Syrien: Press TV meldet Massaker an Kurden
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Von THOMAS EIPELDAUER, 06. August 2013 –
Berichten des iranischen Nachrichtensenders Press TV und der russischen Ria Novosti zufolge haben Kämpfer der Al-Qaida nahestehenden Al-Nusra-Front am gestrigen Montag in Syrien 450 kurdische Zivilisten, hauptsächlich Kinder, Frauen und alte Menschen, ermordet. (1) Das Massaker habe eine Woche nach dem Angriff der islamistischen Miliz auf zwei kurdische Dörfer bei Aleppo stattgefunden, bei dem 200 kurdische Zivilisten verschleppt worden sind. Durch kurdische Nachrichtenagenturen ist der Vorfall allerdings noch nicht bestätigt.
In den vergangenen Wochen häuften sich die Nachrichten über Gefechte zwischen Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) und Al-Qaida-nahen Milizien auf der einen Seite und den kurdischen Volksverteidigungskräften YPG auf der anderen. Das kurdische Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad meldete vergangenen Sonntag, dass die Freie Syrische Armee und islamistische Milizen den Kurden „den Krieg erklärt“ haben. Die kurdische Bevölkerung sei für „vogelfrei“ erklärt worden, in den Moscheen der Islamisten werde gepredigt, es sei „helal“, also aus islamischer Sicht rechtens, kurdisches Eigentum zu rauben und kurdische Frauen zu vergewaltigen. (2)
Zeit der „Vernichtung“ gekommen
Trotz verbaler Beteuerungen seitens der türkischen Regierung, die vergangene Woche verlauten ließ, man werde die syrischen Kurden nicht angreifen, unterstützt die Türkei offenbar weiterhin die islamistischen Milizen in ihrem Kampf gegen die kurdische Bevölkerung. Kämpfer von Al Nusra und FSA können sich, so Berichte aus der Region, weiterhin über die Grenze in die Türkei zurückziehen, Verletzte werden in türkischen Krankenhäusern behandelt.
Civaka Azad berichtet zudem von einem Treffen syrischer Milizkommandanten in der Türkei: „Am 26. Juli 2013 trafen sich 70 Kommandanten der Freien Syrischen Armee unter der Gastgeberschaft der Türkei in Dîlok (Gaziantep). Jetzt ist an die Öffentlichkeit gekommen, dass die Entscheidung zu den Angriffen auf die kurdische Bevölkerung von Rojava (Westkurdistan/Nordsyrien) auf diesem Treffen gefällt worden ist. In Til Hasil und Til Aren im Gebiet Halep wurden am 31. Juli und 1. August mindestens 70 kurdische Zivilisten getötet und Hunderte als Geiseln genommen. Der Nachrichtenagentur ANHA zufolge, erklärte der Vorsitzende des militärischen Rats der Freien Syrischen Armee Abdulcabbar el-Akidi auf dem Treffen in Dîlok, dass sie viel stärker als die PYD seien und alle Kurden aus den Gebieten Syriens vertrieben werden sollen. Es sei die Zeit der ‘Vernichtung’ gekommen.“
Die syrische Bewegung rüstet sich indessen für die Verteidigung ihrer Gebiete. Neben den Volksverteidigungseinheiten der syrischen YPG sollen demnächst auch Kurden aus anderen Ländern gegen Islamisten und FSA mitkämpfen. Wie das israelische Nachrichtenportal Arutz Sheva berichtet, seien Kämpfer der im Iran aktiven kurdischen PJAK auf dem Weg nach Rojava, so der kurdische Name für die kurdischen Gebiete in Syrien.
Verschiebung der Frontlinien
Die kurdischen Gebiete scheinen zum neuen Brandherd des Bürgerkriegs in Syrien zu avancieren. In den vergangenen Wochen häufen sich die Gefechte, berichtet wird, dass die Freie Syrische Armee sogar Einheiten anderswo abzieht, um sie in Rojava einsetzen zu können. Innerhalb der FSA stehen einzig die sogenannten El-Ekrad-Einheiten auf der Seite der kurdischen Bewegung. El-Ekrad ist als Teil der FSA als kurdische Miliz außerhalb der von der YPG kontrollierten Gebiete aktiv.
Wie sich die syrischen Regierungstruppen verhalten werden, ist zunächst unklar. Auffallend ist, dass die staatliche syrische Nachrichtenagentur SANA sich bislang nicht zu den Gefechten in Westkurdistan äußert. Das könnte ein Indiz dafür sein, dass sich Assads Truppen nicht in den Konflikt einmischen wollen und man froh darüber ist, dass sich hier zwei oppositionelle Bewegungen gegenseitig bekriegen. Andererseits berichten die offiziellen iranischen Stellen relativ kurdenfreundlich, was wiederum heißen könnte, dass die Achse Iran-Syrien sich auf die Seite der Kurden stellen könnte, um Al-Qaida nahestehende Gruppen wie Al Nusra zu bekämpfen.
Wie auch immer die Frontlinien verlaufen, die kurdische Zivilbevölkerung in Rojava ist aktuell einer akuten Bedrohung ausgesetzt, die von westlichen Medien systematisch ignoriert wird – wohl um die FSA, den Hauptverbündeten der NATO im Land, nicht in ein schlechtes Licht zu rücken. Dabei ist klar, dass die einzige Bewegung in Syrien, von der demokratische Umwälzungen jenseits von ethnischen oder religiösen Spaltungen ausgehen könnte, die kurdische ist. Dass das nicht interessiert, zeigt auch, was von dem Geraune über Menschenrechte und Demokratie aus Berlin, London und Washington zu halten ist.
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Anmerkungen
(1) http://www.presstv.ir/detail/2013/08/05/317331/syria-militants-kill-450-kurd-civilians/
(2) http://www.civaka-azad.org/index.php/458-freie-syrische-armee-und-islamisten-erklaeren-den-kurdinnen-den-krieg.html
(3) http://www.israelnationalnews.com/News/News.aspx/170623#.UgCzim0u1rM