Raketen auf Syrien
Mutmaßlicher Giftgasangriff in Duma unaufgeklärt
Hinweis: Die Bilder sind aus den archivierten Hintergrund-Texten vor 2022 automatisch entfernt worden.
„Mission Accomplished!“ twitterte der US-amerikanische Präsident Donald Trump nach den Raketenangriffen auf Ziele in Syrien am 14. April. Die Militäraktion sollte eine Reaktion auf einen mutmaßlichen und nicht bewiesenen Giftgaseinsatz eine Woche zuvor in Duma sein, dessen die syrische Regierung bezichtigt wurde. In einer TV-Ansprache rechtfertigte Trump die Luftangriffe. Diese seien eine Vergeltung für den Einsatz chemischer Waffen gegen das eigene Volk durch die syrische Regierung unter Baschar al-Assad. „Dies sind nicht die Taten eines Menschen. Es sind die Verbrechen eines Monsters.“
Über Ziele und Ablauf des Luftschlags gibt es widersprüchliche Aussagen. Syrischen Angaben zufolge wurden mehr als hundert Raketen auf drei Ziele abgefeuert. Ein Sprecher teilte im staatlichen syrischen Fernsehen mit, die Luftabwehr habe die meisten davon vom Himmel geholt. US-General McKenzie erklärte hingegen auf einer Pressekonferenz: „Die syrische Antwort auf unsere Luftwaffe war so ineffektiv, das hat uns wirklich überhaupt nicht berührt.“
Sergej Rudskoi, Chef der operativen Hauptabteilung im russischen Generalstab, äußerte gegenüber der Presse, dass eine Reihe syrischer Militärflugplätze, Industrie- und Forschungseinrichtungen bombardiert worden seien. Nach US-Angaben waren diese Ziele sorgfältig ausgewählt. So sollen drei Anlagen in der Hauptstadt und nahe Homs getroffen worden sein, die als Forschungs-, Produktions- und Lagerstätten für Chemiewaffen gedient hätten.
Rudskoi erklärte, dass insgesamt 103 Marschflugkörper gegen syrische Ziele eingesetzt wurden, aber – so der Generalstabschef wörtlich: „Syrische Flugabwehrsysteme, die auf sowjetischen Flugabwehrkomplexen basieren, erwiderten den Luftangriff durch die Luftfahrt- und Seekräfte erfolgreich. Insgesamt wurden 71 Marschflugkörper von 103 abgefangen.“
Die politischen Reaktionen auf den Raketenangriff fielen unterschiedlich aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel nannte die Luftschläge richtig: „Der Militäreinsatz war erforderlich und angemessen, um die Wirksamkeit der internationalen Ächtung des Chemiewaffeneinsatzes zu wahren und das syrische Regime vor weiteren Verstößen zu warnen.“ Obwohl sich die Bundesrepublik nicht an den militärischen Aktionen beteiligte, folgt aus dieser Aussage, dass die Bundeskanzlerin von einer Schuld der syrischen Regierung für den mutmaßlichen Giftgasangriff in Duma ausgeht. Damit spricht sie eine Vorverurteilung aus, ehe die Organisation für ein Verbot von Chemiewaffen (OPCW) ihre detaillierte Beweissicherung und Analyse abgeschlossen hat.
Die Experten der OPCW wurden von der syrischen Regierung zu einer Untersuchung des mutmaßlichen Angriffs in Duma eingeladen und kamen am 14. April nach Syrien. Sie begannen ihre Untersuchungen am 18. April. Ziel ist es, herauszufinden, ob in der damals noch von Rebellen kontrollierten Stadt Duma Chemiewaffen eingesetzt worden waren. Ihr Auftrag lautet jedoch nicht, die Verantwortlichen zu ermitteln.
Die britische Premierministerin Theresa May nannte die Raketenangriffe auf syrische Ziele „begrenzt, gezielt und effektiv“. Dagegen meinte Jeremy Corbyn, Vorsitzender der britischen Labour Party, im Guardian: „Die Angriffe in der Nacht zum 14. April auf Anlagen, von denen vermutet wird, sie stünden mit der Fähigkeit der syrischen Regierung in Zusammenhang, chemische Kampfstoffe herzustellen, waren falsch und fehlgeleitet.“ Die Militäraktion sei rechtlich fraglich. „Ohne die Vollmacht der UN haben sich die Regierungen der USA und Großbritanniens einmal mehr die Autorität angemaßt, unilateral zu handeln – eine Autorität, die sie nicht besitzen.“
Der antiochenisch-orthodoxe Patriarch Youhanna X., der syrisch-orthodoxe Ignatius Aphrem II. und der Patriarch der melkitischen griechisch-katholischen Kirche Joseph Absi verurteilten die „brutale Aggression der USA, Frankreichs und Großbritanniens gegen unsere geliebte Heimat“ scharf. Die „Unterstellungen“ der USA und anderer Staaten, wonach die syrische Armee Giftgaswaffen einsetze und Syrien solche Waffen besitze und benütze, seien ungerechtfertigt und könnten sich nicht auf „ausreichende und klare Beweise stützen“. (domradio.de) Die Patriarchen appellierten in einer gemeinsamen Erklärung an die Kirchen in den an den völkerrechtswidrigen Angriffen beteiligten Ländern, die Aggression zu verurteilen. (Katholische Nachrichten-Agentur)
In den Vereinigten Staaten gibt es auch Stimmen, die sich für einen weitaus massiveren Militärschlag einsetzen. Eliot Cohen, ehemaliger Berater der Ex-Außenministerin Condoleezza Rice, nannte in einem Kommentar für defenseone.com die Angriffe präzise, auf keinen Fall aber angemessen. Er forderte die Zerschlagung der syrischen Luftabwehr und die Zerstörung der Hubschrauber und Flugzeuge.
Schon Mitte Februar drohte der französische Präsident Emmanuel Macron mit einem Angriff, sollten in Syrien nachweislich Chemiewaffen eingesetzt werden. Und wenige Tage nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff am 12. April erklärte Macron in einem Fernsehinterview, Frankreich habe „den Beweis dafür, dass vergangene Woche chemische Waffen, mindestens Chlorgas, vom Assad-Regime eingesetzt wurden“. Von welchen Beweisen er ausgeht, verriet er der Öffentlichkeit nicht.
Am gleichen Tag erklärte US-Verteidigungsminister James Mattis während einer Anhörung vor dem Senatsausschuss für die Streitkräfte, die US-Regierung hätte „keine soliden Beweise“ dafür, dass chemische Waffen bei dem Angriff in Duma verwendet worden seien. Wenn also der französische Präsident mit der amerikanischen Regierung, insbesondere mit Präsident Trump, in ständigem Kontakt stehe, wie er in dem Interview erklärte, und über Beweise verfüge, muss theoretisch eine Seite lügen.
Tatsache ist, dass sämtliche Fotos und Videos, die von den Ereignissen in Duma berichten, nur eine Quelle haben: Die Weißhelme und die mit ihnen kooperierende Syrian American Medical Society (SAMS). Sie berichteten von dem Chemiewaffenangriff. Für den US-Journalisten Max Blumenthal sind sie die Schlüsselquellen für viele westliche Medien. Möglich ist, dass diese Quellen die Beweise liefern, von denen der französische Präsident spricht. Sein Amtsvorgänger Hollande hatte gute Kontakte zu den Weißhelmen, die ihn auch im Elysee Palast besuchten.
Der englische Journalist Robert Fisk, der seit dem Jahr 1976 als Nahostkorrespondent tätig ist und zurzeit für den britischen Independent arbeitet, war in Duma vor Ort. In seiner Reportage für den Independent vom 16. April erzählt ihm der Oberarzt Dr. Rahaibani folgende Geschichte: „Es gab viel Beschuss (durch Regierungstruppen) und Flugzeuge kreisten die ganze Nacht über Duma – aber in dieser Nacht war es windig und riesige Staubwolken kamen in die Untergeschosse und Keller, in denen die Menschen lebten. Die Menschen, die hierher (gemeint ist das Krankenhaus) kamen, litten unter Hypoxie, Sauerstoffmangel. Dann rief jemand – ein „Weißhelm“ – an der Tür: „Gas!“, und Panik brach aus. Die Leute fingen an, sich gegenseitig mit Wasser zu begießen. Ja, das Video wurde hier gedreht, es ist echt, aber was Sie sehen, sind Menschen, die an Hypoxie leiden – nicht an einer Gasvergiftung“.
Ob diese Geschichte nun die Geschehnisse wahrheitsgemäß widergibt, müssen die Inspektoren der OPCW verifizieren.
„Mission Accomplished!“ Die Worte, die Trump benutzte, standen auf einem riesigen Transparent, unter dem der damalige US-Präsident George W. Bush auf einem Flugzeugträger am 1. Mai 2003 die Erfolge des Irakkrieges pries. Begründet wurde dieser völkerrechtswidrige Krieg mit der Lüge, der Irak verfüge über Massenvernichtungsmittel.
Quellen und weitere Informationen:
Pressekonferenz des russischen Generalstabs, Sergej Rudskoi: https://www.youtube.com/watch?v=1pGJQLo0Paw
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Jeremy Corbyn in The Guardian / der Freitag: https://www.freitag.de/autoren/the-guardian/diplomatie-statt-bomben
Reportage Robert Fisk: https://www.independent.co.uk/voices/syria-chemical-attack-gas-douma-robert-fisk-ghouta-damascus-a8307726.html