Syrien

Waffenruhe gescheitert

Die von den USA und Russland ausgehandelte Waffenruhe ist nach nur einer Woche gescheitert – vor allem, weil Washington seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist

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Am Montagabend gab die Führung der syrischen Armee bekannt, dass sie die von Russland und den USA ausgehandelte Waffenruhe, die vor einer Woche in Kraft trat, nun auslaufen lasse. „Rebellenkräfte“ hätten demnach „in mehr als dreihundert Fällen“ gegen die Feuerpause verstoßen, heißt es zur Begründung in einer von der syrischen Nachrichtenagentur Sana veröffentlichten Erklärung.

„Dschihadistische Gruppen nutzten die Waffenruhe, um sich neu zu gruppieren und Positionen des Militärs anzugreifen“, heißt es darin weiter. Die Armee habe sich dagegen auch nach Angriffen der Aufständischen in Zurückhaltung geübt und versucht, das Abkommen mit dem „höchsten Grad an Professionalität“ zu erfüllen.

Die Entscheidung des Oberkommandos der syrischen Armee, die Waffenruhe nicht weiter zu verlängern, erfolgte offenbar mit Rückendeckung Moskaus. Generalleutnant Sergej Rudskoi vom russischen Generalstab nannte es sinnlos, „dass die syrische Regierungsarmee die Waffenruhe weiter einseitig einhalten soll“. Die USA hätten die ausgehandelte Vereinbarung nicht eingehalten, so Rudskoi.

Von Anbeginn stand die Feuerpause, von der die Terrororganisationen Fatah al-Sham (ehemals al-Nusra Front) sowie der „Islamische Staat“ ausgenommen waren, unter keinem guten Stern. Über zwanzig Rebellengruppen hatten in einer gemeinsamen Erklärung bekannt gegeben, sich an diese nicht zu halten, da ein Waffenstillstand in erster Linie der syrischen Armee nutze. Zudem lehnten sie es ab, sich von Fatah al-Sham zu distanzieren.

Zu den Unterzeichnern gehörte unter anderem die jüngst ob der bestialischen Hinrichtung eines Kindes Schlagzeilen machende Terrorgruppe Nur-al-Din-al-Sinki sowie die im Raum Damaskus aktive „Armee des Islam“, deren Anführer Mohammed Alloush zugleich Chefunterhändler des Hohen Verhandlungskomitees ist, einem unter saudischer Regentschaft gebildeten Bündnis von Regierungsgegnern. Auch die größte islamistische Rebellengruppe, die eng mit Fatah al-Sham kooperierende Ahrar al-Sham, verweigerte sich der Waffenruhe.

In der Provinz Hama und der an die Golanhöhen angrenzenden Region – dort mithilfe israelischer Militärschläge – waren die Aufständischen nach Beginn der Waffenruhe in die Offensive gegangen. Die syrische Armee wiederrum führte in der Provinz Latakia Offensivoperationen durch und begründete dies mit der Anwesenheit von Kämpfern der Fatah al-Sham. Auch in der bei Damaskus gelegenen Stadt Dschobar flammten die Kämpfe vergangene Woche zwischen Aufständischen und Armee wieder auf – beide Seiten gaben sich gegenseitig dafür die Schuld.

Dennoch kam es insgesamt zu einem „deutlichen Rückgang“ der Kampfhandlungen, wie der Sonderbeauftragte der UN, Steffan de Mistura, feststellte. Die Waffenruhe verschaffte vor allem den Bewohnern Aleppos eine dringend notwendige Atempause. In den Startlöchern stehende Hilfskonvois der UN konnten die Metropole jedoch nicht wie vereinbart erreichen. Die Hilfslieferungen sollten über die Castillo-Straße im Norden Aleppos erfolgen.

Unter Aufsicht des Internationalen Roten Kreuzes und dem Schutz russischer Marineeinheiten sollten dort entsprechende Checkpoints eingerichtet werden. Zu diesem Zweck war verinbart worden, dass sich beide Kampfparteien mindestens einen Kilometer von der Zufahrtsstraße entfernen. Während sich die syrische Armee als Zeichen guten Willens sogar über drei Kilometer zurückzog, kamen die Aufständischen ihrer Verpflichtung nicht nach. Stattdessen rückten sie vor und nahmen die russischen Soldaten unter Beschuss, die inzwischen dort Stellung bezogen hatten, um eine sichere Passage für die Hilfskonvois zu gewährleisten.

Die Aufständischen weigerten sich zudem, Sicherheitsgarantien für die UN-Hilfskonvois zu geben, die – aus der Türkei kommend – von ihnen kontrolliertes Gebiet hätten passieren müssen, um nach Aleppo zu gelangen. Für diese Blockadehaltung gebe es „keinerlei mögliche Rechtfertigung“, sagte selbst der einstige US-Botschafter in Syrien, Robert Ford – den bewaffneten Aufstand gegen die Assad-Regierung hatte er seinerzeit eifrig vorangetrieben. „Die bewaffnete und politische Opposition in Syrien fügt ihrem Anliegen schweren Schaden zu, wenn sie die Hilfe blockiert“, so Ford.

Angaben des russischen Verteidigungsministeriums zufolge exekutierten die Rebellen am Wochenende 26 Zivilisten, darunter neun Minderjährige, die über die von Russland eingerichteten humanitären Korridore Ostaleppo verlassen wollten, um in das von der Regierung kontrollierte Gebiet zu gelangen. Moskau bezieht sich dabei auf Aussagen von Zeugen, denen die Flucht aus den von den Aufständischen kontrollierten Stadtteilen gelungen war.

Washington kommt Verpflichtungen nicht nach

Ein wesentlicher Bestandteil der Waffenstillstandsvereinbarung war die Verpflichtung der USA, Druck auf die von ihnen unterstützten „moderaten“ Kampfgruppen auszuüben, sich von Fatah al-Sham zu trennen. Doch zu einer solchen Trennung ist es nicht gekommen, wie Moskau verbittert feststellen musste. Stattdessen sei es zu einer weiteren „Verschmelzung von Einheiten der moderaten Opposition“ mit der ehemaligen Nusra-Front gekommen, „um eine gemeinsame Offensive vorzubereiten“, sagte  Sergej Rudskoi.

Bezeichnenderweise weigert sich Washington, den Inhalt des Waffenstillstandsabkommens gegenüber den anderen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats offen zu legen. Er könne nicht verstehen, warum die Vereinbarung unter Verschluss bleiben soll, äußerte sich Russlands Präsident Wladimir Putin dazu. Moskau werde deren Inhalt aber nicht ohne Zustimmung „unserer US-Partner“ veröffentlichen, so Putin. Zugleich warf er die Vermutung in den Raum, Washington wolle verhindern, dass öffentlich bekannt werde, „wer sich nicht an die Vereinbarung hält“.

Entweder ist die US-Regierung nicht gewillt, entsprechenden Druck auf die „moderaten“ Kräfte zu einer Lostrennung von den Dschihadisten auszuüben, oder sie hat diese Kräfte nicht mehr unter Kontrolle. Für Letzteres spricht ein Vorfall, der sich vergangene Woche in der Ortschaft Ar Rai an der Grenze zur Türkei ereignet hatte. Dort hatten Spezialkräfte der US-Armee Stellung bezogen. Das löste wütende Proteste vor Ort anwesender Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ aus, die gemeinsam mit islamistischen Rebellen an der türkischen Operation „Euphrat-Schild“ teilnehmen.

Die „moderaten“ FSA-Rebellen beschimpften die US-Soldaten als „Ungläubige“, als „Schweine“ und skandierten „Tod den USA“. Die US-Truppen zogen sich daraufhin zurück – laut Washington sei der Abzug jedoch routinemäßig erfolgt und keinesfalls den Protesten ihrer vermeintlich Verbündeten geschuldet gewesen.

Für Ersteres spricht zum Einen, dass Washington seit Beginn der Waffenruhe keinerlei Anzeichen erkennen ließ, wie vereinbart Druck auf die „moderaten“ Rebellen auszuüben, sich von den Gesinnungsbrüdern al-Qaidas loszueisen. Zudem sprechen Erfahrungswerte für die Annahme, dass Washington seinen Worten, auf die Lostrennung zu drängen, keine Taten folgen lässt: Die nach langen Verhandlungen Ende Februar in Kraft getretene Feuerpause scheiterte sechs Wochen später, weil die „moderaten“ Rebellen im Verbund mit der Nusra-Front im Süden Aleppos eine gemeinsame Großoffensive durchführten – unterstützt und koordiniert vom Pentagon.

Am gestrigen Montag sollte eigentlich die nächste Stufe der vor einer Woche in Kraft getretenen Waffenstillstandsvereinbarung umgesetzt werden. Diese sah vor, dass Moskau und Washington gemeinsame Angriffe gegen den „Islamischen Staat“ und Fatah al-Scham durchführen. „Spätestens mit dem gravierenden Angriff der USA auf syrische Regierungstruppen dürfte aber allen klar gewesen sein, dass daraus nichts mehr werden wird“, heißt es in einer dpa-Meldung.

Gemeint ist ein am Samstag durchgeführter US-Luftangriff auf Stellungen der syrischen Armee nahe der Stadt Deir ez-Zor, bei der über achtzig Soldaten getötet wurden, die eine Offensive des IS abwehren wollten. Dank des Bombardements war es der Terrormiliz anschließend gelungen, eine wichtige Anhöhe zu erobern, von der aus sie einen nahe gelegenen Flugplatz unter Beschuss nehmen können. Über diesen läuft die Versorgung humanitärer Güter für die rund 150 000 Einwohner der Stadt, die seit Jahren vom IS belagert wird.

Washington sprach anschließend von einem „Versehen“, bei dem die Soldaten der syrischen Armee mit IS-Kämpfern verwechselt worden seien, Damaskus hingegen von einem gezielten „feigen Angriff“. Man komme zu dem „erschreckenden Schluss, dass das Weiße Haus den IS verteidigt“, äußerte sich die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, zu dem Vorfall.

Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin bezweifelt die Darstellung Washingtons, der Angriff habe den Gegnern der syrischen Armee gegolten. „Warum sollten die USA plötzlich beschließen, den syrischen Streitkräften bei der Verteidigung Deir ez-Zors zu helfen?“, fragte Tschurkin, der zugleich daran erinnerte, dass die US-Streitkräfte nichts unternommen hatten, als tausende IS-Kämpfer im Mai 2015 auf Palmyra vorgerückt waren –  „jedwede Luftangriffe gegen IS-Kämpfer in und um Palmyra“ hätten Assad genutzt, erläuterte die New York Times damals, warum die US-Luftwaffe nichts gegen die Eroberung der Wüstenstadt durch den IS unternommen hatte.

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Russlands UN-Botschafter nannte es „bezeichnend“ und „nicht zufällig“, dass der Luftangriff auf die syrische Armee zwei Tage vor dem anvisierten Zeitpunkt geschah, an dem Russland und die USA mit gemeinsamen Angriffen gegen Terrorgruppen in Syrien beginnen wollten. „Wer hat das Sagen in Washington? Ist es das Weiße Haus oder das Pentagon?“, fragte Tschurkin und spielt damit auf den Interessenkonflikt in der US-administration an. Die Verlautbarungen des Pentagon hätten nichts mit dem zu tun, „was wir von Präsident Obama oder Außenminister Kerry hören“.

US-Präsident Barack Obama war für das Abkommen mit Russland daheim heftig kritisiert worden. Die Kriegsfalken innerhalb der US-Administration lehnen einen Waffenstillstand ab, solange Baschar al-Assad Syrien regiert. Moskau verdächtigt daher das Pentagon, das Abkommen gezielt mit dem Angriff auf die syrischen Truppen torpediert zu haben.

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