Weltpolitik

„Unsere Aufgabe ist es, die Städte zu säubern“

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

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Rechte Bataillone im Donbass. Kein Ende der Angriffe auf die Zivilbevölkerung. Krisengespräche bislang ohne nennenswertes Ergebnis. –  

Von SEBASTIAN RANGE, 19. August 2014 –

Die Außenminister der Ukraine und Russlands entscheiden am Dienstag mit ihren westlichen Kollegen über eine Fortsetzung der Krisengespräche zur Lage in der Ostukraine. Während im Donbass unvermindert gekämpft wird, wollen die beiden Länder gemeinsam mit den Vermittlern Deutschland und Frankreich mitteilen, ob sie weiter über eine Friedenslösung beraten werden. Bei einem Treffen zur Lage in dem Kriegsgebiet hatte es am Sonntagabend in Berlin kaum Fortschritte gegeben.

Bundesaußenminister Steinmeier bewertete als Gastgeber des Treffens dessen  Ausgang dennoch nicht als unbefriedigend. „Es war ein notwendiges Gespräch in einer schwierigen Zeit“, sagte der SPD-Politiker.

Erstmals seit Ausbruch der Ukraine-Krise will Bundeskanzlerin Angela Merkel  diesen Samstag nach Kiew reisen. Merkel werde bei dem eintägigen Besuch den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Ministerpräsident Arseni Jazenjuk treffen, teilte das Bundespresseamt am Dienstag in Berlin mit. Bei einem Besuch in der früheren Sowjetrepublik Lettland verteidigte Merkel unterdessen die EU-Sanktionen gegen Russland. Diese seien notwendig gewesen, um die „Ernsthaftigkeit unserer Überzeugungen“ zu zeigen. Sie kündigte eine „sehr viel stärkere Präsenz“ der NATO auf dem Baltikum an. „Deutschland ist bereit, seinen Beitrag zu leisten, um die verständlichen und berechtigten Sicherheitsbedürfnisse der Balten zu erfüllen“, so Merkel.

Russland verlangte erneut angesichts der dramatischen Folgen für die Zivilbevölkerung ein Ende der Angriffe der ukrainischen  Regierungstruppen auf Ortschaften und Städte im Donbass.

Mit unverminderter Härte führt Kiew seinen als „Anti-Terror-Operation“ deklarierten Krieg gegen die aufständische Bevölkerung in der Bergbauregion fort. Der Tod vieler Zivilisten wird dabei nicht nur als „Kollateralschaden“ in Kauf genommen. Die Art der Kriegsführung macht hohe Verluste unter der Zivilbevölkerung unvermeidlich und trägt – wie bereits vor zwei Monaten in Ansätzen erkennbar (1) – die Handschrift  einer ethnischen Säuberung. Statt gezielter Angriffe auf Stellungen der Aufständischen nehmen die Regierungstruppen die von ihnen belagerten Städte und Ortschaften großflächig mit schwerer Artillerie und Mehrfach-Raketenwerfern unter Beschuss. Wiederholt wurden dabei auch  Krankenhäuser, Schulen, Marktplätze und Kirchen getroffen. Allein in Lugansk sind laut Angaben der Stadtverwaltung vierzig Schulen und sieben Krankenhäuser betroffen. (2) Mittlerweile setzt Kiew sogar ballistische Raketen gegen Wohngebiete ein. (3)

Der willkürliche Beschuss von Wohngebieten komme selbst laut Aussage der pro-westlichen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einem Kriegsverbrechen gleich. (4) Knapp eine Million Menschen sind inzwischen aus dem Donbass geflohen, die meisten davon nach Russland. Laut UN-Abgaben  ist die Zahl der Todesopfer in der Ostukraine zwischen Mitte April bis zum 10. August auf 2086 gestiegen. Die tatsächliche Zahl dürfte allerdings weit höher liegen.

Während zerfetzte Leichen im Straßenbild von Donezk und Lugansk und deren Vororten mittlerweile zum traurigen Alltag gehören, leidet die Bevölkerung zunehmend unter dem Zusammenbruch der Wasser- und Energieversorgung. In Lugansk ist die Strom- und Wasserzufuhr bereits seit zwei Wochen weitgehend ausgefallen. Auch Nahrungsmittel und Arzneien werden knapp, viele Apotheken haben bereits geschlossen. Die humanitäre Katastrophe wird befördert durch Kiews Bemühungen, die von den Aufständischen kontrollierten Städte komplett zu blockieren und somit von der Lieferung von Hilfsgütern abzuschneiden.

Während die ukrainische Regierung nach wie vor an der grotesken Behauptung festhält, die Aufständischen würden ihre eigenen Städte beschießen, um es Kiew anzulasten, gestehen selbst Vertreter der ukrainischen Streitkräfte ein, dass sie Städte mit Artilleriefeuer belegen.

In einem Interview erläuterte der Vizekommandeur des Freiwilligen-Bataillons „Shakhtarsk“ die Vorgehensweise seiner Einheit in Zusammenarbeit mit der ukrainischen Armee folgendermaßen: „Unsere Aufgabe ist es, die Städte zu säubern, nachdem die Armee dieses Territorium mit Artillerie, Flugzeugen und schwerer Technik bearbeitet hat.“ Das sei die „normale taktische Herangehensweise in solchen Situationen“. (5)

Das Bataillon „Shakhtarsk“ setzt sich ebenso wie die anderen Freiwilligeneinheiten „Asov“, „Donbass“ und „Dnepr“,  vornehmlich aus Neonazis und anderen Rechtsradikalen zusammen, darunter viele ehemals verurteilte Straftäter. (6)

Im Gegensatz zu den regulären – und weitgehend unmotivierten – Armeekräften, die aus relativ sicherer Entfernung Städte mit einem Hagel aus Granaten, Bomben und Raketen eindecken, sind es die rechten Freiwilligeneinheiten, die mit ihren Vorstößen häufiger in direkten Feindkontakt kommen. Wobei, ihrem Auftreten nach zu urteilen, diese Bataillone die gesamte Donbass-Bevölkerung als Feind betrachten – und sich entsprechend zahlreicher schwerer Menschrechtsverbrechen schuldig gemacht haben. Unter anderem wirft Amnesty International dem „Shakhtarsk“- Kommandeur Oleg Lyashko die Folter willkürlich verhafteter Menschen vor. (7) Der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Kopf der „Radikalen Partei“ macht aus seinen Taten keinen Hehl. Zur Begeisterung der eigenen Anhänger werden entsprechende Videos ins Netz gestellt, die zeigen, wie Lyashko bei „Verhören“ Gefangenen mit dem Tode droht und ihnen auch physische Gewalt zufügt.  

Amnesty International „betrachtet die Handlungen von Oleg Lyashko und seinen bewaffneten Truppen als gravierende Verletzung internationaler rechtlicher Standards, nach denen ausschließlich die zuständigen staatlichen Behörden Personen verhaften und in Gewahrsam nehmen können.“ Trotz dieser Vorwürfe liegt die „Radikale Partei“ in aktuellen Umfragen vorn. (8)

Die vom britischen Telegraph als „Neonazi-Brigaden“ (9) bezeichneten Bataillone umfassen Schätzungen zufolge bis zu siebentausend Kämpfer und unterstehen faktisch nicht der Kontrolle der Regierung. Ihnen kommt die Hauptlast bei der anvisierten Eroberung von Donezk und Lugansk zu. Alleine schon, weil es um die Moral in den regulären Einheiten so schlecht bestellt ist, dass diese kaum in der Lage sind, den verlustreichen Kampf in den Städten auszufechten.

Die Faschisten wissen daher um ihre unverzichtbare Stellung, soll die „Anti-Terror-Operation“ noch den gewünschten Erfolg erbringen. Entsprechend nutzen sie ihr Gewicht im internen Machtkampf aus.

Noch am Wochenende hatte der Führer des „Rechten Sektor“, Dmitrij Jarosch, der Poroschenko-Regierung ein Ultimatum gestellt, innerhalb der nächsten 48 Stunden Kämpfer der Neonaziorganisation freizulassen, die Tage zuvor wegen illegalen Waffenbesitzes festgenommen worden waren. Zudem forderte er die Entlassung des stellvertretenden Innenministers Wladimir Jewdokimow. Andernfalls würden sich seine Männer aus der „Anti-Terror-Operation“ zurückziehen und eine „bewaffnete Offensive“ gegen die neuen Machthaber in Kiew organisieren.

Die Regierung kam unterdessen den „Forderungen“ nach und entließ sowohl die Mitglieder des „Rechten Sektor“ aus der Haft sowie den stellvertretenden Innenminister aus seinem Amt – woraufhin Jarosch das Ultimatum widerrief.

Bei einem Treffen am Montag zwischen Innenminister Arsen Awakow mit dem Pressesprecher des „Rechten Sektors“, Borislaw Beresa, wurde sich auf die weitere Zusammenarbeit verständigt. Awakow sprach dabei von „Respekt“ gegenüber der „Bewegung“, während sein Berater den Beitrag der Neonazis beim „Kampf gegen den Terrorismus“ würdigte. (10)

Glaubt man der Darstellung der Kiewer Regierung, die täglich neue Siegesmeldungen herausgibt und behauptet, ein Großteil der Aufständischen wäre bereits aufgrund der drohenden Niederlage auf der Flucht, ist die komplette Eroberung der Städte Donezk und Lugansk nur eine Frage weniger Tage. Doch die Offensive gegen die Aufständischen ist an den meisten Frontabschnitten zum Erliegen gekommen. Immer neue Reserven müssen aufgrund hoher Verluste, über die sich Kiew geflissentlich ausschweigt, an die Front geworfen werden. Die vor Wochen verkündete Generalmobilmachung trifft auf breiten Widerstand. Angehörige von Soldaten blockieren auch im Westen des Landes Straßen und Kasernen, auf Wehrämter werden Anschläge verübt und nur ein geringer Prozentsatz der Einberufenen findet sich dort ein. Die Kampfmoral der Aufständischen scheint hingegen ungebrochen, wie selbst ein Kommandeur des Nazi-Bataillons „Donbass“ vor Kurzem eingestand. Die Darstellung der ukrainischen Medien, wonach „die Separatisten verzweifelt seien und massenhaft fliehen“, sei falsch.  Sie befänden sich stattdessen an mehreren Orten in der Offensive. (11) Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, warum Kiew vor Tagen die NATO um militärischen Beistand ersuchte, obwohl der Sieg laut eigener Propaganda doch zum Greifen nahe ist.

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(mit dpa)


Anmerkungen
(1) Siehe: http://www.hintergrund.de/201406193124/globales/kriege/aufforderung-zur-kapitulation.html
(2) http://korrespondent.net/ukraine/3403230-v-luhanske-razrusheny-sorok-shkol-y-sem-bolnyts
(3) Siehe: http://www.dw.de/ukraine-denies-using-ballistic-missiles/a-17827342
http://www.globalresearch.ca/crimes-against-humanity-ukraine-government-uses-ballistic-missile-against-its-own-people/5395035
(4) http://www.hrw.org/news/2014/07/24/ukraine-unguided-rockets-killing-civilians
(5) http://korrespondent.net/ukraine/politics/3405701-v-batalone-shakhtersk-kosvenno-pryznaly-artobstrely-horodov-donbassa
(6)  http://igcp.eu/hronika-prestupleniy/lyashko-half-soldiers-azov-battalion-are-previous-convicts?language=en
(7) http://www.amnesty.de/2014/8/14/ukrainisches-parlamentsmitglied-entfuehrungen-beteiligt
Siehe auch: http://www.kyivpost.com/content/ukraine/amnesty-international-criticizes-vigilante-ukrainian-lawmaker-lyashko-359586.html
(8) http://euromaidanpress.com/2014/07/05/soziologen-prognostizieren-sieg-von-ljaschkos-radikaler-partei/
(9) http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/europe/ukraine/11025137/Ukraine-crisis-the-neo-Nazi-brigade-fighting-pro-Russian-separatists.html
(10) http://www.jungewelt.de/2014/08-19/046.php
http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/ukraine-innenministerium-in-kiew-will-mit-radikalen-kooperieren-13104401.html
(11) http://korrespondent.net/ukraine/politics/3406824-kombat-donbassa-soobschyl-ob-ukhudshenyy-sytuatsyy-na-fronte

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