglieder der Opposition geschossen und mehrere Personen getötet. Sogar der Schuldige war schnell ausgemacht – der Leiter des Umweltministeriums persönlich habe im Auftrag von Chávez geschossen.

Was tatsächlich hinter den Vorfällen des vergangenen Wochenendes steckt hat der Jounalist Victor Hugo Majano beleuchtet. Er sprach auch mit dem vermeintlichen Mörder.

„Der dreifache Mörder von Barina, Nelson José Quintero Paredes, ist Chávez-Anhänger und die rechte Hand von Adán Chávez (einem der Brüder von Hugo Chávez, MR). Er muss für die Toten nicht bezahlen“, behaupten wortwörtlich die in Tausenden von Twitter-Nachrichten seit Samstagnacht propagierten Informationen, nachdem ein gewaltsamer Zwischenfall mit zwei Toten am Eingang des Viertels Terrazas de Santo Domingo im venezolanischen Bundesstaat Barinas stattgefunden hatte.

Der Arbeitsausweis von Quintero Paredes. Damit – so die Initiatoren der Verleumdungskampagne – soll die Täterschaft des Leiters der Umweltbehörde belegt werden.

Um die Anschuldigung zu beweisen, wurde ein Foto des Arbeitsausweises von Quintero Paredes veröffentlicht, der ihn als Leiter des Umweltministeriums ausweist. In den gleichen Nachrichten wurde behauptet, er habe diesen Ausweis auf seiner Flucht vom Ort des Verbrechen verloren.  

Laut der Geschichte, die in der Nacht des 29. September 2012 kursierte, kam der Funktionär zusammen mit anderen „Chávistas“ (Anhängern von Hugo Chávez, MR) in einem Lieferwagen und beteiligte sich an dem Angriff auf eine Autoschlange der Opposition, die von Anhängern des „Mörders Chávez“ abgefangen worden war.

Als die Anhänger der „Demokratie“, (die dem diktatorischen Regime auf heroische Weise die Stirn boten), die Schüsse aus dem Fahrzeug des Ministeriums hörten, entschlossen sie sich mutig, die Leute festzunehmen. Quintero gelang es jedoch zu fliehen, während seine Komplizen, darunter zwei oder drei Frauen, gefangengenommen und den Behörden überstellt wurden.

Der Lastwagen  wurde anschließend von den „empörten Bürgern“ angezündet, die Fotos eilig unter Twitter-Adressen wie @WILMER_AZUAJe, „retwiteadas reiteradmante“ und vielen anderen – zum Beispiel von der Journalistin Martha Colomina (einer der wichtigsten Publizistinnen der Opposition, Red.) – veröffentlicht

Gestern Nachmittag (gemeint ist der 30. September, Red.) schaffte ich es endlich mit dem „Mörder“ zu sprechen. Er erzählte mir die Geschichte, die keiner derjenigen hören wollte, die ihn sowohl in den sozialen Netzen als auch in den Massenmedien ohne Gerichtsverfahren verurteilt hatten. Eine Geschichte, die die öffentlichen Medien bis jetzt nicht veröffentlichen und es damit ermöglichen, dass sich die hunderttausendfach multiplizierte Lüge durchsetzt.

Nelson berichtet, dass er sich praktisch den ganzen Tag in seinem Büro befand und den Sonnabend nutzen wollte, um mit verschiedenen Arbeiten, die er routinemäßig nicht schaffte, voranzukommen. Hier bekam er nach 17.00 Uhr den Anruf über einen Zwischenfall mit einem Ministeriums-Fahrzeug, das sich bei einer Inspektion im Bezirk Bolívar befand.

Rückblickend stellt sich der Vorfall so dar: Drei Angestellte des Umweltministeriums kehrten aus Barinitas zurück nach Barinas – in einem Lieferwagen, Modell Colorado mit Doppelkabine. In der Nähe des Viertels Terrazas de Santo Domingo war eine Autoschlange und wenige Minuten später wurde das Fahrzeug von einer Menschengruppe attackiert. In dem Lastwagen befand sich eine Anhängerin der PSUV (Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas, Red.), die rote Kleidung trug. Sie wurde mit Schlägen aus dem Lastwagen gezerrt und als „mörderische Chávez-Anhängerin“ beschimpft.

In dem Lastwagen waren auch Dayan Castillo, Jonathan Ocana und José Manuela Nieves, auch sie wurden geschlagen. Die Gruppe konnte fliehen und in einem nahen Polizeirevier Schutz finden.

Der Lastwagen wurde geplündert, Teile gestohlen. Die Überschriften der ins Netz gestellten Fotos sprachen von den „Mördern“ die mit dem Auto gefahren waren. Zwei Stunden lang wurden Schuldige fabriziert, einzig auf Basis der Tatsache, dass Angestellte eines Ministeriums zufällig durch die Ortschaft gefahren waren.  

Als die Nacht kam, entzündeten sie das Auto. Es reichte ihnen zu wissen, dass es sich um „Chávistas“ gehandelt hatte – oder wenigstens um öffentliche Funktionäre. Diese Tatsache allein machte sie zu Mördern.

Es ist offensichtlich, dass es sich um ein Konstrukt handelte, mit dem der Eindruck erweckt werden sollte, Chávez in Person hätte den Überfall befohlen. Die Verbindung ginge von Quintero über Adán Chávez, dem Gouverneur von  Barinas, direkt zum Präsidenten Hugo Chávez.  

Obwohl am gleichen Sonntag die Behörden aus Barinas, die Polizei und die Staatsanwaltschaft darüber informierten (auch der Innenminister hat dasselbe öffentlich erklärt, MR), dass ein 22-jähriger geständiger Junge verhaftet worden sei. Dieser gab zu, an dem Ort geschossen zu haben. Medien (wie die Zeitung La Prensa de Barinas) schrieben trotzdem weiterhin, dass Quintero Paredes auf der Flucht sei und von den Sicherheitskräften gesucht werde. Obwohl er anschließend zusammen mit dem Gouverneur Adán Chávez eine Pressekonferenz gegeben hatte.

Auch der Herausgeber der Zeitung El Nacional (eine der aggressivsten Oppositionszeitungen, MR), Miguel H. Otero, schrieb: „Laut Zeugen ist Nelson Quintero, Leiter des Umweltministeriums aus Barinas und verantwortlich für das Massaker in Barinitas, weiter auf der Flucht.“  Diesen Text verfasste er heute Morgen (gemeint ist der 1. Oktober, Red.) – trotz all der Informationen, die klargestellt haben, dass weder Quintero noch Beamte des Umweltministeriums mit den Geschehnissen in Verbindung stehen.

Darüber hinaus sollte man bedenken, welch ein Gewicht derartige Nachrichten und Meinungen für den Chavismus und die Regierung  selbst haben. Diese Art Desinformation ist absolut nicht zufällig: Es war Kalkül, „Schuldige“ unter denen auszumachen, die wie Quintero klare Positionen haben. Hinzu kommt, dass Quintero Chef des Comando Carabobo (Bezeichnung der Wahlkommandos für die Präsidentschaftswahlen vom 7. Oktober 2012, MR.) im Bezirk Bolívar ist.

Vielleicht waren die Gewalt und die Toten eine Folge unvorhersehbarer Umstände, was jedoch danach geschah ist eindeutig konstruiert worden mit dem Ziel, den Chavismus zu demoralisieren. Zumindest die Stille in den sozialen Netzwerken und in den öffentlichen Medien zeigt, dass das gelungen ist.

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Der Artikel erschien im Original am 1. Oktober 2012 unter dem Titel Barinitas: de cómo la oposición fabrica “asesinos instantáneos” bei aporrea.org.

Übersetzung: Manola Romalo, Bearbeitung: Hintergrund

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