Weltpolitik

Ukraine: Rechtsextremismus, Korruption und Mord

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Wie ein Land im Ost-West-Konflikt zugrunde geht – 

Ein Kommentar von WOLFGANG BITTNER, 4. August 2015 – 

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2015 warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor „Russlands Vorsprung im Informationskrieg“ und vor „Missinformation, Infiltrierung und Verunsicherung“, womit es sich „auseinanderzusetzen“ gelte. (1) In der FAZ ortete man die Missinformanten, Infiltrierer und Verunsicherer unter den Bloggern und in Webseiten, die damit beschäftigt seien, „Moskaus Sicht der Dinge in die Welt zu tragen“. (2) Anstatt die Fakten im Konflikt mit Russland zur Kenntnis zu nehmen, wird weiter gehetzt, verschleiert und gelogen.

Seit 30. Mai 2015 Gouverneur von Odessa: Michail Saakaschwili. Der ehemalige Präsident von Georgien wird von seinem Heimatland wegen Amtsmissbrauch und Unterschlagung per internationalem Haftbefehl gesucht. Das trübt sein traditionell gutes Verhältnis zu den US-Präsidenten keineswegs.
George W. Bush hielt große Stücke auf seinen Freund Saakaschwili.
Auch unter der Präsidentschaft Obama pflegt Saakaschwili seine guten Kontakte ins Weiße Haus: Im Juni dieses Jahres bereiste er die USA, um „die Investitionsmöglichkeiten in der Region von Odessa internationalen Investoren vorzustellen“.

Nach wie vor lesen, sehen und hören wir, die neue Kiewer Regierung sei frei gewählt worden und demokratisch legitimiert, der Staatspräsident Petro Poroschenko sei im Gegensatz zu seinem Vorgänger Viktor Janukowitsch ein Ehrenmann, ebenso wie der Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, und im Parlament der Ukraine gebe es keine Rechtsextremisten, erst recht keine Faschisten.

In der Tat sind am 26. Oktober 2014 keine faschistischen Parteien in die Kiewer Werchowna Rada gewählt worden, aber Faschisten sind über andere Parteien und Direktmandate ins Parlament gekommen. So zum Beispiel der Anführer des „Rechten Sektors“ auf dem Maidain, Dimitri Jarosch, oder der Vorsitzende der rechtsextremen Swoboda-Partei, Oleg Tjagnibok. (3)

Auch Regierungsmitglieder, hochrangige Militärs und Polizeibeamte gehören rechtsextremen Organisationen an. (4) Polizeichef von Kiew wurde Wadim Trojan, der seine Berufserfahrungen als Kommandeur rechtsextremistischer Milizen wie dem Asow-Bataillon sammelte (Markenzeichen ist die Wolfsangel (5)). Dessen Kämpfer tragen zum Teil SS-Runen oder Hakenkreuze an den Stahlhelmen. Wir müssen lange suchen, bis wir in unseren Medien solche Informationen finden.

Seit Langem schon ist festzustellen, dass es an einer Aufklärung über die tatsächlichen Verhältnisse in der Westukraine fehlt, dass fragwürdige oder falsche Erklärungen der Kiewer Regierung von westlichen Medien unbeanstandet übernommen werden und über bestimmte Geschehnisse nicht oder unzureichend berichtet wird. Zum Beispiel gab es nur kurze Meldungen darüber, dass der georgische Ex-Präsident Michail Saakaschwili von Staatschef Petro Poroschenko im Mai 2015 zum Gouverneur der Region Odessa ernannt wurde, nachdem er kurz zuvor eingebürgert worden war. Gehälter einiger seiner Mitarbeiter werden von den USA bezahlt, wie der US-Botschafter zugab. (6) Gegen Saakaschwili, der seit 2013 in den USA lebte und für eine „effektive Militärhilfe“ für die Ukraine warb, liegt in Georgien ein Haftbefehl wegen Amtsmissbrauchs vor, er stand auf der Fahndungsliste von Interpol. (7)

Der neue Gouverneur ernannte dann nach einem Treffen mit US-Botschafter Geoffrey Pyatt (der sich seinerzeit mit Victoria Nuland über die Einsetzung von Arsenij Jazenjuk zum Ministerpräsidenten abgesprochen hatte (8)) die 25-jährige Schauspielerin Julia Maruschewska zu seiner Stellvertreterin. Die Maidan-Aktivistin war durch ein angeblich von ihr selbst produziertes Video „Ich bin eine Ukrainerin“ bekannt geworden. Der Clip, der es auf über 7,5 Millionen Aufrufe brachte, zeigte die junge Frau auf dem Maidan-Platz, wie sie sehr emotional zum Widerstand gegen die Regierung Janukowitsch aufrief und um Unterstützung der Demonstranten durch „den Westen“ warb. Allerdings wurde berichtet, dass der Clip, der intensiv von CNN verbreitet worden ist, unter maßgeblicher Beteiligung des Hollywood-Produzenten Ben Moses und der US-Stiftung National Endowmentfor Democracy zustande gekommen (9), also eine PR-Aktion gewesen sein soll.

Der Herausgeber des Internetportals NachDenkSeiten, Albrecht Müller, schrieb dazu, „An diesem Stück kann man studieren, wie Propaganda läuft und wie sehr die USA die Innenpolitik anderer Länder, im konkreten Fall der Ukraine, bestimmen. Das Beispiel des in Hollywood produzierten Clips für den Maidan erinnert an die alte Geschichte zu Beginn des ersten Irak-Krieges. Damals wurde die Grausamkeit der irakischen Soldaten mit einem eigens von einer US-Agentur produzierten Clip ‚bewiesen‘“. (10)

Überhaupt haben die Film-Produktionen, mit denen Hollywood die ganze Welt überschwemmt, einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Lebenswirklichkeit der Menschen. Kaum jemand kann sich dem noch entziehen. In vielen dieser Streifen werden Konflikte üblicherweise durch Schießen, Hauen und Stechen gelöst. Parallel zu den weltweiten militärischen Interventionen findet eine Hollywood-Gehirnwäsche statt, die den Menschen einen vermeintlich erstrebenswerten American Way of Life oktroyiert und sie mit einer Form von Konfliktbewältigung vertraut macht, die alles andere als human und friedensstiftend ist.

Skandale, Korruption, Provokationen und Verbrechen. Über die prekäre Situation der ukrainischen Bevölkerung wird kaum berichtet, und nur beiläufig erfuhr die Öffentlichkeit von einer Serie mysteriöser Todesfälle ukrainischer Oppositioneller. Mindestens sieben der Opfer – ehemalige hohe Amtsträger, Funktionäre und Politiker – waren Mitglieder der „Partei der Regionen“, der auch der gestürzte Ministerpräsident Janukowitsch angehörte. Mehrere von ihnen haben angeblich Selbstmord begangen, so der ehemalige Vorsitzende des Regionalrates in Charkow, Nicholai Sergienko; der ehemalige Bürgermeister von Melitopol, Sergei Walter; der Polizeichef von Melitopol, Sergey Bordyuga und der ehemalige Abgeordnete Stanislaw Melnik. Der frühere Parlamentsabgeordnete Oleg Kalaschnikow wurde in seinem Kiewer Haus mit Schusswunden tot aufgefunden; der ehemaliger Leiter des staatlichen Grundstücksfonds, Michael Chechetow, stürzte am 27. Februar 2015 aus einem Fenster seiner Wohnung; am 12. März wurde der ehemalige Gouverneur von Saporischschja, Alexander Peklushenko, mit einem Genickschuss tot aufgefunden. Obwohl es keine Abschiedsbriefe gab und die Umstände auf Mord schließen ließen, war die offizielle Version des ukrainischen Innenministeriums bei Chechetow und der Kriminalpolizei bei Peklushenko „Selbstmord“. (11)

Ebenfalls im Stillen ist die Einflussnahme auf die ukrainische Wirtschaft erfolgt. Nachdem bereits Vorstandsposten von Angehörigen der US-Politikerkaste besetzt wurden (12), hat inzwischen die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen und der Kampf um die fruchtbare „Schwarze Erde“ des Landes begonnen. Das vom ehemaligen Präsidenten Janukowitsch abgelehnte und von Petro Poroschenko unterzeichnete Assoziierungsabkommen mit der EU, für das der Internationale Währungsfonds (IWF) 17 Millionen Dollar bereitstellte, war an Bedingungen geknüpft.

Der Ökonom Frédéric Mousseau, Direktor am Oakland Institute in Kalifornien, schrieb dazu: „Nach der Machtübernahme durch die prowestliche Regierung leitete der IWF als Vorbedingung für die Kreditvergabe ein Reformprogramm ein, das auf die Förderung von Privatinvestitionen im Lande abzielte. Das Maßnahmenpaket beinhaltete auch die Reform der öffentlichen Wasser- und Stromversorgung und die Beseitigung dessen, was die Weltbank als ‚strukturelle Ursachen‘ der derzeitigen ukrainischen Wirtschaftskrise bezeichnet hat: die hohen Kosten für Unternehmen, die in dem Land Geschäfte machen. Der ukrainische Agrarsektor gehört zu den vorrangigen Zielen ausländischer Privatinvestitionen und wird vom IWF und von der Weltbank deshalb als prioritär reformbedürftig eingestuft. Beide Finanzinstitutionen loben die Bereitschaft der neuen Regierung, ihren Empfehlungen zu folgen.“ (13)/(14)

Eine „Agrarreform“ sieht den „erleichterten Zugang zu Agrarland, weniger Regulierung und Kontrollen im Nahrungsmittel- und Nutzpflanzensektor und die Senkung von Steuern und Zöllen für Unternehmen vor“ (15). Mousseau stellt fest: „Der Aufwand, der um den ukrainischen Agrarsektor mit seinen ausgedehnten Schwarzerdeböden betrieben wird, könnte kaum höher sein. Das drittgrößte Mais- und fünftgrößte Weizenexportland der Welt verfügt über mehr als 32 Millionen Hektar fruchtbaren Ackerlands. Das entspricht in etwa einem Drittel der gesamten EU-Agrarfläche.“ (16)

Der Ökonom ist der Meinung: „Das Taktieren um die Kontrolle des Landwirtschaftssektors ist ein ausschlaggebender Faktor im größten Ost-West-Konflikt seit dem Kalten Krieg… Agrarkonzerne wie Monsanto, Cargill und DuPont sind bereits seit geraumer Zeit in der Ukraine präsent und haben ihre Investitionen in den letzten Jahren erheblich erhöht. Obwohl die Ukraine die Herstellung von genetisch verändertem Saatgut nicht erlaubt, enthält das Assoziierungsabkommen zwischen der Ukraine und der EU, an dem sich der Konflikt entzündet hatte, der zur Absetzung von Janukowitsch führte, in Artikel 404 eine Klausel, in der sich beide Vertragspartner verpflichten, ‚die Anwendung der Biotechnologie innerhalb des Landes auszuweiten‘“ – ein „Türöffner, wie ihn sich die großen Agro- und Saatgutkonzerne wie Monsanto wünschen, um ihre Genprodukte auf den europäischen Markt zu bringen“. (17)

Die Griechenland-Krise hat fast alle diese Informationen überdeckt und in den Hintergrund gerückt. Mehr oder weniger offen wird mit weitgehenden Konsequenzen für Europa ein ganzes Land von ausländischen Kräften übernommen, aber die Öffentlichkeit erfährt das eher beiläufig, wenn überhaupt.


 

Der Autor: Wolfgang Bittner ist Schriftsteller und Jurist. Zuletzt erschien von ihm das vielbeachtete Buch „Die Eroberung Europas durch die USA“.


 

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Quellenhinweise

(1) Angela Merkel, zit. n.: http://www.faz.net/aktuell/politik/sicherheitskonferenz-2015/der-ungleiche-kampf-um-die-deutungshoheit-13417093.html (08.02.2015).
(2) Mathias Müller von Blumencron, Sicherheitskonferenz. Der ungleiche Kampf um die Deutungshoheit, FAZ, 08.02.2015 (http://www.faz.net/aktuell/politik/sicherheitskonferenz-2015/der-ungleiche-kampf-um-die-deutungshoheit-13417093.html (08.02.2015).
(3) Er rief 2004 dazu auf, „Russensäue, Judenschweine und sonstiges Gesindel“ zu bekämpfen.
(4) Dazu: Sebastian Range, hintergrund.de, Ukraine: Prowestliche Parteien bilden Koalitionsregierung, 25.11.2015, http://www.hintergrund.de/201411253319/politik/welt/ukraine-prowestliche-parteien-bilden-koalitionsregierung.html mit weiteren Nachweisen (25.7.2015).
(5) Das Symbol steht in Deutschland auf der Liste der verbotenen Zeichen und darf nach § 86a Strafgesetzbuch nicht öffentlich verbreitet werden.
(6) Nina Jeglinski: Ukraine: Ein Fünkchen Hoffnung auf ein bisschen Frieden, Der Tagesspiegel, 19.7.2015, http://www.tagesspiegel.de/politik/krieg-im-donbass-ukraine-ein-fuenkchen-hoffnung-auf-ein-bisschen-frieden/12076996.html (20.7.2015).
(7) Deutsche Wirtschafts Nachrichten, 2.6.2015, http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2015/06/02/ukraine-poroschenko-ernennt-ex-staatschef-georgiens-zum-gouverneur/ (19.7.2015).
(8)Albrecht Müller, Vom Abbau der Konfrontation in Europa zum Wiederaufbau der Konfrontation. Die Toten von Kiew sind die Opfer dieses Wahnsinns; zit. n.: http://www.nachdenkseiten.de/?p=20781#more-20781 (19.2.14).
(9) Deborah Stambler, I Am a Ukrainian: Can You Be Viral und Anonymous?, The Huffington Post, 15.4.2014, http://www.huffingtonpost.com/deborah-stambler/i-am-a-ukrainian-can-you-_b_4781793.html (3.8.2015);dazu auch: RT Deutsch, Wie Hollywood und US-Diplomaten die ukrainische Innenpolitik lenken, 18.7.2015, http://www.rtdeutsch.com/26291/headline/hollywood-und-us-diplomaten-lenken-ukrainische-innenpolitik/(24.7.2015)
(10) Albrecht Müller, Russland/Ukraine, 20.7.2015, http://www.nachdenkseiten.de/?p=26861#h05, (20.7.2015).
(11) RT Deutsch, Mordserie gegen Oppositionspolitiker in der Ukraine hält an, 16.4.2015, http://www.rtdeutsch.com/17071/headline/mordserie-gegen-oppositionspolitiker-in-der-ukraine-haelt-an-und-die-westlichen-medien-schweigen/ (24.7.2015); dazu auch: Die Zeit, http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-04/ukraine-morde-busina-upa (17.4.2015).
(12)»Sohn von US-Vizepräsident Biden heuert bei ukrainischem Gaskonzern an«; zit. n.: http://www.zeit.de/wirtschaft/2014-05/joe-biden-ukraine-gas-sohn-hunter-devon-archer-john-kerry (23.9.14).
(13)Frédéric Mousseau: Die schwarze Erde lockt, Der Freitag 08.04.2015.
(14) Vergleiche mit der Einflussnahme von IWF und Weltbank in Griechenland bieten sich an.
(15)FrédéricMousseau, a.a.O.
(16)FrédéricMousseau, a.a.O.
(17)FrédéricMousseau, a.a.O.

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