Von der Insel des Sozialismus – Ein Gespräch mit Heinz Langer
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Moderation: HENNING VON LÖWIS:
Damals, als es noch eine DDR gab, eine Sowjetunion, ein sozialistisches Weltsystem, da waren sie besonders eng – die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und Kuba. Damals hat Heinz Langer sozusagen auf Kuba Feuer gefangen, seine Liebe zu Kuba entdeckt. 1964 kam er als junger Attaché an die DDR-Botschaft nach Havanna. Später war er dann sieben Jahre lang Botschafte r des zweiten deutschen Staates in Kuba. Heute reist er mit Touristen auf die Zuckerinsel, die ja längst keine Zuckerinsel mehr ist. Kuba läßt ihn nicht los. Und so hat Heinz Langer denn ein Buch geschrieben, das schon vom Titel her aufhorchen läßt: "Kuba – Die lebendige Revolution. La revolución dinámica."
Henning von Löwis: Heinz Langer, „Kuba – Die lebendige Revolution. La revolución dinámica“, so der Titel Ihres Buches. Die DDR ist untergegangen, die UdSSR ist untergegangen, das ganze sozialistische Weltsystem ist zusammengebrochen. Kuba hat überlebt – als Insel des Sozialismus – trotz aller Widrigkeiten. Wie hat Castro das geschafft?
Heinz Langer: Castro hat schon am 26. Juli 1988 gesagt, also schon ein Jahr vor Untergang der Sowjetunion, „… wenn auch die Sowjetunion untergehen sollte und nicht mehr existent sei, werden wir unseren Weg fortsetzen, unseren Weg der Revolution, den wir im 19. Jahrhundert faktisch begonnen haben.“ Was auch die kubanische Revolution unterscheidet, von den Revolutionen, die sich in Europa abgespielt haben. Die kubanische Revolution hat faktisch begonnen im Jahre 1868 mit dem ersten Befreiungskrieg gegen die spanischen Kolonialherren, ging über den zweiten Befreiungskrieg und schließlich gegen die Batista-Diktatur und gegen die USA-Besatzung, bis dann schließlich am 1. Januar 59 der Sieg errungen wurde. Insofern gibt es eigenständige Wurzeln.
von Löwis: Unabhängig von den eigenständigen Wurzeln, aber das war ja nun eine schwierige Situation: Das ganze Hinterland, der ganze Rückhalt der sozialistischen Länder war weggebrochen. Kuba stand plötzlich alleine da, mehr oder minder.
Langer: Das ist also das Bitterste gewesen in dem ganzen revolutionären Prozeß: der Wegfall des sozialistischen Lagers. Die gesamte Wirtschaft, alles war ausgerichtet besonders auf die Sowjetunion und auf die anderen sozialistischen Länder. Die Scharte auszuwetzen dauerte also bis, man schätzt ein 2002. Auch jetzt ist das auch noch nicht richtig alles überwunden.
von Löwis: Sie beschreiben ja sehr detailliert in Ihrem Buch die wirtschaftliche Misere, die Energieengpässe, das Transportproblem. Woanders würden die Menschen auf die Barrikaden gehen, nicht so in Kuba.
Langer: Na ja, sie haben natürlich die Hoffnung, daß es eines Tages natürlich bedeutend besser wird. Denn Kuba ist immerhin noch ein Entwicklungsland. Es wird noch zu den Entwicklungsländern gezählt. Aber sie haben zumindest die Gewißheit, die Kubaner, daß sie souverän sind, daß sie selbst über ihr Land entscheiden können, daß sie Besitzer nicht nur ihrer Wohnungen sind und ihrer Häuser, denn über 85 Prozent sind Eigentümer, Wohneigentümer, sondern auch, daß sie Besitzer der Produktionsmittel sind. Und dieses Gefühl des Stolzes und der Souveränität des Landes gibt ihnen natürlich eine große moralische Kraft.
von Löwis: Heinz Langer, als DDR-Botschafter in Kuba haben Sie Fidel Castro hautnah erlebt. Kann man Castro wirklich nahe kommen, oder bleibt da immer eine große Distanz?
Langer: Also ich hatte ein relativ gutes, herzliches Verhältnis. Das liegt wahrscheinlich nicht nur an meiner Person allein, sondern das liegt an dem Verhältnis zwischen der DDR und Kuba, was sehr eng war, zuweilen sogar auch von der humanen Seite gesehen noch enger als mit den sowjetischen Vertretern. Ich hatte eine ganze Reihe von Begegnungen persönlicher Art mit Fidel Castro und habe von ihm eine sehr hohe Meinung. Nicht nur von seinem hohen Intelligenzgrad, sondern auch von der Art und Weise, wie er mit den Menschen umgeht, nicht nur mit mir sondern auch vor allen Dingen mit den Kubanern. Ich hab’ ihn also beobachtet bei der Einweihung von Investitionsobjekten, zum Beispiel unsere Zementfabrik in Cienfuegos oder in Guantánamo, die große Druckerei, oder die Bierbrauerei in Camaguey, wo er mit den Menschen hautnah zusammen ist, und nicht nur fragt, wie die Produktion läuft, und wie die Arbeit läuft, sondern was die Familie macht, wie sie sich wohlfühlen und so weiter. Er hat also einen großen Schatz humanistischer Bildung.
von Löwis: Wenn Sie vergleichen: Staatsmänner wie Breschnew, Honecker, Castro – kann man die überhaupt in einem Atemzug nennen?
Langer: Nein, kann man nicht. Also ich hatte natürlich auch die Gelegenheit mit Honecker zusammen zu sein. Ich war Mitglied der ersten Honecker-Delegation nach Kuba im Februar ’74 und habe beide Staatsmänner zusammen gesehen. Es war natürlich ein beträchtlicher Unterschied, über den wir natürlich am Rande dieser Delegation nicht gesprochen gehaben, sondern wir haben uns natürlich auch unsere Gedanken gemacht.
von Löwis: Ein Unterschied wie Tag und Nacht?
Langer: So kann man es sagen.
von Löwis: Sie verweisen darauf, daß die kubanische Revolution nicht mit den Panzern der Roten Armee dahergekommen sei. Ist das die Trumpfkarte Castros, der Nationalismus der kubanische Patriotismus nach dem Motto „Patria o muerte – venceremos“?
Langer: Die Kubaner sind sogar stolz, daß ihre Revolution tiefere historische Wurzeln hat, als die russische damals, die ja bekanntlich im Jahre 1905 anfing. Also diese Eigenständigkeit macht die Kubaner natürlich stolz und ihr Nationalstolz ist unermeßlich. Und nicht nur das zwingt sie ständig wieder auf diese Linie zurück, die sie begonnen haben, sondern auch der gewaltige Druck der vom Norden auf diese kleine Insel ausgeübt wird.
von Löwis: Heinz Langer, die tonangebende Partei in Kuba, die einzige Partei ist die Kommunistische. Hat das, was da auf Kuba läuft irgend etwas mit Kommunismus zu tun oder ist Kommunismus nur das Etikett auf einer Flasche mit ganz anderem Inhalt?
Langer: Ja, das ist offensichtlich das ferne, ganz, ganz ferne Ziel. Kuba ist also von einer antikolonialen Revolution, Befreiungsrevolution ausgegangen und zählt heute noch zu den Entwicklungsländern. Über Kommunismus zu sprechen wagen die Kubaner nicht, und sie sagen selbst, also keiner weiß, wie der Sozialismus mal aussehen soll: Wir sind dabei, also zumindest eine anti-kapitalistische Befreiungsbewegung durchzusetzen, mit sozialistischen Zeichen. Aber wie das mal aussehen soll, daß ist natürlich ein sehr dynamischer Prozeß, und keiner weiß heute zu sagen, wie das in Zukunft mal alles aussehen soll. Zumindest wollen sie ihre Prinzipien der Revolution weiterentwickeln.
von Löwis: Wenn Sie die westliche Presse lesen, so sprechen viele von einer Diktatur der Gebrüder Castro. Sie nennen das „sozialistische Demokratie“, betonen immer wieder in ihrem Buch die Volksverbundenheit der Regierenden in Havanna. Glauben Sie, daß der Sozialismus auf Kuba eine reale Überlebenschance hat, wenn die Castros eines Tages von der politischen Bühne abtreten?
Langer: Davon bin ich schließlich überzeugt, daß auch ohne die Gebrüder Castro die Entwicklung weitergeführt wird. Wahrscheinlich in dieser oder anderer Nuance etwas anders, aber im Prinzip wird das so gehen, denn es geht nicht nur um die beiden Castro-Brüder, sondern es geht darum, daß eine große Anzahl gebildeter, gut ausgebildeter junger Leute in der Führung vertreten sind, die also durchaus in der Lage sind, das Staatsruder in die Hand zu nehmen, obwohl Fidel Castro nicht nur national, sondern auch international eine Persönlichkeit ist, die wahrscheinlich einmalig in der Welt heutzutage existiert.
von Löwis: Letzte Frage: Was hat der DDR-Diplomat Heinz Langer von Che Guevara gehalten? War Che für Sie eher Idol oder Abenteurer?
Langer: Na ja, das schätzt jeder anders ein. Ich habe ihn persönlich nur zweimal kennen- gelernt. Einmal im Hotel Habana Libre, nach einem großen internationalen Schachturnier, wo ein Großmeister von uns dabei gewesen ist, der Uhlmann aus Dresden, dort hat Che die ganze Woche lang abends die Partien nachgespielt, und ich war damals auch ein großer Schachfanatiker, und da haben wir uns einige Male gesehen. Da war ich noch ein junger Attaché, daß war ’64. Und dann beim Aushandeln des ersten Zuckerabkommens zwischen Kuba und der DDR, wo er sehr hart gekämpft hat um die Preise. Das war schon beeindruckend. Er war sehr still und zurückhaltend und hatte einen sehr kollegialen, kameradschaftlich-freundschaftlichen Umgang mit seinen kubanischen Mitbürgern. Natürlich ist er für seine Ideale gestorben. Es ist natürlich nicht meine Überzeugung, daß man nur durch bewaffnete Aufstände gesellschaftliche Verhältnisse verändern kann. Gesellschaftliche Verhältnisse kann man nur verändern, wenn das gesamte Volk hinter diesen Veränderungen steht.
Das Buch von Heinz Langer ist im Verlag Wiljo Heinen erschienen: Kuba. Die lebendige Revolution, Böklund 2007, 12.00 Euro.
© 2007 Deutschlandradio, 22. Oktober 2007
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