Rechtsruck in Europa
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In Athen fand unter Beteiligung ukrainischer Linker eine internationale Konferenz gegen Faschismus statt –
Von SUKRIYE AKAR, 17. April 2014 –
Vor dem Hintergrund eines in ganz Europa bemerkbaren Rechtsrucks kamen am vergangenen Wochenende 32 Gruppen aus zwanzig Ländern in der griechischen Hauptstadt Athen zu einem internationalen Treffen gegen Faschismus zusammen. Tatsächlich erstarken in vielen Ländern Europas die Parteien und Gruppierungen der äußersten Rechten. In Ungarn fuhr die extrem antiziganistische Jobbik-Bewegung, die regelmäßig Roma und Sinti terrorisiert, vor zwei Wochen einen enormen Wahlsieg ein, in Griechenland ist die neonazistische Chrysi Avgi, die sich durch gewaltsame Übergriffe auf Migranten und Linke hervortut, nach wie vor präsent. Bei der im Mai anstehenden Europawahl ist allgemein ein Erstarken rechter und faschistischer Parteien zu erwarten.
Diskutiert wurde in Athen auch die gegenwärtige Situation in der Ukraine. Dort konnten faschistische Organisationen, die sich in der Tradition des Hitler-Kollaborateurs Stepan Bandera sehen, im Zuge der Machtübernahme der prowestlichen Kräfte ihre Position ausbauen und zusammen mit neoliberalen nationalistischen Kräften Teile des Landes unter ihre Kontrolle bringen. Seitdem terrorisieren sie politische Gegner und die russischsprachige Bevölkerung des Landes und versuchen ihr Konzept der „nationalen Revolution“ mit Gewalt durchzusetzen.
Ukraine: Umsturz mit faschistischer Beteiligung
Auf der Athener Konferenz beschrieb der linke Journalist, Dimitriy Kolesnik, der als Vertreter der marxistischen Organisation „Borotba“ angereist war, die Situation in der Ukraine gegenüber Hintergrund: „Leider sehe ich keine gute Perspektive für die Zukunft der Ukraine. Denn die Situation setzt sich zusammen aus der wirtschaftlichen und sozialen Krise. Momentan ist die nicht gewählte Regierung bankrott. Sie verfügt über kein Budget, kann keine Gehälter oder Renten auszahlen. Sie bereitet gerade Massenentlassungen vor. Die ukrainische Währung wurde zweimal entwertet. Die neue Regierung hat beim IWF nach Krediten angesucht. Ich erwarte einen Kollaps des Landes.“
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Es werde zu Massendemonstrationen kommen, die gegenwärtige illegitime Regierung werde aber versuchen, diese zu ignorieren. „Wir bereiten uns darauf vor, die Initiative in diesen Protesten zu übernehmen. Wir bieten den Menschen den dritten Weg an: Weder die neoliberale Regierung in Kiev, noch Russland.“ Auf die Frage, wie es um die Linke in der Ukraine bestellt ist, antwortet Kolesnik: „Die Linke ist sehr schwach. Das liegt vor allem an der Propaganda gegen den Kommunismus. Für die heutige Misere wird das ehemalige Regime verantwortlich gemacht. Allerdings ist die traditionelle kommunistische Partei stark, aber leider pro-kapitalistisch im Kern.“
Borotba geht in einem Statement vom vergangenen Dienstag zudem davon aus, dass sich im Osten und Süden des Landes ein Bürgerkrieg entwickeln könnte. Die Neo-Nazis haben, so Kolesnik, eine Schlüsselrolle gespielt beim Sturz der Regierung Janukowitsch. Als die Linke attackiert wurde, forderten viele Hilfe von Russland. „Aber sie begreifen nicht, dass Russland mittlerweile pro-kapitalistisch ist.“ Dabei wünscht sich die Mehrheit ein „kollektives Zusammenleben“. In der Deklaration der Volksrepublik Donezk wird ganz klar festgehalten, dass man Eigentum, das zur Ausbeutung führen kann, ablehnt. „Kollektiven Formen des Eigentums wird der Vorzug gegeben.“
Borotba betont auch, dass es im Südosten des Landes mehrheitlich keinen Wunsch zur Abtrennung geben würde, sich die Menschen nicht abspalten wollten. Die Krise in der Ukraine ist eine Mischung aus unterschiedlicher Konfliktlinien. Die Eliten schlagen sich untereinander, es gibt Spannung zwischen Ost und West, zum Teil geht es auch um die Sprache.
Dabei verbitten sich die Ukrainer Einmischung aus dem Ausland. Aber gerade das Ausland mischt kräftig mit. Sowohl der Westen, als auch Russland versuchen Profit aus dem Chaos zu schlagen. Der Bürgerkrieg wird auch von den Medien angekurbelt. Auf beiden Lagern herrscht eine nationalistische Hysterie. Die rechtsradikalen Schlägertruppen der Svoboda wurden mittlerweile in den Osten verschickt, um die dortigen Aufständischen niederzuschlagen. Aber dies und Massenverhaftungen verärgern die Menschen nur mehr. Die von der Kiewer Regierung als „prorusissche Agenten“ Diffamierten sind Einheimische, welche die Putschregierung ablehnen, so Kolesnik. „Darum erwarte ich einen ähnlichen Krieg wie in Bosnien in den 1990er Jahren. Wenn nicht bald ein föderales System geschaffen wird, kommt es zu einem Blutbad, fürchte ich.“
Türkei: „Wir müssen unsere Viertel verteidigen“
Eine Delegation auf der Konferenz kam auch aus der Türkei. Die Repräsentantin der Gruppe Halk Cephesi („Volksfront“) betonte, dass ihre Organisation seit 44 Jahren gegen den Faschismus kämpfe. Die faschistische Konstellation in der Türkei sei etwas ungewöhnlich. Es handelt sich um eine Allianz von Anhängern der ultranationalistischen Partei MHP, der Regierungspartei AKP und der Mafia, die vom Staat geschützt und gedeckt wird. Sie verwies auf Hasan Ferit Gedik, einen Aktivisten, der während Protesten gegen Gentrifizierung von Mafiosi erschossen wurde, die von den Kapitalisten unterstützt werden, um in den umstrittenen Stadtteilen die Revolutionäre zu verdrängen. Man müsse sich im Klaren darüber sein, dass der Faschismus nicht ohne den Kapitalismus betrachtet werden kann. Der Faschismus sei die aggressivste Form des Kapitalismus. Ein Kampf gegen den Faschismus müsse sich deshalb auch gegen den Kapitalismus richten. Und die Faschisten sind gewalttätig. „Man kann nicht mit Rosen werfen, wenn mit Kugeln geschossen wird. Wir müssen unsere Viertel verteidigen. Wenn es sein muss greift man auch zur Waffe.“ Die Rednerin betonte auch, dass internationale Solidarität und Vernetzung sehr wichtig seien.
Gedacht wurde auf der Konferenz der gefallenen Genossen, die im vergangenen Jahr ihr Leben verloren. Pavlos Fyssas, der von der griechischen Chrysi Avgi ermordet wurde, Clement Meric, der in Paris von Neonazis umgebracht wurde, und Berkin Elvan, den die türkische Polizei mit einer Tränengasgranate tötete. Neben Workshops und Plenarsitzungen gab es kulturelle Veranstaltungen, etwa 3 000 Menschen nahmen an der Veranstaltung Teil. „Es war auch ein Erfolg, weil wir eine gemeinsame Basis geschaffen haben. Und das trotz unserer unterschiedlichen politischen Hintergründe“, wertete Marietta, eine der Veranstalterinnen aus der „Antiautoritären Bewegung“, die Konferenz.
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