Syriens Kampf um die Souveränität
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Auch die Opposition ist gegen die Einmischung des Westens. Irakische Zustände werden befürchtet –
Von REDAKTION, 18. August 2011 –
Widersprüchliche Nachrichten aus Syrien: Auf der einen Seite wird berichtet, dass Präsident Baschar al-Assad in der Nacht zum Donnerstag in einem Telefongespräch mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon angekündigt habe, die Operationen von Militär und Polizei gegen Oppositionelle eingestellt und weitreichende Reformmaßnahmen eingeleitet zu haben. Auf der anderen Seite sollen syrische Oppositionelle dementiert haben, dass die Militäroperationen tatsächlich beendet worden sind. In den Städten Homs und Aleppo habe es auch am Donnerstag noch Razzien und Operationen des Militärs gegeben.
Wie dem auch sei: Dass weitreichende politische Veränderungen nach dem Ende der Kampfhandlungen stattfinden werden, ist sicher. Die entscheidende Frage dabei ist, ob es den Syrern gelingen wird, dabei ihre Souveränität, also die pure Existenz als eigenständiges politisches Gebilde zu behalten. Anders als in Libyen scheinen sich in Syrien einflussreiche Kräfte der Opposition ihrer Verantwortung für die Selbstbestimmung des Landes im Klaren zu sein.
Während Außenminister Guido Westerwelle dem Land mit weiterem internationalen Druck und neuen Sanktionen drohte und die US-Außenministerin Hillary Clinton schon mal ankündigte, künftig in der syrischen Innenpolitik mitmischen zu wollen, machte der aus Damaskus stammende Chefredakteur der arabischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique klar, dass es dafür in der syrischen Opposition nur wenig Verständnis gibt.
„Die Syrer wollen keine ausländische Einmischung, sie wollen auch keine Einmischung des UN-Sicherheitsrates, weil sie wissen, selbst wenn ein Text sich ganz milde ausdrückt, wird er von diesen Staaten interpretiert wie in Libyen. Niemand darf den Charakter dieses Aufstandes zerstören. Die Menschen sind sehr mutig, und sie sind bereit, für ihre Freiheit einen hohen Preis zu zahlen. Diese Freiheit gehört ihnen, das müssen wir verteidigen.“ (1), sagte Samir Aita am Mittwoch im Interview mit der jungen Welt: „Wir wissen, was die USA in der Region wollen, die Vorherrschaft. Wir wollen dagegen normale Beziehungen von Land zu Land. Ansonsten sollen sie uns in Ruhe lassen. […] Wir haben 1,5 Millionen Iraker in zwei Jahren aufgenommen. Umgerechnet auf Deutschland wären das sechs Millionen Menschen, das hätte die deutsche Gesellschaft nicht mitgemacht. Wir haben es gemacht. Ohne internationale und staatliche Hilfe. Syrien hat ein Gesetz, wonach jeder Araber, der ins Land kommt, freien Zugang zur Schule und zur Gesundheitsversorgung hat. Das haben wir durchgehalten. […] Aber als 10.000 Flüchtlinge über Italien nach Frankreich wollten, gab es einen Aufschrei unter den 450 Millionen Europäern, und sie dachten darüber nach, das Schengen-Abkommen zu ändern. Auf den zwei Seiten des Mittelmeeres gibt es eine sehr unterschiedliche Vorstellung von Menschlichkeit.“ (2)
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Unterdessen berichtete der landeskundige evangelische Pfarrer Jonas Weiß-Lange, dass die christliche Minderheit dem vom Westen gewünschten radikalen Regimewechsel mit gemischten Gefühlen entgegensehe. Die Sorge vieler Christen sei, dass Syrien ins Chaos stürzen könnte und sie dann zu den Verlierern gehörten, sagte er am Donnerstag Deutschlandradio Kultur. Bei aller Kritik am Regime gebe es den Wunsch, dass sich nicht soviel ändern möge, sagte Weiß-Lange, der die deutschsprachige evangelische Auslandsgemeinde in Beirut betreut und auch für Syrien zuständig ist. Viele Christen sorgten sich, dass in Syrien Zustände wie im Irak nach dem Sturz von Ex-Staatschef Saddam Hussein oder wie im Libanon während des Bürgerkriegs herrschen könnten. Während seiner Gespräche hätten syrische Christen deutlich gemacht, dass sie aus Gründen der eigenen Sicherheit hinter dem Regime von Präsident Baschar al-Assad stünden. „Was ich weiß von den Geistlichen in dem Land ist, (…) dass sie dankbar sind für den Schutz, den sie haben.“
(mit dpa)
(1) http://www.jungewelt.de/2011/08-17/056.php
(2) Ebd.