Gefahr einer Konfrontation in der Region steigt

USA kündigen Atomabkommen mit dem Iran

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Der Konflikt um das iranische Nuklearprogramm scheint erneut zu eskalieren, nachdem US-Präsident Donald Trump am 8. Mai erklärt hatte, die USA würden das Atomabkommen mit dem Iran aufkündigen. Dem Iran stehen wegen der Entscheidung der US-Regierung harte Sanktionen bevor und es gibt bereits Warnungen vor einer militärischen Konfrontation. Russland, Frankreich, Deutschland und Großbritannien bedauerten die US-Entscheidung. Sie wollen jedoch weiterhin – auch ohne Washington – an der Vereinbarung festhalten.

Trump erklärte vor den Fernsehkameras wörtlich: „Es ist eine Tatsache, dass es ein schreckliches, einseitiges Abkommen war, dass nie, nie hätte abgeschlossen werden sollen. – Im Herzen des Deals stand die gigantische Illusion, dass ein mörderisches Regime nur ein friedliches Nuklearprogramm anstrebt.“ Mit Blick auf Unterlagen, die der israelische Regierungschef Netanjahu in der Vorwoche präsentiert hatte, sagte Trump: „Wir haben definitive Beweise, dass Irans Versprechen eine Lüge war.“

Der US-Behauptung „definitive Beweise“ dafür zu haben, Teheran habe nach dem Jahr 2015 weiter an der Entwicklung ballistischer, nuklear zu bewaffnender Raketen gearbeitet, widersprach Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Nein, das ist nicht glaubhaft“, so Perthes. Auch die Chefs der US-Geheimdienste hätten noch in den letzten Tagen im Kongress gesagt, es gebe keinerlei Anzeichen dafür, dass Iran seinen Verpflichtungen aus dem Abkommen nicht nachkomme.

Aus einer Anordnung (Presidential Memorandum) Trumps an sein Kabinett geht hervor, dass der Verteidigungsminister sich darauf vorbereiten soll, jegliche mögliche Aggression des Iran gegen die Vereinigten Staaten, die Verbündeten und Partner der USA „rasch und entschlossen“ abzuwehren.

US-Sanktionspolitik trifft Europa

Eine weitere Anordnung betrifft die US-Sanktionspolitik. Sie besagt, dass alle zuletzt ausgesetzten und aufgehobenen Sanktionen gegen den Iran „so schnell wie möglich“ wieder eingesetzt werden sollen, spätestens aber nach 180 Tagen. Die Regierung soll Handreichungen für die US-Wirtschaft und internationale Firmen vorbereiten, um über das „Ausmaß der verbotenen und mit Sanktionen belegten Aktivitäten“ aufzuklären. Zudem soll die Notwendigkeit betont werden, jegliche Geschäfte dieser Art mit Iranern zu beenden.

Im Klartext heißt das, die sogenannten Sekundär-Sanktionen bestrafen nicht US-amerikanische oder iranische Unternehmen, sie zielen vielmehr auf Unternehmen aus anderen Ländern, etwa aus EU-Staaten. Führende deutsche Wirtschaftsverbände befürchten Einbußen im Handel mit dem Iran. Deutschland ist einer der wichtigsten europäischen Handelspartner. Der neue US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, forderte deutsche Unternehmen prompt auf, Geschäfte mit dem Iran „sofort“ herunterzufahren. Die EU dürfte hingegen versuchen, die wirtschaftlichen Folgen der US-Sanktionen für den Iran zu begrenzen und bezüglich des eigenen Außenhandels den Status Quo aufrechtzuerhalten.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) erklärte, mit der Entscheidung Trumps verdüsterten sich die Perspektiven für die deutsch-iranischen Wirtschaftsbeziehungen. „Jetzt sind Bundesregierung und die EU gefragt, das europäische Irangeschäft zu schützen und verlorenes Vertrauen wieder herzustellen.“

Mit der Aufkündigung des Atomabkommens stehen für Unternehmen Milliardensummen auf dem Spiel, erhielten sie doch durch das Abkommen Zugang zu einem riesigen, weitgehend unerschlossenen Markt mit rund 80 Millionen potenziellen Kunden. Dies könnte jetzt gefährdet sein.

EU will am Atomabkommen festhalten

Die Europäische Union will trotz der US-amerikanischen Entscheidung an den bisherigen Vereinbarungen festhalten. „So lange sich Iran an seine nuklearen Verpflichtungen hält – was er bislang tut – wird die EU der vollen Umsetzung des Abkommens verpflichtet bleiben“, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Abend in Rom. „Wir vertrauen voll auf die Kompetenz und Unabhängigkeit der Internationalen Atomenergiebehörde, die zehn Berichte veröffentlicht hat, in denen Iran die volle Einhaltung der Verpflichtungen bescheinigt wird“, so Mogherini.

„Der Iran hält an der Vereinbarung fest.“ Das versicherte der iranische Präsident Hassan Rohani in einer Fernsehansprache. Die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump werde daran nichts ändern. „Wir haben statt eines Abkommens mit sechs Staaten nun eines mit fünf“, sagte Rohani. „Wir lassen nicht zu, dass Trump diesen psychologischen Krieg gewinnt.“ In den nächsten Wochen würden iranische Diplomaten mit den anderen fünf Verhandlungspartnern das weitere Verfahren besprechen.

Während der US-Ausstieg international allgemein kritisiert wurde, begrüßten Israel und Saudi-Arabien Trumps Entscheidung. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu lobte sie als „mutig und richtig“. Er forderte die Weltgemeinschaft dazu auf, ebenfalls aus dem Atomabkommen auszusteigen, neue Sanktionen gegen den Iran zu verhängen und „die iranische Aggression in unserer Region zu stoppen, vor allem in Syrien“. Auch Saudi-Arabien begrüßte die US-Entscheidung und hofft, so das sunnitische Königreich, dass die internationale Gemeinschaft Schritte ergreifen werde, um der „iranischen Gefahr“ für die Sicherheit zu begegnen.

Die linksliberale israelische Zeitung Ha’aretz kritisierte die US-Entscheidung und erklärte: „Die hart formulierte Erklärung Trumps (…) erhöht die Gefahr einer Konfrontation in der Region. – Netanjahu beeilte sich am Dienstag, Trump zu gratulieren, während er seine kriegerische Rhetorik gegen den Iran fortsetzte. Anstatt die hohen Spannungen zwischen Israel und dem Iran zu verringern, (…) heizen der Ministerpräsident und Verteidigungsminister Avigdor Lieberman lieber die Lage in der Region an und lassen die Muskeln spielen. Dieses Verhalten könnte uns teuer zu stehen kommen.“

Laut syrischen Angaben hat Israel unmittelbar nach Trumps Erklärung in der Nacht Ziele südlich der syrischen Hauptstadt bombardiert. Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana meldete, es seien Raketen auf das Gebiet von Kesswa abgeschossen und von der syrischen Raketenabwehr zerstört worden. Die syrische Regierung hatte den US-Ausstieg scharf kritisiert. Die israelische Armee wurde kurz vor Trumps Rede in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.

Krieg wahrscheinlicher gemacht

Die amerikanische Washington Post mahnte, Trump habe das Risiko für einen Konflikt erhöht. „Saudi-Arabien und Israel hoffen vermutlich“, so die Post, „dass Trumps Entscheidung die USA durch eine Konfrontation mit ihrem Feind Iran wieder in den Nahen Osten zurückbringt. Der Präsident hat oft gesagt, dass er keine weiteren Kriege im Nahen Osten wünscht; seine Entscheidung hat einen Krieg wahrscheinlicher gemacht“.

Der frühere US-Präsident Barack Obama kritisierte die Entscheidung seines Nachfolgers scharf. „Ohne das Atomabkommen könnten die Vereinigten Staaten vor die negative Entscheidung gestellt werden, ob sie einen atomar aufgerüsteten Iran akzeptieren wollen oder einen weiteren Krieg im Nahen Osten“, so Obama.

Auch China kritisierte den US-Ausstieg. Außenamtssprecher Lu Kang bedauerte die Entscheidung. Es sei ein multilaterales Abkommen, das der UN-Sicherheitsrat gebilligt habe. „Alle Seiten sollten es ernsthaft umsetzen.“ Die Tageszeitung China Daily hatte den Ausstieg in einem Kommentar als „eine Bedrohung für die Weltordnung“ bezeichnet. Das russische Außenministerium beanstandete den rücksichtslosen Alleingang der USA. Er trage den Interessen anderer Nationen nicht Rechnung und verletze die Normen internationalen Rechts, hieß es in einer Erklärung des Ministeriums in Moskau. Russland sei bereit, mit den anderen Teilnehmern weiter zusammenzuarbeiten und baue seine Kooperation mit dem Iran aus.

Die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Internationale Kampagne für ein Atomwaffenverbot (ICAN) hat die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump zum Rückzug aus dem Atomabkommen mit dem Iran als „höchst unverantwortlich“ bewertet. „Sie sprengt ein funktionierendes Abkommen und versetzt der Glaubwürdigkeit der USA als Vertrags- und Diplomatiepartner einen bedeutenden Schlag“, erklärte die Organisation.

(mit dpa)

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Presidential Memorandum „Ceasing U.S. Participation in the JCPOA and Taking Additional Action to Counter Iran’s Malign Influence and Deny Iran All Paths to a Nuclear Weapon“:

https://www.whitehouse.gov/presidential-actions/ceasing-u-s-participation-jcpoa-taking-additional-action-counter-irans-malign-influence-deny-iran-paths-nuclear-weapon/

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