USA: Militär patrouilliert im Inneren
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Von NAOMI WOLF, 8. Oktober 2008:
Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses wurde damit gedroht, es würde Kriegsrecht verhängt werden, falls sie das Bailout-Gesetz nicht verabschieden würden. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein.
Hintergrund: Die 1. Brigade der 3. Infanteriedivision, das sind drei- bis viertausend Soldaten, wird seit dem 1. Oktober in den Vereinigten Staaten eingesetzt. Ihre erklärte Mission besteht in der Kontrolle von Menschenansammlungen, wie sie es von ihrem Einsatz im Irak her kennen, im Überwältigen von „unbotmäßigen Individuen“ sowie im Managen von Notstandssituationen. Ich bin in Seattle und hörte vom Bruder eines dieser Soldaten, dass sie derzeit mit Übungen beschäftigt sind. Amy Goodman* berichtete, dass ein Army-Sprecher bestätigt habe, die Soldaten würden Zugang zu tödlicher und nichttödlicher Waffentechnik zur Kontrolle von Menschenansammlungen haben, sowie zu Panzern.
George Bush hat das Posse-Comitatus-Gesetz außer Kraft gesetzt. Damit ist es nun gesetzlich möglich, dass Militärangehörige in den USA patrouillieren. Außerdem hat er gesetzlich festgelegt, dass die USA sich im “Kampf gegen den Terror” weltweit im Krieg befinden und somit die ganze Welt zum Schlachtfeld wird – das Territorium der USA mit eingeschlossen.
Er hat des Weiteren den Insurrection Act (Aufruhrgesetz) von 1807 geändert, so dass er jetzt in dem nur verschwommen definierten Fall eines „Aufruhrs“ oder eines der vielen anderen „Umstände“, die er als Grund nennen kann, sehr viel weitreichendere Befugnisse hat als vorher. Für den Falls eines “Aufruhrs” gestattet die Verfassung die Außerkraftsetzung des habeas corpus-Prinzips, jenes Grundsatzes, der uns davor schützt, seitens des Staates ergriffen und ohne Anklage festgehalten zu werden. Da ihm nun seine eigene Armee zur Verfügung steht, hat der Präsident noch mehr Möglichkeiten, eine Gruppe Protestierender oder verärgerter Wähler als „Aufrührer“ zu bezeichnen, die einen „Aufruhr“ anzetteln.
Der kalifornische Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses, Brad Sherman, sagte im Kongress – aufgezeichnet von C-Span und abrufbar auf Youtube – , dass einzelnen Mitgliedern des Repräsentantenhauses damit gedroht worden sei, es würde innerhalb einer Woche das Kriegsrecht ausgerufen, wenn das Bailout-Gesetz nicht von ihnen verabschiedet würde:
"Die einzige Möglichkeit, dieses Gesetz durchzubringen, besteht in der Erzeugung und Aufrechterhaltung einer Atmosphäre der Panik. … Vielen von uns wurde in privaten Unterhaltungen gesagt, sollten wir am Montag gegen dieses Gesetz stimmen, würde der Himmel auf die Erde niederstürzen, die Märkte würden am ersten Tag danach um zwei- oder dreitausend Punkte einbrechen, am nächsten noch ein paar tausend Punkte mehr, und einigen Abgeordneten wurde sogar gesagt, in Amerika würde das Kriegsrecht ausgerufen, sollten wir mit Nein stimmen."
Wenn das stimmt und der Kongressabgeordnete Sherman da keine Wahnvorstellungen hat, dann bedenken Sie bitte Folgendes: Wenn sie bereit waren, diesmal mit der Verhängung des Kriegsrechts zu drohen, dann wäre es dumm anzunehmen, sie würden diese Drohung nicht noch einmal verwenden. Es wäre auch dumm anzunehmen, dieser Drohung könne ganz normal per Urnengang abgeholfen werden. Und warum die 1. Brigade im Inneren einsetzen? Das gibt einer solchen Drohung gleich sehr viel mehr Gewicht.
Ich habe den Vietnam-Veteran, pensionierten U.S. Air Force Colonel und Patrioten David Antoon um genauere Erklärung gebeten:
"Wenn der Präsident der 1. Brigade befehlen würde, die Kongressmitglieder zu verhaften – was könnte ihn daran hindern?"
"Nichts. Der Kongress kann nur Finanzmittel entziehen. Seine Mitglieder könnten die Kommandierenden nur bitten, illegalen Befehlen nicht Folge zu leisten. Sie wären ihnen ausgeliefert."
"Aber diese Befehle wären jetzt legal?’"
"Richtig."
"Wenn der Präsident der 1. Brigade befehlen würde, einige Wähler zu verhaften – was könnte ihn daran hindern?"
"Nichts. Die Sache würde am Ende vor Gericht landen, aber die Aktion würde erst einmal ausgeführt werden."
"Wenn der Präsident der 1. Brigade befehlen würde, Zivilisten zu töten – was würde ihn daran hindern?"
"Nichts."
"Was würde ihn daran hindern, die 1. Brigade loszuschicken, um den Herausgeber der Washington Post zu verhaften? "
"Nichs. Er könnte tun, was er im Irak getan hat – einen Panzer die Straße entlang fahren lassen, eine Bombe auf das Gebäude der Washington Post abfeuern, so wie sie es mit Al Jazeera gemacht haben, und hinterher behaupten, sie hätten auf etwas ganz anderes gezielt."
"Was passiert mit den Mitgliedern der 1. Brigade, wenn sie sich weigern, ihre Waffen gegen US-Bürger einzusetzen?"
"Sie würden wahrscheinlich die gleichen Konsequenzen fürchten müssen wie Deserteure im Irak: Verhaftung, Internierung und die Aussicht auf fünf Jahre Gefängnisstrafe. Laut einer Studie von Ann Wright bekommen Deserteure, also Reservisten, die sich weigern, zurück in den Irak zu gehen, höhere Gefängnisstrafen als Kriegsverbrecher."
"Hat der Kongress eigenes Militär zur Verfügung?"
"Nein. Der Kongress hat keine direkte Kontrolle über irgendwelche Militäreinheiten. Die Gouverneure haben die Nationalgarde, aber im Falle eines vom Präsidenten erklärten Notstands sind sie diesem gegenüber verantwortlich.“
"Wer kann den Präsidenten festnehmen lassen?"
"Der Generalstaatsanwalt, nachdem der Präsident nicht mehr im Amt ist oder durch ein Impeachment-Verfahren abgesetzt wurde."
(Anmerkung: Der Staatsanwalt Vincent Bugliosi hat versichert, es sei für Bezirksstaatsanwälte im ganzen Land möglich, Präsident Bush des Mordes anzuklagen, wenn sie Bezirke vertreten, in denen einer oder mehrere Militärangehörige, die im Irak getötet worden sind, vor ihrem Tod ansässig waren.)
"Würden Sie angesichts der gegebenen Gefahr für ein Impeachment-Verfahren eintreten?"
"Ja. Präsident Bush hat mit einem „Signing Statement“ (schriftlicher Kommentar des Präsidenten beim Unterschreiben eines Gesetzes) das Posse-Comitatus-Gesetz verletzt. Laut diesem Gesetz durften US-Präsidenten seit dem Bürgerkrieg bei Strafe von zwei Jahren Gefängnis keine Militärs mehr auf die Straße schicken. Er sollte sofort von beiden Parteien abgesetzt werden, damit er das US-Militär und Söldner nicht gegen US-Bürger einsetzen kann."
"Sollten Amerikaner hochgestellte Militärangehörige ersuchen, sich öffentlich von diesen Vorgängen zu distanzieren und die ihnen Untergebenen dazu aufzurufen, diesen Befehlen keine Folge zu leisten?“
"Die Loyalität aller hochgestellten Militärangehörigen sollte letzten Endes der Verfassung gelten. Alle Offiziere sollten sich im Falle eines ungesetzlichen Befehls öffentlich distanzieren, auch vom Präsidenten."
"Aber wenn diese Befehle jetzt per Gesetz möglich sind, was geschieht dann mit dem Militär, wenn die hochrangigen Offiziere zu Ungehorsam aufrufen?"
"Vielleicht werden sie verhaftet und angeklagt wegen ihrer Weigerung, an dem gegenwärtigen illegalen Krieg teilzunehmen. Das würde man als einen Coup bezeichnen."
"Aber es ist doch schon jetzt ein Coup."
"Ja."
*Amy Goodman ist eine US-amerikanische Radio-Journalistin, die engagiert für Frieden, Menschenrechte und unabhängige Medien eintritt.
Die Autorin Naomi Wolf ist amerikanische Schriftstellerin und vertritt progressive politische Positionen. Zuletzt machte sie im Jahr 2007 mit dem Buch „The End of America: A Letter of Warning to a Young Patriot“ auf sich aufmerksam und sorgte mit ihrem Vorwurf für Furore, die Bush-Administration steuere Amerika in eine faschistische Diktatur. Sie bezeichnet sich selbst als liberale Feministin.
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Übersetzung für HINTERGRUND mit Erlaubnis der Autorin: Berna Kühne-Spicer. © alternet.com, für die deutsche Fassung © hintergrund.de