Syrien: Massaker zur Verhinderung einer UN-Untersuchung?
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Von SEBASTIAN RANGE, 01. August 2013 –
Als im März dieses Jahres in Khan al-Assal, einem Vorort Aleppos, mindestens 24 Menschen nach einem Raketeneinschlag starben, war die Empörung innerhalb der „westlichen Wertegemeinschaft“ groß. Denn offenbar starben die Menschen an den Folgen giftiger Substanzen, die durch den Einschlag freigesetzt worden waren. Sofort beschuldigten die „Freunde Syriens“, allen voran die USA, Großbritannien und Frankreich die syrische Regierung, Giftgas eingesetzt und somit die von US-Präsident Obama gezeichnete „rote Linie“ überschritten zu haben.
Aufgrund der näheren Umstände zweifelten aber auch westliche Medien daran, dass Damaskus chemische Waffen einsetzte und damit den USA und ihren Verbündeten einen Interventionsgrund lieferte: So schlug die Rakete in einem von der syrischen Armee kontrolliertem Gebiet ein, unter den Toten befanden sich daher auch Soldaten. Es habe sich wahrscheinlich um eine Rakete „Marke Eigenbau“ gehandelt. Zudem hätte ein Einsatz herkömmlicher Chemiewaffen wie Sarin weitaus mehr Opfer gefordert. (1) Eine Untersuchung russischer Experten kam zu ähnlichen Schlüssen. Sowohl das Gas als auch die Rakete, mit der es verschossen worden sein soll, seien selbst hergestellt gewesen, ohne industriellen Hintergrund, erklärte Moskaus UN-Botschafter Witali Tschurkin. Es habe sich um eine sehr simple Version des Giftgases Sarin gehandelt. Russland macht daher die Rebellen als Urheber verantwortlich. (2)
Eine offizielle Untersuchung seitens der Vereinten Nationen steht noch aus. Eine solche war unmittelbar nach dem Ereignis von Damaskus gefordert worden. Doch die NATO-Staaten im Weltsicherheitsrat torpedierten eine UN-Untersuchung, indem sie sie mit für Damaskus unannehmbaren Bedingungen verknüpften. So verlangten sie, UN-Inspekteuren müsste Zugang zu sämtlichen syrischen Militäranlagen gewährt werden – ein Sachverhalt, der in der Berichterstattung der hiesigen Massenmedien zumeist unterschlagen wird.
Doch die syrische Regierung blieb hartnäckig und konnte sich schließlich gegen den westlichen Widerstand gegen eine UN-Untersuchung durchsetzen. Vor einer Woche trafen die UN-Abrüstungsbeauftragte Angela Kane und der Giftgasexperte Åke Sellström in Damaskus ein, um die Lage für künftige Chemiewaffen-Inspektionen zu sondieren. Verschiedene Vorfälle, bei denen mutmaßlich Giftgas eingesetzt wurde, sollen vor Ort untersucht werden. Auch Khan Al-Assal steht auf dem Reiseplan der UN-Inspekteure, wie die Tagesschau heute berichtete. (3)
Merkwürdigerweise wurde in dem Bericht ein Ereignis unterschlagen, das den Einsatz der UN-Mission gefährdet: Am vergangenen Wochenende konnten Rebellen nach einer Großoffensive die Ortschaft erobern. Es geschah dann das, was meistens geschieht, wenn die Rebellen ein Gebiet einnehmen und ihre Herrschaft errichten: „In der Siedlung Khan al-Assal wurden gefangengenommene regierungstreue syrische Soldaten und Zivilisten – insgesamt rund 150 Menschen – erschossen. (…) Bei den Pogromen in dem Vorort gelten dutzende Einwohner als vermisst“, heißt es in einer Stellungnahme des russischen Außenministeriums. (4) „Es gab Zeiten“, kommentiert der iranische Sender Press TV, „da haben westliche Regierungen und Mainstreammedien bei jedem berichteten Massaker geschrien und gezetert“. (5) Doch über das jüngste Massaker in Khan Al-Assal herrscht Schweigen auch im deutschen Blätterwald.
Das dürfte zweierlei Gründe haben. Zum einen stehen die Rebellen zweifelsfrei als Urheber des Verbrechens fest. Schließlich haben sie ihre Taten gefilmt und ins Internet gestellt. An der Offensive und dem daran anschließenden Verbrechen sollen sowohl Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) als auch Gruppen aus dem Umfeld der mit Al-Qaida verbündeten Al-Nusra-Front beteiligt gewesen sein. Noch am Montagabend strahlte der ARD eine Dokumentation („Wie Syrien stirbt“) aus, in der eben jene Terrorgruppen als sympathische Freiheitskämpfer dargestellt werden, die am Wochenende zuvor wahrscheinlich an der Offensive gegen Khan Al-Assal beteiligt waren. Es erscheint daher verständlich, wenn die Tagesschau auf ihrer Webseite von dem Verbrechen nicht spricht, das die ARD-Doku als ein Machwerk einseitiger Kriegspropaganda entlarven würde.
Der zweite Grund, warum das Massaker bislang keinerlei Erwähnung in den großen Medien gefunden hat, könnte darin liegen, dass es möglicherweise mit dem Giftgas-Einsatz vom März zusammen hängt. Denn der militärstrategische Nutzen der Operation der Rebellen, die bei der Eroberung selbst einen hohen Blutzoll gezahlt haben sollen, dürfte begrenzt sein. Schwerwiegender sind hingegen die Auswirkungen auf die UN-Untersuchung. Solange die Ortschaft nicht von der syrischen Armee zurück erobert wird, die sich dort gerade schwere Gefechte mit den terroristischen Aufständischen liefert, kann die Sicherheit der UN-Inspekteure nicht gewährleistet werden. Eine Untersuchung vor Ort ist solange ausgeschlossen.
Selbst wenn es soweit ist, dass die UN-Gesandten den Ort begehen können, so haben die Rebellen offenbar Fakten geschaffen, die die Erfolgsaussichten der Untersuchung erheblich schmälern. Die syrische Regierung wirft den Rebellen vor, gezielt Zeugen des Giftgas-Einsatzes beseitigt zu haben.
„Die Zeugen hätten vor dem UN-Sekretariat aussagen und diejenigen nennen können, die chemische Waffen eingesetzt hatten“, zitiert die russische Nachrichtenagentur Ria Novosti aus einer Erklärung, die der syrische UN-Botschafter Baschar Dschaafari am Montag in der UN-Vollversammlung in New York abgegeben hatte. (6)
Vielleicht liegt der syrische Botschafter damit näher an der Wahrheit, als den „Freunden Syriens“ lieb ist. Es könnte auch das große Schweigen der „westlichen Wertegemeinschaft“ erklären, sowohl das der Regierungen als auch der etablierten Medien. Das russische Außenministerium hingegen sprach dem syrischen Volk seine „tiefempfundene Teilnahme im Zusammenhang mit der Tragödie in Khan Al-Assal“ aus. „Wir verurteilen entschieden die Handlungen der Terroristen und ihrer Helfershelfer auf dem syrischen Boden und rufen alle internationalen Kräfte auf, alles nur mögliche zu unternehmen, um eine politische Beilegung der Krise in Syrien herbeizuführen“, erklärte das Außenministerium. (7) Auch Teile der syrischen Opposition verurteilten das Verbrechen, über das hierzulande nicht gesprochen wird.
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Anmerkungen
(1) http://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/middleeast/syria/9950036/Syria-chemical-weapons-finger-pointed-at-jihadists.html
(2) http://www.hintergrund.de/201307102674/kurzmeldungen/aktuell/syrien-rebellen-sollen-chemiewaffen-eingesetzt-haben.html
(3) http://www.tagesschau.de/ausland/syrien2920.html
(4) http://de.rian.ru/politics/20130729/266571777.html
(5) http://www.presstv.ir/detail/2013/07/30/316273/west-war-crimes-in-syria-exposed/
(6) http://de.rian.ru/security_and_military/20130729/266571919.html
(7) http://de.rian.ru/security_and_military/20130729/266571919.html