Staatlich gelenkte Randale in Griechenland? Mittwoch: Generalstreik
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
Von WASSILOS ASWESTOPOULOS, 9. Dezember 2008:
Heute Mittag gab die Sekretärin der Kommunistischen Partei Griechenlands nach einem Treffen mit Ministerpräsident Karamanlis folgendes Statement ab: „Die Parteiführung des Syriza (vereinigte Linke und Eurokommunisten) soll aufhören, den Randalierern die Ohren zu streicheln, um damit Wählerstimmen zu gewinnen.“
Kurz zuvor hatte sie organisierte Berufsrandalierer, die nach dem Vorbild der Taliban von den Regierungen sowohl der PASOK als auch der regierenden Nea Dimokratia aufgebaut und gefördert worden seien, als Drahtzieher hinter den Eskalationen vermutet.
Seit Jahren werden hinter den regelmäßig in Gewaltexzessen ausufernden Demonstrationen in Griechenland organisierte „Parakratos“ (Staat im Staat) genannte Gruppierungen vermutet. Diese werden in griechischen Medien als „bekannte Unbekannte“ bezeichnet. Es handelt sich dabei um Gruppen mit einer maximalen Stärke von 30 bis 80 Personen , die es bei nahezu jedem Anlass schaffen, eine Demonstration von 10.000 friedlichen Bürgern in eine Straßenschlacht zu verwandeln.
Seltsam dabei ist:
Selbst vor laufenden Kameras lassen die hochgerüsteten Polizeikräfte solche Randalierer nahezu frei agieren. Nach deren Abzug schlagen die Einsatzkräfte aber oft unvermittelt auf alternativ gekleidete, eher unbeteiligte Demonstranten brutal ein. So konnte auch gestern in den griechischen Medien beobachtet werden, wie von diesen Gruppen Schaufensterscheiben zerstört und Geschäfte in Brand gesetzt wurden, ohne dass die zuschauenden Polizeikräfte eingriffen.
Dafür wurde kurz darauf ein ca. 18-jähriges einzelnes Mädchen, das unvermummt an der Demonstration teilnahm, vor abermals laufenden Kameras von einer Gruppe von 10 Elitepolizisten umkreist, mit Fußtritten versehen und weggeschleift.
Die Existenz von Agent Provocateurs bei solchen Demonstrationen ist unbestritten. Die Tatsache wird lediglich von der jeweils von den Krawallen profitierenden Seite geleugnet. Allerdings ist nicht klar, ob diese Berufsrandalierer noch unter Kontrolle sind, also von ihrem ehemaligen oder jeweiligen Auftraggeber Befehle erhalten, oder ob sich Teile dieser Gruppen autonomisiert haben. Jede Partei pflegt hierbei ihre eigene Verschwörungstheorie, von Regierungsanhängern werden gerne „ausländische Agenten“ als Drahtzieher vermutet.
Waffengeschäft unter den Augen der Polizei ausgeräumt
Gerade gestern war zu beobachten, dass gezielt nach der Zerstörung von Schaufensterscheiben oder auch nach der gewaltsamen Öffnung von vergitterten Ladenlokalen organisierte Plünderer ans Werk gingen, welche nach Augenzeugenberichten als Hehler bekannt sind. Viel von dem erbeuteten Diebesgut wird sowohl auf den Flohmärkten als auch im illegalen Straßenverkauf erwartet.
Bedenklich ist hierbei die komplette Plünderung eines Waffengeschäfts am zentralen Omoniaplatz in Athen.
Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass Randale von straff organisierten Demonstrations-Kommitees wirksam unterbunden werden kann. Foteini Pipili, ehemalige Journalistin und nun Abgeordnete der regierenden Nea Dimokratia, bemerkte gestern anerkennend, dass „die straffe Organisation der Kommunistischen Partei Griechenlands als einzige in der Lage ist, Randale im Keim zu unterbinden. Die Vormittagsdemonstration der Kommunistischen Partei Griechenlands war absolut friedlich, die Demonstrationen der übrigen Opposition, die heute Nacht stattfanden, haben es zugelassen, dass 50 hirnlose Extremisten ganz Griechenland in ein Schlachtfeld verwandelt haben.“ (Fotini Pipili, Spätnachrichten Ant1, 09.12.2008, ca. 2h)
Am heutigen Dienstagmorgen traf sich Ministerpräsident Karamanlis mit dem Staatspräsidenten, den Führern der parlamentarischen Oppositionsparteien und dem Präsidenten des Parlaments. Dabei verlangte Georgios Papandreou, Vorsitzender der größten Oppositionspartei PASOK, den Rücktritt von Ministerpräsident Karamanlis und Neuwahlen.
Ob dieses Treffen konstruktive Vorschläge zur Bewältigung der Krise beinhaltete oder allein aus Gründen der Öffentlichkeitswirksamkeit anberaumt wurde, ist bisher nicht erkennbar. Athen rüstet sich derweil für eine weitere Eskalation, die in den Abendstunden im Anschluss an die Beerdigung des erschossenen Schülers stattfinden soll.
Mittwoch: Generalstreik
Wie breit – im Gegensatz zu den prozentual wenigen Randalierern – der Protest tatsächlich von der Gesellschaft getragen wird, beweisen die Aufrufe zu einem Generalstreik gegen die sich ständig verschlechternden Arbeitsbedingungen am morgigen Mittwoch. Soziale Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und das Recht auf persönliche Unversehrtheit lauten die Forderungen der Gewerkschaften.
Die Bürger erwarten endlich Maßnahmen, die ihnen bei der Bewältigung der Krise helfen. Das Milliardenpaket an die Banken (vgl. „Griechenland: Chronik einer erwarteten Explosion“) setzte dem Ganzen die Krone auf.
Bestreikt werden soll der gesamte öffentliche Dienst. Schulen, Universitäten, Berufsschulen. Sowohl private als auch öffentliche Institute wollen sich beteiligen (diese streiken wegen des Mordes an dem Schüler). Der öffentliche Nah- und Fernverkehr soll von morgens um 8 Uhr bis abends 22 Uhr stillstehen, auch der Luftverkehr soll bestreikt werden. Die liberale Zeitung „Ismerisia“ meldet, dass auch die Unternehmen für Strom, Wasser, Telefon und Post sich dem Streik anschließen wollen und sogar die Banken für 48 Stunden ihre Arbeit einstellen werden. Gleichzeitig sollen morgen die beiden beteiligten Polizisten vor der Staatsanwaltschaft zum Tod des Schülers befragt werden.
Karamanlis hat an die Gewerkschaften – schriftlich (!) – appelliert, diese mögen den Streik absagen. Die Antwort der Gewerkschaften war ein trockenes „NEIN“.
Siehe auch
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Griechenland: Chronik einer erwarteten Explosion
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