Weltpolitik

Syrien-Krieg: Streit im Vorfeld der Friedensgespräche

Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.

1453301090

Mitglieder der Internationalen Unterstützungsgruppe uneins, wer auf Seiten der Regierungsgegner an den Verhandlungen teilnehmen soll –

Von SEBASTIAN RANGE, 20. Januar 2016 –  

Kommenden Montag sollen in Genf die Friedensverhandlungen zwischen der syrischen Regierung und ihren Gegnern beginnen, auf die sich die Mitglieder der Internationalen Unterstützungsgruppe für Syrien (ISSG) Anfang November auf der Wiener Konferenz geeinigt hatten. Bei dem Treffen in der Schweiz soll über  die Bildung einer Übergangsregierung und ein Ende des fünfjährigen Krieges verhandelt werden.

Zur Vorbereitung der Gespräche treffen sich die Außenminister der USA und Russlands am heutigen Mittwoch in Zürich. Das US-Außenministerium ließ im Vorfeld der Zusammenkunft verlauten, es sei fraglich, ob die Friedensgespräche am Montag beginnen können. „Es ist noch ziemlich viel Arbeit zu tun, damit dieses Treffen tatsächlich stattfindet“, sagte Ministeriumssprecher John Kirby am Dienstag. UN-Vertreter drängen jedoch darauf, an dem Termin festzuhalten. Hauptstreitpunkt ist – wie zu erwarten war (1) – die Frage der Zusammensetzung der Oppositionsdelegation.

Insbesondere Saudi-Arabien drängt darauf, auch extremistisch-islamistische Kampfverbände aus dem Dunstkreis al-Qaidas, darunter die von deutschen Gerichten als „terroristisch“ eingestufte Ahrar al-Sham (2), an den Friedensgesprächen teilnehmen zu lassen. Moskau und auch Iran drängen hingegen darauf, Terrorgruppen von den Verhandlungen auszuschließen.

Nur das im Dezember gebildete Komitee der Regimegegner entscheide, wer die Opposition in der Schweiz vertrete, erklärte der saudische Außenminister Adel al-Dschubair nach Angaben des arabischen TV-Senders al-Arabija am Dienstag – diese Position wird von den Vereinigten Staaten und anderen Ländern wie Frankreich unterstützt.  

Im Dezember hatten sich Teile der zerstrittenen syrischen Opposition auf einer sogenannten Einigungskonferenz in Riad auf das Komitee geeinigt, das die Delegierten benennen soll, die künftig die Verhandlungen mit der syrischen Regierung führen sollen. Dem 33-köpfigen Komitee gehören auch elf Repräsentanten von bewaffnet kämpfenden Gruppen an.

Die Konferenz in Riad galt als Teil eines politischen Fahrplans, auf den sich die internationale Gemeinschaft in Wien geeinigt hatte. Dieser sieht neue Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition, die Bildung einer Übergangsregierung sowie Wahlen in achtzehn Monaten vor.

Die einzige Fraktion der bewaffnet kämpfenden Opposition, die säkulare Prinzipien verfolgt und bestrebt ist, in ihrem Herrschaftsbereich demokratische Strukturen zu etablieren – die kurdische PYD (Partei der Demokratischen Union) und deren Kampfverband YPG (Volksverteidigungseinheiten) – war zu der „Einigungskonferenz“ allerdings nicht eingeladen worden.

Das saudische Königshaus will die kurdischen Kräfte, die große Teile Nordsyriens kontrollieren, von den Verhandlungen ausschließen, weil es auf diese im Gegensatz zu den islamistischen Kampfverbänden keinerlei Einfluss ausübt.

Russland betrachtet die PYD jedoch als legitime Opposition. Deren Co-Vorsitzender Salih Muslim soll auf einer Liste mit den Namen von fünfzehn Oppositionsvertretern stehen, die Moskau laut der Tageszeitung al-Haya dem UN-Vermittler Staffan de Mistura vorgelegt haben soll, und deren Teilnahme an den Genfer Friedensverhandlungen der Kreml durchsetzen will. Laut der arabischen Zeitung behält sich Moskau vor, eine eigene Oppositionsdelegation nach Genf zu schicken.

Auch Damaskus betrachtet die kurdischen Vertreter als Teil der legitimen Opposition, mit der es zu verhandeln gelte. Unter Berufung auf kurdische Medien berichtete Sputnik News von einem kürzlich erfolgten Treffen zwischen hochrangigen syrischen Militärs und dem syrischen Innenminister mit Vertretern der PYD. Dabei soll es um die Einbindung der Kurden in die Genfer Friedensverhandlungen gegangen sein. (3)

Streit um Schicksal Assads

Neben dem Streit darum, wer auf Seite der Regierungsgegner am Verhandlungstisch Platz nehmen soll, ist es die Frage nach dem weiteren Schicksal von Präsident Baschar al-Assad, die den größten Stolperstein auf dem Weg zum Frieden darstellt.

Zwar beharren die USA und andere westliche Staaten nicht mehr auf einen sofortigen Rücktritt des syrischen Präsidenten, dessen Teilnahme an künftigen freien Wahlen soll aber ausgeschlossen werden – wegen der nicht unbegründeten Furcht, Assad könnte diese gewinnen.  

Auf der Wiener Konferenz der Mitglieder der Internationalen Unterstützungsgruppe wurde diesbezüglich keine explizite Aussage gemacht. In der gemeinsamen Abschlusserklärung heißt es jedoch, „der politische Prozess wird von Syrern und durch Syrer geführt, und das syrische Volk wird die Zukunft Syriens bestimmen“.  Zu diesem Zweck müssten Wahlen „unter UN-Aufsicht zur Zufriedenheit der Staatsführung und nach höchsten internationalen Standards von Transparenz und Verantwortlichkeit sowie frei und fair unter Beteiligung aller Syrer, einschließlich der Diaspora, durchgeführt werden“. (4)

Im Widerspruch dazu formulierten die Teilnehmer der von Saudi-Arabien organisierten „Einigungskonferenz“ in einer gemeinsamen Erklärung die Bedingung, Präsident Assad müsse „mit Beginn der Übergangsphase“ abtreten, und erst dann könne mit der Regierung in Damaskus unter UN-Vermittlung verhandelt werden.

Das russische Außenministerium mahnte daraufhin die Einhaltung der Wiener Vereinbarung an. (5) „Das syrische Volk muss selbst über sein Schicksal entscheiden, und niemand außerhalb Syriens kann dem syrischen Volk diese Entscheidung abnehmen“, lautete eine ähnliche Stellungnahme aus Teheran. Wer das nicht respektiere, überschreite eine „rote Linie“, ließ der wichtigste außenpolitischer Berater von Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Khamenei verlauten.

An Saudi-Arabiens Bereitschaft, diese zu übertreten, ließ der Außenminister des Königreichs jedoch keinen Zweifel. Assad werde auf jeden Fall abtreten, „entweder durch eine politische Lösung oder militärisch“, erklärte Adel al-Dschubair nach der „Einigungskonferenz“ in Riad.

„Die Saudis befinden sich in einer sehr konfrontativen Stimmung“, attestierte Shadi Hami, Nahostexperte der US-Denkfabrik Brookings Institution, kürzlich dem wahhabitischen Königshaus. (7)

Syrische Armee auf dem Vormarsch

Doch die Aussichten auf einen Sturz Assads mit militärischen Mitteln schwinden zusehends. Darauf deutet auch die Aussage des französischen Außenministers Laurent Fabius hin, der bereits Anfang vergangener Woche den Termin für die auf kommenden Montag angesetzten Genfer Friedensverhandlungen in Frage stellte.

Es sei „sehr schwierig“ für die syrische Opposition, an den Gesprächen teilzunehmen, während sie bombardiert werde, sagte Fabius während eines Besuchs im Emirat Abu Dhabi. Nun dürfte Frankreichs Außenminister kaum erwartet haben, die syrische Armee würde ihre Kampfhandlungen einseitig einstellen, weil im Hintergrund andere Staaten über das Schicksal Syriens verhandeln. Seine Aussage dürfte eher der Erkenntnis geschuldet sein, dass sich die Verhandlungsposition der Assad-Gegner in den vergangenen Wochen durch militärische Rückschläge deutlich verschlechtert hat.

Hauptausschlaggebend dafür ist die Intervention Russlands, deren primäres Ziel – die Stabilisierung des syrischen Staates – zunehmende Erfolge zeitigt. Die syrische Armee schreitet an dem meisten Frontabschnitten, wenn auch langsam und von Rückschlägen begleitet, aber dennoch stetig voran.

So war es den staatlichen Truppen im November gelungen, die Belagerung des Luftwaffenstützpunktes Kuweires durch den „Islamischen Staat“ in den Provinz Aleppo zu durchbrechen und infolge die Terrormiliz aus der weiteren Umgebung zu vertreiben. Im Dezember konnte die Armee den Luftwaffenstützpunkt Marj al-Sultan nahe Damaskus befreien, der sich in einer Hochburg der von Saudi-Arabien unterstützten „Armee des Islam“ befindet.  

Fortschritte erzielte die Armee in den vergangenen Wochen vor allem in der an die Türkei grenzenden Provinz Latakia. Überraschend schnell gelang ihr dort vor einer Woche die Eroberung der strategisch wichtigen Stadt Salma, die unter anderem von Terroristen der Nusra-Front kontrolliert wurde, und aufgrund ihrer Höhenlage als nur schwer einnehmbar galt.

Die für nächste Woche terminierten Friedensgespräche „erscheinen zunehmend fraglich angesichts einer Reihe jüngster Siege der Regierungstruppen auf dem Schlachtfeld, die Präsident Baschar al-Assad gestärkt und die Rebellen ins Chaos gestürzt haben“, bilanzierte Associated Press vor Tagen die gegenwärtige militärische Entwicklung.

Es seien daher von den Genfer Gesprächen „keine wichtigen Resultate“ zu erwarten, zitiert die Nachrichtenagentur Fawaz Gerges. „Assad ist überzeugt, dass die Zeit auf seiner Seite ist, dass er gewinnt, und dass die Opposition ruiniert ist“, so der Professor für Nahost-Fragen der London School of Economics and Political Science. (8)

Unverkennbar hat Moskaus militärisches Eingreifen die Kräfteverhältnisse auf dem Schlachtfeld verschoben und damit zur Stabilisierung der Assad-Regierung beigetragen. Das mag der tiefere Grund sein, warum Vertreter der USA oder Frankreichs den Beginn der Friedensverhandlungen in Frage stellen – in der Hoffnung, bei einem späteren Zeitpunkt könnte sich das Blatt wieder zuungunsten der syrischen Regierung gewendet haben. Denn so wie sich Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln betrachten lässt, kann auch die Friedensdiplomatie als Fortsetzung der militärischen Konfrontation mit anderen Mitteln angesehen werden.

(mit dpa)

Abo oder Einzelheft hier bestellen

Seit Juli 2023 erscheint das Nachrichtenmagazin Hintergrund nach dreijähriger Pause wieder als Print-Ausgabe. Und zwar alle zwei Monate.

Hintergrund abonnieren


Anmerkungen

(1) Siehe dazu: http://www.hintergrund.de/201511023732/politik/welt/nach-wiener-konferenz-hoffnungsschimmer-fuer-syrien.html
(2) http://www.olg-stuttgart.de/pb/,Lde/Startseite/PRESSE/OLG+Stuttgart+verhandelt+gegen+vier+mutmassliche+Unterstuetzer+der/?LISTPAGE=1178164
(3) http://sputniknews.com/middleeast/20160119/1033340784/damascus-delegation-kurds.html
(4) http://orf.at/stories/2307035/2307027/
(5) http://news.yahoo.com/russia-slams-syria-opposition-meet-riyadh-131432177.html
(6) http://www.aljazeera.com/news/2015/12/fate-syria-assad-red-line-iran-official-151206115634067.html
(7) http://hosted.ap.org/dynamic/stories/M/ML_SYRIA_PEACE_TALKS?SITE=AP&SECTION=HOME&TEMPLATE=DEFAULT&CTIME=2016-01-19-01-01-18
(8) ebd.

Newsletter

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Der Hintergrund-Newsletter

Wir informieren künftig einmal in der Woche über neue Beiträge.

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.

Drucken

Drucken

Teilen

Voriger Artikel Weltpolitik Hunger in Madaya: Und was ist mit Kafraya?
Nächster Artikel Weltpolitik „Eine politische Revolution hat begonnen“